Ulrich L. Lehner

Klostergericht und -kerker.

Der „Criminalprocess der Franciscaner“ (1769)

Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit Band 15

Rezension


Die Geschichte der klösterlichen Strafkultur ist ein umfangreiches Forschungsgebiet, das bislang allerdings erst in Ansätzen erforscht ist. Bekannt ist, das es seit Beginn des klösterlichen Lebens unterschiedliche Maßnahmen gab, Verfehlungen gegen die Ordensregeln zu bestrafen. Einschlägige Studien fehlen jedoch weitgehend. Zu den zentralen Dokumenten der katholischen Aufklärung in Deutschland zählt das Werk des Criminalprocess der Franciscaner, von dem jetzt Ulrich L. Lehner, Professor für Theologie- und Kirchengeschichte der Neuzeit an der Marquette Universität von Milwaukee (USA) und ausgewiesener Fachmann für die Aufklärungstheologie, einen Nachdruck veranstaltet hat. Nach Lehner ist ein wichtiger Grund für dieses Forschungsdefizit darin zu sehen, das es ganz offensichtlich einen in den "Ordenssatzungen festgelegten Vertuschungsgrundsatz" (5. III) gab: "Straffällig gewordene Mönche und Nonnen waren für jeden Orden eine Schande und die Aufrechterhaltung des guten Rufes (fama ordinis) einer Religiosengemeinschaft von grundlegender Bedeutung. Daher wurden Dokumente eines Prozesses gegen einen kriminellen Mönch nach Urteilsverkündung meist zerstört" (5. III). Selbst gegenüber obrigkeitlichen Stellen wurden ordensinterne Kriminalprozesse im 18. Jahrhundert geleugnet. Die Todesstrafe, die gegenüber Klerikern vermieden werden sollte, wurde in Klöstern zumeist in ewige Klosterhaft umgewandelt. Verbrechen wie die Apostasie, versuchte Eheschließung, Diebstahl, Sexualdelikte oder Abtreibung wurden mit Klosterkerker bestraft. Das nun vorliegende Werk ermöglicht einen ersten guten Einblick in die klösterliche Strafkultur. Bei diesem Werk handelt es sich um eine Anthologie einschlägiger kanonistischer Texte des 18. Jahrhunderts in deutscher Sprache, mit der ein bis heute unbekannter Verfasser das seiner Meinung nach unrechte Handeln in den Klöstern der literarischen aufgeklärten Öffentlichkeit bekannt machen wollte. Als Quellen dienten dem Verfasser eine Reihe von kanonistischen Lehrbüchern. In zehn Kapiteln werden die Leser ausführlich in die Praxis der klösterlichen Gerichtspraxis und in die klösterliche Strafkultur eingeführt. Das Werk enthält auch eine prägnante Einführung in die "verschiedenen Arten der Torturen" (S.107). Entsprechende Protokolle von solchen Folterungen sind im Werk enthalten. Auch Zeugen, ja selbst die Opfer konnten durch die Folter gezwungen werden, die Wahrheit zu sagen. Ein zu dem Prozeß hinzugezogener Advokat muß "aus Liebe Gottes und zur Erhaltung der Ehre des Ordens bey Weltleuten die ganze Sache" sein Leben lang verschweigen (S.120). Ohne Zweifel bringt der vorliegende Nachdruck viele Aspekte einer bis heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Strafpraxis ans Licht. Eine kenntnisreiche Einleitung des Herausgebers rundet das Bild eines Reprints ab, der kulturgeschichtlich weiterführend ist.

Dirk Fleischer


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