Ruedi Studer

Der Prozess gegen Captain Henry Wirz
und seine Hintergründe 1865

Band 5 der Schriftenreihe: Berner Forschungen zur Neuesten Allgemeinen und Schweizer Geschichte

Abstract / Rezension


Der amerikanische Bürgerkrieg war ein düsteres Kapitel in der amerikanischen Geschichte. Und innerhalb des Bürgerkriegs gehörte die Kriegsgefangenen-Thematik zu den bittersten Erfahrungen, welche die Nation in den letzten Kriegsjahren und nach dem Krieg beschäftigte. Das Schicksal des Schweizers Henry Wirz war untrennbar mit dieser Thematik verbunden. Als Lagerkommandant von Andersonville wurde er für die unhaltbaren Zustände im grössten Gefangenenlager des Südens mitverantwortlich gemacht. Nach dem Krieg wurde Wirz wegen Verschwörung gegen das Leben von US-Gefangenen sowie der Ermordung von zehn Gefangenen für schuldig befunden und am 10. November 1865 dafür gehängt. Die eigentliche Basis für den Prozess gegen Wirz bildete die Behandlung der Kriegsgefangenen durch den Süden bzw. deren völlig unzureichende Versorgung in den letzten beiden Kriegsjahren. Aufgrund der unmenschlichen Zustände in den Lagern litten nicht nur mehrere zehntausend Gefangene an Krankheiten, zehntausende starben auch in Gefangenschaft. Andersonville verzeichnete einen traurigen Rekord: Knapp 13'000 von 45'000 Gefangene starben dort.

Die Kriegsgefangenen wurden allerdings erst mit dem Scheitern eines Austauschabkommens zu einem grossen Problem. Für die zunehmende Anzahl Gefangener mussten entsprechende Lager errichtet werden. Weder der Norden noch der Süden waren auf diese Situation vorbereitet. Sporadisch stattfindende, kleinere Gefangenenaustausche konfrontierten die US-Regierung und die nordstaatliche Bevölkerung mit den Schrecken der Lager. Die darauf folgende Empörung der nördlichen Öffentlichkeit richtete sich aber nicht nur gegen die Konföderation, sondern teilweise auch gegen die eigene Regierung, welche den Gefangenenaustausch vordergründig wegen der "Schwarzen-Frage" beendet hatte. Wirz war diesbezüglich für die Verantwortlichen der Regierung ein willkommener Sündenbock, um von der eigenen Verantwortung abzulenken und den Süden anzuprangern.

Männer wie US-Kriegsminister Edwin Stanton und Oberstaatsanwalt Joseph Holt sowie Kreise radikaler Republikaner waren davon überzeugt, dass die Konföderation ihre Gefangenen absichtlich schlecht behandelte. Sie glaubten an eine gross angelegte Verschwörung zur Zerstörung der Leben von US-Gefangenen, womit die Unionstruppen geschwächt werden sollten. Auch hinter der Ermordung Präsident Lincolns vermuteten sie die konföderierte Führung als Drahtzieherin. Stanton und Holt unternahmen alles, um der konföderierten Regierung eine Verbindung mit diesen Komplotten nachzuweisen. Ein erster Versuch im Prozess gegen die Mörder Lincolns scheiterte. Deshalb fokussierten sie ihre Anstrengungen auf den Wirz-Prozess. Dem rangmässig untergeordneten Wirz galt es, seine Komplizenschaft in einer Verschwörung zu beweisen, wodurch indirekt auch die Komplizenschaft seiner Mitverschwörer - der konföderierten Führung - bewiesen sein würde. Diese Strategie scheiterte aber.

Die nördliche Presse hatte einen grossen Einfluss auf Wirz' Bild in der Öffentlichkeit. Bereits im Vorfeld des Prozesses hatte die Presse ihr mehrheitlich negatives Urteil über Wirz gefällt, rückte den unglücklichen Lagerkommandanten vor allem im Sommer und Herbst 1865 ins Zentrum der Öffentlichkeit und machte ihn zum Synonym für alles Böse. Ein weiterer Faktor, der sich zu Ungunsten Wirz' auswirkte, war seine vermeintlich deutsche Nationalität. Der in den zwei Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg zunehmende, mit Ausländerfeindlichkeit verbundene Nativismus trug latent zu einem negativen Bild von Wirz bei.

Einen grossen Einfluss auf den Prozessausgang hatte auch die damalige Rechtsordnung. Der Fall Wirz wurde vor einer Militärkommission verhandelt, wobei die Verteidigung kaum über Interventionsmöglichkeiten verfügte. Die juristische Macht konzentrierte sich weitgehend in den Händen des Staatsanwalts, der gleichzeitig Berater der Militärkommission war, die gleichzeitig als Jury fungierte. Im Gerichtssaal waren damit die Chancen ungleich verteilt.

Schliesslich fehlte es Wirz an gewichtiger Unterstützung. Die ganze Welt schien sich von ihm abgewendet zu haben. Einzig einer seiner Verteidiger, Louis Schade, kämpfte bis zum Schluss für das Leben seines Mandanten. Mögliche Unterstützer aus dem Süden hielten sich zurück. Selbst Wirz' Landsleute wandten sich von ihm ab.

Wie das Buch aufzeigt, beeinflussten nicht ein paar wenige, sondern ein ganzes Bündel von Faktoren Wirz' Schicksal. Henry Wirz war nach dem Krieg geradezu die geeignete Person, um den durch Stanton und seine Anhänger sowie durch die Presse angeheizten Rachedurst des siegreichen Nordens, der durch die Behandlung seiner Gefangenen und die Ermordung Lincolns voller Hassgefühle gegen den Süden war, vorerst zu stillen. Wirz endete sowohl als Stellvertreter für die verruchte Konföderation, als auch für das Versagen des Gefangenensystems sowie für seinen verstorbenen Vorgesetzten John H. Winder am Galgen. Dass er schliesslich aber als einziger regulärer Armeeangehöriger auf dem Schafott landete, mag mit der Amnestierungspolitik von Präsident Andrew Johnson zusammenhängen, welche manchen Konföderierten vor einer Strafverfolgung bewahrte. Henry Wirz ging als Verschwörer, Kriegsverbrecher und Mörder auf der einen, als Kriegsheld, Märtyrer und Sündenbock auf der anderen Seite in die amerikanische Geschichte ein.

Folgende Rezension erschien in der ASMZ Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift, Nr. 7/8 2006


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