Band 22
Karl-Friedrich Kemper
RELIGIÖSE SPRACHE ZWISCHEN BAROCK UND AUFKLÄRUNG
Katholische und protestantische Erbauungsliteratur des 18. Jahrhunderts in ihrem theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Kontext

Rezension



 

Eine systematische historische Untersuchung der Fülle von Andachts- und Gebetbuchliteratur am Übergang vom Barock zum Zeitalter der Aufklärung ist ein Forschungsdesiderat sowohl der Liturgiewissenschaft als auch der Kirchengeschichte und tangiert inhaltlich darüber hinaus die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche Geschichte, Sprach-, Literatur- und Politikwissenschaft sowie Volkskunde. In den letzten Jahren ist die Erkenntnis gewachsen, dass hierfür ein interdisziplinäres Gespräch notwendig ist, das in mehreren liturgiehistorischen Studien auch geführt wurde. Ein weiterer Schritt der Erschließung umfangreicher Quellen aus der christlichen Gottesdienst- und Frömmigkeitsgeschichte ist die vorliegende Arbeit, mit der Karl-Friedrich Kemper auf über 1000 Seiten katholische und protestantische Erbauungsliteratur erfasst und in einen theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Kontext stellt. Sie beruht auf einem 1970 begonnenen, aber damals nicht fertig gestellten Promotionsprojekt des Autors und wurde von ihm nach seiner Pensionierung nun zu Ende gebracht.


Die Studie gliedert sich in zwölf inhaltliche Kapitel, von denen das erste als Einleitung und das zwölfte als zusammenfassender Überblick - hier Rückblick genannt - den Rahmen der Arbeit bilden. Danach folgen Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Personenregister als Kapitel 13 und 14. In der Einleitung (15-41) werden historische Einordnung, Rezeption, Forschungsstand und Bedeutung der untersuchten Quellen beschrieben sowie sprachphilosophische Modelle und Theorien im Hinblick auf die Gattung christlicher Erbauungsliteratur bedacht. Das zweite Kapitel (42-121) geht der Bedeutung von so genannter traditioneller und aufgeklärter Erbauungsliteratur auf den Grund und berücksichtigt protestantische und katholische Quellen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. Leben und Werk des deutschen Kapuziners Martin von Cochem sind Gegenstand des dritten Kapitels (122-215). Dabei werden u. a. sein Gebetsverständnis, eine exemplarische Auswahl seiner Werke sowie sein darin sich ausdrückender Wortschatz und seine religiösen Vorstellungen en détail beschrieben. Diese Gesichtspunkte bleiben "grosso modo" auch für die danach vorgestellten Autoren aus Barock und Aufklärung wichtig. Als Vertreter protestantischer Barockfrömmigkeit wird im vierten Kapitel (216-268) Benjamin Schmolck vorgestellt. Das nächste Kapitel (269-530) dokumentiert umfangreich den Übergang zum Zeitalter der Aufklärung und seines Anspruchs an Religion, (Gebets-)Sprache und Frömmigkeit. Spezifika protestantischer Aufklärungsfrömmigkeit werden im sechsten Kapitel (531-586) anhand des reformierten Schweizer Theologen Georg Joachim Zollikofer untersucht. Sein katholisches "Pendant" ist im siebten Kapitel (587-596) der aus Franken stammende Karmelit Thaddäus Anton Dereser. Den quantitativen Schwerpunkt des Abschnitts über aufgeklärte Erbauungsliteratur bildet die Darstellung von Leben und Werk des einmal so genannten "bayerischen Kirchenvaters" Johann Michael Sailer und dessen Bedeutung als Erbauungsschriftsteller im achten bis elften Kapitel (597-936), was alleine dem zu erwartenden Umfang einer Dissertation gleichkommt. Dabei wird vor allem Sailers "Lese- und Betbuch" von 1783 in seiner theologischen Konzeption, in seiner Gebetssprache wie auch in seiner Rezeptionsgeschichte wahrgenommen.


Am Ende eines "langen Weg[es] durch die Erbauungsliteratur des 18. Jahrhunderts" (937), wie der Autor in seinem Rückblick zutreffend feststellt, ist sein "Opus magnum" in seinem Wert für die Forschung zu würdigen. Die hauptsächliche Stärke der sauber gearbeiteten Studie liegt in ihrer umfassenden Wahrnehmung und Beschreibung vieler wichtiger Werke der christlichen Tradition von Erbauungsliteratur, die in der Tat noch zu wenig erforscht wurde. Allerdings ist dies an manchen Stellen gleichzeitig die Schwäche der Arbeit, da der Verfasser auf der deskriptiven Ebene stehen bleibt und so eine Fülle von Fakten, Daten und Namen katalogisch aneinanderreiht, dass zum Teil die Übersichtlichkeit und damit auch die Aussageabsicht verlorengeht. Eines der vielen Beispiele dafür ist die Aneinanderreihung von Buchtiteln auf über zwei Seiten im Kapitel über Sailers Literaturrezeption (645-646). Auch fragt man sich, ob alle Tabellen und die Vielzahl der direkten Zitate wirklich im laufenden Text stehen müssen oder nicht in einem Anhang besser aufgehoben gewesen wären. Zudem bleiben viele lange Zitate (wie z. B. ab 313) unkommentiert und heben sich zum Teil vom Fließtext zu wenig ab. Vielleicht hätten auch Zwischenresümees nach den einzelnen Kapiteln geholfen, eine bessere Lesbarkeit der Studie zu gewährleisten. So bleibt der Wunsch, dass trotz dieser Begrenzungen der Fleiß und die Leistung des Autors die notwendige Rezeption und Weiterführung findet.


Stefan Kopp



   
   
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