Aus dem Vorwort Der Nachlass Detlev von Liliencrons und die in ihm gesammelten
Materialien gehören zweifellos zu den wertvollsten Beständen der Hamburger
Staats- und Universitätsbibliothek. Doch worin bestand ihr Wert, wer
beachtet sie schon? Wer kennt denn überhaupt noch jenen Dichter, der zu
Beginn des 20. Jahrhunderts viel bewundert als der große Anreger der Jungen,
als Entdecker und Förderer der nachwachsenden Generation galt? Es ist symptomatisch',
dass die Antwort nicht von einem gestandenen Fachvertreter stammt, dass die
hier vorgelegte Vorstellung des norddeutschen Autors anläßlich seines 150.
Geburtstags nicht - wie eigentlich zu erwarten - ein Hamburger Literaturwissenschaftler
ins Werk gesetzt hat; nicht einmal ein Privatgelehrter oder pensionierter
Studienrat konnte für diese Aufgabe gewonnen werden, sondern eine kleine
Gruppe von Studentinnen und Studenten des Literaturwissenschaftlichen Seminars
in Hamburg fing Feuer und war bereit, das Wagnis zu übernehmen. Sicherlich,
vor einigen Semestern hatte ich mit einer Übung, die die Schriftstellernachlässe
in Hamburger Bibliotheken zum Gegenstand hatte, die Spur gelegt, aber die
Initiative und ideenreiche Umsetzung des Plans einer Liliencron-Ausstellung
ging allein von den Studierenden selbst aus; sie verfassten auch - Information
und Provokation munter mischend - diesen Katalog. Damit haben sie einen
Ton gefunden, der mir einem Dichter, der in heutiger Zeit keine einhellige
Bewunderung mehr finden kann und dennoch Bedeutendes geleistet hat, angemessen
zu sein scheint. Und das ist sicherlich kein Zufall: Erst diese junge Generation
hat Wege gefunden, mit den Widersprüchen und den zwiespältigen Eindrücken,
die eine intensivere Beschäftigung mit Leben und Werk Detlev von Liliencrons
hinterlässt, umzugehen; sie erstarrt weder in hagiographischer Bewunderung,
noch ist sie bereit zu vorschneller Verdammung: Gerade die Risse, das Halbfertige
oder die Brüche erscheinen interessant, Liliencrons Sinn für das Unkonventionelle,
seine mangelnde Bereitschaft zu Harmonie in widerspruchsvoller Zeit, sein
Hang, jedem Kompromiss, jedem Arrangement wenn irgend möglich auszuweichen.
Um das zu sehen und zu dokumentieren, ist eine gehörige Portion Unvoreingenommenheit
und Unbekümmertheit Voraussetzung, eine Neugier, die auch vor den heute
fragwürdigen Seiten des Dichters nicht zurückschreckt. Und selbstverständlich
muss mit diesem unbekümmerten Herangehen an die Materialien, die in der Hamburger
Staats- und Universitätsbibliothek archiviert sind, einhergehen die nötige
Sensibilität für literarische Qualitäten, denen selbst die Entwicklung der
letzten 100 Jahren nichts anhaben konnten. Über alles das verfügten die
drei Bearbeiter diese Katalogs. Das war ihre Chance, die noch heute faszinierende
Gestalt eines vor anderthalb Jahrhunderten geborenen Dichters vorzustellen
und den Wert der literarischen Hinterlassenschaft Liliencrons näher zu bestimmen;
und ich meine, die drei haben diese Chance vollauf genutzt. Gunter Martens
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