Band 9
Klösterliche Sammelpraxis in der Frühen Neuzeit

Herausgegeben von Georg Schrott und Manfred Knedlik


Rezension


 

Obwohl Sammlungsgeschichte seit geraumer Zeit eng in den Fokus der kunsthistorischen und kulturwissenschaftlichen Forschung geraten ist, hat man sich bislang wenig für die Sammelpraxis europäischer Klöster interessiert. Dies ändert sich nun mit dem vorliegenden Aufsatzband, der Bibliotheken, Gärten, Kunst- und Wunderkammern und andere Spezialsammlungen aus Klöstern des 16.-19. Jahrhunderts unter die Lupe nimmt. In seinem einleitenden Artikel erklärt Georg Schrott, Ziel der Publikation sei, erste Ansätze zu einer Typologie klösterlicher Sammlungen zu liefern (8-11). Entscheidend ist hierbei Schrotts Definition des Sammlungsraumes als Heteropie, in der sich die institutionelle Identität dialektisch konstituiert: Im Kloster bietet sich die Sammlung als Medium an, um der Welt in einem institutionellen Raum zu begegnen, der sonst von Klausur und Regel definiert wird. Zugleich sprengt die Sammlung die klosterspezifischen Grenzen und bewirkt nicht selten einen Bruch mit der traditionellen klösterlichen Lebensweise (47-48). Diese dialektische Identitätsfindung widerspiegelt sich in einer Reihe widersprüchlicher Leitideen, die für klösterliche Sammlungen und Sammler kennzeichnend sind: Weltflucht versus Weltaneignung, Humilitas versus Sammlerstolz, Askese versus Besitztum, Wort versus Gegenständlichkeit (54-63).

Als Sammlungsraum kommt seit jeher der Bibliothek große Bedeutung zu. Sie ist der Wissensspeicher des Klosters und als solcher auch ein Politikum, wie der Aufsatz von Alois Schmid verdeutlicht. 1595 und 1610 hatte Maximilian I. Verzeichnisse von Bibliotheksbeständen und gar einzelne Bände aus verschiedenen bayerischen Klöstern nach München schicken lassen, um die bayerische Geschichte neu zu bearbeiten und dadurch die Stellung der Wittelsbacher als regierendes Geschlecht im Herzogtum Bayern zu konsolidieren. Während die Handlung des bayerischen Herzogs Probleme der Autoritätszuweisung im Umgang mit klösterlichem Gut aufwirft (87), ist bemerkenswert, dass die Bibliothek auch außerhalb der Klostermauer als identitätsstiftende und legitimierende Sammlung wahrgenommen und instrumentalisiert wurde. Neben der Bibliothek setzte sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts ein zweiter Sammlungstypus im Kloster durch: Die Wunderkammer, oft auch Raritätenkammer oder Naturalienkabinett genannt, war meistens direkt neben der Bibliothek untergebracht und für Besucher ebenso bedeutend wie diese, so beispielsweise in Sankt Gallen (Aufsatz von Karl Schmuki, 183-220).

Die Aufsätze des vorliegenden Sammelbandes deuten darauf hin, dass das 18. Jahrhunderts die Blütezeit der Wunderkammer im Kloster war. Das ist sehr spät, wenn man bedenkt, dass die fürstlichen Wunderkammern tendenziell zu Beginn des 18. Jahrhunderts aufgelöst bzw. umgestaltet wurden, um die Entstehung von Spezialsammlungen wie die naturwissenschaftliche Sammlung, die Gemäldegalerie, die Pretiosensammlung, das Kupferstichkabinett etc. zu fördern. Doch eins hatten fürstliche und klösterliche Sammlungen in dieser Zeit gemeinsam: Sie waren öffentlich. Die Klausur wurde in Bezug auf die Sammlungen aufgehoben - auch im Garten, der häufig als Sammlung lebender Spezimena galt und somit auch zugänglich sein sollte für Auswärtige, geistliche oder weltliche, männliche oder weibliche Besucher. Dabei wurde die Öffentlichkeit klösterlicher Sammlungen im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einem wesentlichen Argument, um die Legitimität dieser religiösen Institution zu unterstreichen und ihr Überleben in einer Umbruchszeit zu sichern. Besonders einleuchtend ist in dieser Hinsicht der Aufsatz von Hedvika Kucharová über die Sammelpraxis des Prämonstratenserstiftes Strahov (Prag) am Ende des 18. Jahrhunderts. Damals baute das Stift Strahov nicht nur bedeutende Sammlungen auf, sondern richtete auch neuen Räume zu deren Unterbringung ein: So entstand ab 1782 ein aufwendiger Neubau für die Bibliothek mit dem angrenzenden naturwissenschaftlichen Kabinett, der Gemälde- und Kunstgewerbesammlung. In derselben Zeit wurden mehrere Prämonstratenserklöster aufgelöst. Den Prälaten von Strahov gelang es aber, ihr Stift als kulturelle Institution darzustellen, deren Existenzberechtigung sich größtenteils aus dem öffentlichen Charakter seiner Sammlungen speiste (243-244). Diese Strategie der Eigenlegitimierung ging auf: Der Kaiser bestätigte die Privilegien des Stiftes und mit der Vollendung des Bibliotheksaals 1797 erlebte das Kloster einen beachtenswerten Zustrom an Besuchern.

Auch die pädagogische Nutzung von Sammlungen ist Bestandteil der Legitimierungsstrategie, die offenbar die Entstehung und Erweiterung klösterlicher Kollektionen seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bedingte. Ein gutes Beispiel dafür ist Kremsmünster. Der Bau der berühmten Sternwarte (1749-1758), die Platz für eine geräumige Raritätenkammer bot, ging mit der Neugründung der Klosterschule und der Einrichtung der Ritterakademie einher. Der Zusammenhang zwischen Sammel- und Lehrbetrieb wird besonders an den Botanikbeständen von Kremsmünster deutlich, die bis ins 20. Jahrhundert hinein Bestandteil des Unterrichts waren und zugleich durch den Forscherdrang der Lehrer erweitert wurden (Aufsatz von Amand Kraml, 325-362).

Eine der Kernfragen in Bezug auf klösterliche Sammlungen ist, inwieweit diese zur Konstruktion einer Eigenidentität beitrugen. In der fürstlichen Kunst- und Wunderkammer spielten Exponate wie Drechselpokale, wissenschaftliche Geräte oder noch Werkzeuge auf die Fähigkeit des Regenten an, die Gesellschaft wie ein Kunstgebilde zu gestalten. [1] So darf man erwarten, dass die Sammlungsbestände einer klösterlichen Kollektion auch auf die Eigenschaften des Klosters als religiöse Institution symbolisch hindeuten. In verschiedenen Aufsätzen wird auch darauf hingewiesen. So können die türkischen Etnographica im Raritätenkabinett von Sankt Gallen als Symbol des Sieges des Christentums über die Heiden interpretiert werden (39, 193). In der Münzsammlung desselben Klosters kam zudem der Serie von Medaillen mit Papstporträts besonderer Bedeutung zu (198). Auch Naturobjekte konnten als religiöse Semiophoren [2] gelten: Pflanzensammlungen wurden beispielsweise nach dem Arche-Noah-Prinzip angelegt, indem grundsätzlich ein weibliches und ein männliches Spezimen aufbewahrt wurde (55, 346). Trotz vereinzelter Hinweise bleibt jedoch die Frage offen, ob und inwieweit die klösterliche Sammlung im Sinne einer institutionellen Identitätsstiftung instrumentalisiert wurde. Befremdlich ist ebenfalls der enge Fokus des Sammelbandes: Untersucht werden vor allem Sammlungen aus süddeutschen, böhmischen, österreichischen und schweizerischen Klöstern. Diese geographische Beschränkung widerspiegelt sich auch in die lobenswerte Auswahlbibliographie, die Georg Schrott zusammengestellt hat (391-413). Doch wird sie nicht begründet. Und man muss sich schließlich doch wundern, warum bekannte Sammlungen wie die des Klosters Sainte-Geneviève in Paris nicht berücksichtigt, nicht einmal erwähnt werden, zumal in diesem Falle gedruckte Quellen vorliegen. [3] Ob vielleicht auch die Kunstkammer, die Athanasius Kircher im Collegium Romanum in Rom aufbaute, eine Rolle bei der Konstitution klösterlicher Sammlungen im untersuchten Raum spielte? Der Verdienst der Autoren liegt eben darin, erste Ansätze zu einer Typologie klösterlicher Sammlungen zu liefern. Somit ist eine wichtige Grundlage zur Erforschung klösterlicher Sammlungen in der Frühen Neuzeit gelegt, auf der zukünftig aufgebaut werden kann.


Dr. Virginie Spenlé, München




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