Jahrelang litt Detlev von Liliencrons Ansehen
drunter, daß die Nazis ihn für sich reklamierten. Jetzt feiert man den Dichter,
der am 3. Juni 1844 in Kiel zur Welt kam und 1909 in Rahlstedt starb und begraben
wurde, anläßlich seines 150. Geburtstags mit Ausstellungen, Lesungen und Vorträgen
in Kellinghusen, Seekamp, auf Sylt sowie in der Staats- und Universitätsbibliothek
Hamburg und in Rahlstedt. Drei Hamburger Literaturstudenten - das DvL-Team
- haben die sehenswerte Ausstellung in der Stabi gestaltet und dazu ein Buch
mit Katalog herausgegeben: "Artist, Royalist, Anarchist - das abenteuerliche
Leben des Barons Detlev Freiherr von Lililencron 1844-1909". Mathias Mainholz,
Rüdiger Schütt und Sabine Walter machten Wirbel schon vor der Eröffnung der
Ausstellung, die noch bis zum 15. Juli gezeigt wird.
In Rahlstedt, wo im Liliencron-Park seit 1934 ein Denkmal des Dichters steht,
beunruhigten sie den Ortsausschuß durch eine fingierte Anti-Liliencron-Aktion.
Sie fanden heraus, daß man die Bücherhalle Rahlstedt, die sich genau dort
befindet, wo früher Liliencrons Wohnhaus stand, vor einigen Jahren nicht nach
dem Dichter hatte benennen wollen; mit der Begründung, er sei ein Militarist
gewesen. Diese Ablehnung mutet genauso kleinkariert an wie die jenes Bundeswehrleutnants,
der den Namen der Liliencron-Kaserne in Kellinghusen unpassend findet, weil
der Hauptmann Liliencron sich nicht offlziersmäßig verhalten habe.
Er stammte aus einem verarmten Adelsgeschlecht, hatte den Heeresdienst "schulden-
und wundenhalber" quittieren müssen, wurde nach gescheiterter Beamtentätigkeit
freier Schriftsteller und begann erst im Alter von 35 Jahren zu dichten. "Vershusar"
und "Bruder Liederlich" waren einige seiner täuschenden Charaktermasken -
ein Widerspruchsgeist, der das Kunststück fertigbrachte, seine Kaisertreue
und sein Liebäugeln mit der Anarchie unter seinen großen Künstlerhut zu bringen.
Der vermeintliche Gutsherr und Jäger machte, laut Peter Kille, eher "Jagd
auf Literaturprofessoren", und das verdroß die Zunft. Das DvL-Team fragte
Hamburger Literaturprofessoren provokant, ob Liliencron an der Hamburger Uni
boykottiert werde. In der Tat kümmerte sich bisher kein Hamburger Professor
forschend um Werk oder Vita des Dichters, obwohl die Stabi große Teile seines
Nachlasses besitzt. Die bisher beste Liliencron-Biographie schrieb 1993, der
französische Literaturwissenschaftler Jean Royer der in Hamburg Gastvorträge
hielt.
Karl Kraus, Liliencrons großer Vorkämpfer, attestierte dem Dichter "das für mein Gefühl stärkste lyrische Naturell, das seit Goethe und Lenau das deutsche Volk beglückt hat", und veröffentlichte im Mai 1904 in der "Fackel" einen Ausschnitt aus Liliencrons Versepos "Poggfred". Brahms, Pfitzner, Strauss und Zemlinsky vertonten Verse von ihm. Der junge Thomas Mann war entzückt vom "Poggfred", "diesem leichtesten, glücklichsten Gebilde der modernen Literatur", das für den jungen Rilke ein "Wunderbuch" war.
GEORG BORCHARDT
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