Irmgard Gehle

Expeditus Schmidt

Ein wagemutiger, abenteuerlicher Weg vom Lutheraner zum Franziskaner
Trennung von Konvention und Familie
Ein kompetentes, innovatives Wirken als Literaturhistoriker und -kritiker,
Redakteur und Konferenzredner
Trennung von Antimodernismus und literarischer Inferiorität

Abstract / Rezension


Aus dem Vorwort

"Ist es nicht bezeichnend für unsere Armut, dass wir deutschredenden Katholiken nur einen einzigen wissenschaftlich durch und durch gebildeten, theoretisch wie praktisch erprobten Fachmann aufzuweisen vermögen? Denn wir alle andern, die wir an der Reform des Theaters in christlich-nationalem Sinne arbeiten... gehen nur von einer wohlgemeinten Ästhetik und einer allgemein gesetzten Historie aus, unser einzigster Fachmann aber, P. Expeditus Schmidt O. Fr. M., hat jahrelangen, mühevollen Einzelstudien obgelegen und die einschlägigen Fragen konsequent durchgeprüft. Doch ein Mann genügt nicht, die Welt aus den Angeln zu heben, gebt ihm nur den Platz, wo er stehe.

Mit der hier angesprochenen Notwendigkeit einer Veränderung ist der "Literaturstreit" vor 100 Jahren gemeint, in dem die innerkatholische Ghettomentalität - nach dem Kulturkampf und den Enzykliken "Pascendi dominici gregis" und "Lamentabili" von 1907 - ihren Höhepunkt erreichte. Durch die antimodernistische Blockade des katholischen Lehramtes, besonders durch Papst Pius X., war ein theologischer Stillstand eingetreten, der die Ablehnung der historischen, philologischen und biologischen Erkenntnisse der modernen Wissenschaften zur Folge hatte, besonders wenn diese der traditionellen Schriftauslegung oder der beherrschenden thomistischen Metaphysik widersprachen. Der Papst warf den Modernisten vor, den methodischen Agnostizismus, die wissenschaftlichen Methoden, den vitalen Immanentismus, den Symbolismus und Evolutionismus zu unterstützen.

"Die Enzyklika bezeichnet den Modernismus als "Gefäß aller Häresien", seine Wurzeln seien lügnerische Doppelzüngigkeit und stolze Überheblichkeit über die höchsten anerkannten Autoritäten... Rom begnüge sich nicht mit der Verurteilung der 65 Sätze, sondern errichte auch ein verstärktes Überwachungssystem... Pius X. schuf... eine rudimentäre Presseagentur, die Informationen über die katholischen Publikationen... sammelte und auch vertrieb... Der Heilige Stuhl... erklärte, außer in Deutschland, den "Antimodernisteneid" weltweit für obligatorisch, der Kleriker und Seminaristen zwang, die Verurteilungen von 1907 zu unterschreiben... Es gab Anzeichen, dass man sich kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges der verheerenden Auswirkungen dieser übertrieben defensiven Strategie bewusst wurde:"

Die Inferiorität sollte dem Selbsterhalt des Katholizismus dienen, hatte sich aber als hinderlich für die Durchsetzung der katholischen Interessen erwiesen. Die Folge der Inferioritätsdebatte war der Bedeutungsverlust der Katholiken in der Literatur und in den Spitzenpositionen von Staat und Wirtschaft.

"Seit dem Tode Eichendorffs (1857) und Adalbert Stifters (1868) gab es keinen katholischen Schriftsteller mehr, dem der Durchbruch in die deutsche Nationalliteratur gelungen wäre. Was im katholischen Milieu als katholische Literatur angepriesen wurde, besaß einen klerikal erbaulichen Charakter...Auch Carl Muth band die Autonomie der Kunst auf eine abstrakte Weise an Moral und Religion im kirchlichen Sinne zurück... Wie massiv die Vorurteile waren, die hier Barrieren bildeten, zeigt die Reaktion auf die Romane der Österreicherin Enrica von Handel-Mazzetti (1871- 1955). In ihrem Roman Jesse und Maria (1904-06), dessen Handlung zurzeit der Gegenreformation spielte, hatte sie es gewagt, einen Protestanten positiv, die katholischen Seite in weniger sympathischem Licht darzustellen. Die erregten Stellungnahmen des Publikums führten zu einem mit großer Heftigkeit geführten Literaturstreit, der in seiner Verquickung mit dem theologischen Antimodernismus fast zu einer kirchlichen Verurteilung des Hochlands führte.

"Die Konzentration der deutschen Katholiken auf ihre politische und soziale Emanzipation mit ihrer unweigerlichen Tendenz zur Absonderung in einem bestimmten Milieu führte zu einer Betonung des konfessionell-kirchlichen und moralisierend-pädagogischen Elements. Darunter musste die Autonomie des literarischen Schaffensprozesses leiden."

In dieser Situation forderte P. Expeditus Schmidt, Germanist, Literaturkritiker und -historiker aus dem Orden des heiligen Franziskus, die Katholiken zu einem mutigen und kompetenten literarischen Schaffen auf, zu einem Literalismus, vergleichbar mit dem Journalismus, wie er in den Geisteszentren und Großstädten gepflegt würde. Die schreibenden und lesenden Katholiken sollten den Überblick, die Lebenskenntnis und die Anerkennung wiedergewinnen.

P. Expeditus "gehörte zu den Vertretern der gemäßigten Richtung innerhalb der von Carl Muth initiierten und fortschrittlichen Literaturbewegung." Schon früh hatte er sich dem literaturpolitischen Programm Carl Muths angeschlossen und sich in die Auseinandersetzung mit den restriktiven Kräften seiner Zeit, die von Antimodernismus und katholischer Inferiorität bestimmt waren, begeben.

Dass der Franziskaner ein mutiger und eigenständiger Verfechter seiner Positionen war, verdeutlicht schon sein sehr ungewöhnlicher Lebenslauf. Obwohl er dem Orden Dank schuldete wegen seiner Aufnahme, erwies er sich in allen Phasen seines Wirkens, dass er nicht angepasst war und überzeugt seinen Weg ging.

Seinen Werdegang entwarf der damals schon (um 1910) zum Literaturhistoriker und begehrten Redner avancierte P. Expeditus in "Vom Lutheraner zum Franziskaner". Diese Biografie bezeichnete er als Konvertiten-Briefe, die der knapp dreißigjährige als P. Revocatus an einem "lieben alten (katholischen) Freund" richtete. 1915 wurden diese 30 Briefe, in denen er seinen Lebensweg rückblickend einordnete, inhaltlich unverändert herausgegeben, nachdem sie erstmals 1898-1900 in der Zeitschrift Antonius von Padua1 veröffentlicht worden waren. Gewidmet ist das Buch den verewigten priesterlichen Freunden des Briefschreibers... Theodor Sailer, weiland Stadtpfarrer von St. Martin und P. Valerian Müller O.F.M., weiland Guardian bei Maria Loreto in Landshut".

Neben dem biografischen Werk steht ein Sammelband der Hauptthemen und -anliegen der Forschungen und Vorträge des Paters. Die Anregungen. Gesammelte Studien und Vorträge, gewidmet dem Ordensgeneral P: Dionysius Schuler, enthalten Beiträge über Hrotsvith von Gandersheim, Schiller, Eichendorff, Henrik Ibsen (4 Artikel), Wilhelm Kreiten S. J. und Goethes Faust. Daneben steht ein Essay über die Berechtigung historischer Dramen in Deutschland und über Grundidee und Reuemotiv in Goethes Faust. Das letztere Thema war spezielles Forschungsobjekt des Kritikers, 1923 und 1930 stellte er die Ergebnisse in einem Buch vor. Studien über Calderon konnte er in Madrid betreiben. Das geplante Werk über das spanische Theater konnte er nicht abschließen. In der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, als die Inferiorität überwunden schien, befasste sich der Franziskaner mit der Aufführung und Kritik von Stücken,

Folgender Beitrag aus Conzemius, Victor: Die katholische Kirche, in: Die Geschichte des Christentums a. a. O. 652f.


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