Band 22
Karl-Friedrich Kemper
RELIGIÖSE SPRACHE ZWISCHEN BAROCK UND AUFKLÄRUNG
Katholische und protestantische Erbauungsliteratur des 18. Jahrhunderts in ihrem theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Kontext

Rezension



Dass auch die Liturgiewissenschaft die Gebets- und Erbauungsliteratur inzwischen längst als instruktive Quellen der Liturgie- und Frömmigkeitsgeschichte wahrnimmt, stellt keine neue Erkenntnis dar. Spätestens seit den Studien von Kurt Küppers oder Philipp Gahn (vgl. LJ 58. 2008, 170 - 172) ist die Bedeutung dieser Quellengattung für unser Fach unbestritten. Andachtsbücher gehören inzwischen zu den liturgiewissenschaftlichen Forschungsobjekten. Denn ihre inhaltliche Gestaltung und Ausrichtung, ihre Gebets- und Andachtsmotive, ihre Auflagen und Überarbeitungen, bis hin zu den konkret ablesbaren Gebrauchsspuren geben einen hervorragenden Einblick in die "praxis pietalis" der Gläubigen und in die Formen der privaten und gemeinschaftlichen Frömmigkeit ("Hausliturgie") und sind damit Teil des umfassenden gottesdienstlichen Lebens.


Es ist darum sehr erfreulich, dass mit dem hier zu besprechenden voluminösen Band ein weiteres Werk zu dieser Buchgattung vorliegt. Die Studie nimmt dabei vor allem die grundlegenden Veränderungen von der Barockzeit zur Aufklärung in den Blick. Sie war ursprünglich als germanistische Untersuchung angelegt, die den Wandel der religiösen Sprache im 18. Jahrhundert nachzeichnen wollte, wuchs sich aber nach einer zeitlichen Unterbrechung zu einer kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlichen Arbeit aus, wenngleich das sprachgeschichtliche Interesse leitend blieb. Denn in der Umbruchszeit der Aufklärung erfuhr nicht allein der Wortschatz in der Erbauungsliteratur einen fast völligen Austausch, gleiches galt auch für die religiösen Motive und deren metaphorischen Konzepte, hinter denen gewandelte theologische Anschauungen standen, die nach neuen Ausdrucksformen suchten. Insofern bietet die Studie einen in jeder Hinsicht gewichtigen Beitrag zur Frömmigkeitsgeschichte.


Nach einleitenden Hinweisen zu religiösen Sprachformen stellt Vf. die Bedeutung der Erbauungsliteratur heraus und gibt eine sehr instruktive Übersicht über die wichtigsten Autoren und Werke protestantischer und katholischer Provenienz vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Dabei wird deutlich, dass traditionelle (barock-pietistische) und aufgeklärte Literatur weitgehend nebeneinander existierten, im Zuge der restaurativen Tendenzen des 19. Jahrhunderts die älteren Frömmigkeitstraditionen sogar wieder auflebten. Ebenso fällt auf, dass vor allem die katholische Erbauungsliteratur in Barock und Aufklärung weitaus reichhaltiger war, als dies bislang wahrgenommen wurde.


Nachfolgend konzentriert sich Vf. auf die Analyse barockzeitlicher Erbauungsbücher: Dazu greift er auf Martin von Cochems (1634 - 1712) "Baum-Gärtlein" (1675) und "Großer Baum-Garten" (1740/60) sowie Benjamin Schmolcks (1672 - 1737) "Andächtiger Hertzen Bet-Altar" (1741) zurück und erläutert jeweils Wortschatz und religiöse Vorstellungen (122 - 268). Nach einem orientierenden Kapitel, das Religion und Sprache unter dem Einfluss der Aufklärung skizziert (269 - 530) und deren Sprach- und Frömmigkeitskritik nachzeichnet, darunter auch gebührend die Bemühungen um Übersetzungen der lateinischen Messliturgie und die Forderung nach der Volkssprache vor allem bei den Sakramentlichen Feiern und beim Stundengebet zur Kenntnis nimmt (478 - 525), stellt der Vf. zwei Werke der protestantischen und katholischen Aufklärungsfrömmigkeit vor (531 - 596): die "Andachtsübungen und Gebete" (1785 - 93) von Georg Joachim Zollikofer (1730 - 1788) und das bekannte "Deutsche Brevier" (1792) von Thaddäus Anton Dereser (1757 - 1827). In Kontrast zu den genannten Werken aus Barock- und Aufklärungszeit widmet sich Vf. schließlich Johann Michael Sailer (1751 - 1832) und seinem 1783 erschienenen Lese- und Betbuch (597 - 818), dessen Gebetssprache er eingehend untersucht (819 - 903) und dessen konfessionell höchst unterschiedliche Rezeption in der Folgezeit er nachgeht (904 - 936). Sai1er greift die positiven Aspekte der Aufklärung auf, so die Hinwendung zur Schrift, die adressatenbezogene Gestaltung und die ökumenische Öffnung. Sie kennzeichnen sein Bemühen um ein zeitgemäßes Gebets- und Erbauungsschrifttum.


Festzuhalten bleibt, dass die barocke Erbauungsliteratur bis weit ins 18. Jahrhundert von den konfessionellen Differenzen bestimmt war, während vor allem ab der Mitte des 18. Jahrhunderts eine Annäherung der Konfessionen in Theologie und Frömmigkeitspraxis erkennbar ist. So gab es katholische Autoren (Maria Joseph Clement Kauckol, Matthäus Vogel, Eusebius Amort u. a.), deren Werke "einen Übergangstypus zur Aufklärung hin darstellen" (938) und in Sprache und Metaphorik merklich nüchterner und etwa in der Heiligenverehrung zurückhaltender werden. Demgegenüber weist die aufgeklärte Erbauungsliteratur deutliche Veränderungen auf. Ganz im Sinne der religiösen Volksbildung wandelt sich das Gottesbild vom strengen Richter zum Schöpfer, tritt das Kreuzesopfer Christi gegenüber der Betrachtung des vorbildlichen Lebens Jesu zurück und hebt man das Wesentliche des Christentums hervor. Spielte in barockzeitlichen Büchern das traditionelle Marienoffizium eine wichtige Rolle, sucht man es in den Büchern der Aufklärungszeit vergeblich. Demgegenüber erlebt die Vesper in deutscher Sprache einen Aufschwung. Die Übersetzungen der Messliturgie gehören in jener Zeit gar zum festen Bestandteil katholischer Erbauungsliteratur. Hier wird sichtbar, dass die Reformanliegen der Aufklärungsliturgie auch in die private Frömmigkeit hineinwirken sollten.


Wenngleich die vorliegende Studie sicher einem stärker germanistisch-linguistischen Interesse folgt, bietet es doch auch für den Kirchen- und Liturgiehistoriker eine lohnende Lektüre. Vor allem das reiche Quellen- und Literaturverzeichnis (946 - 1034) ist beachtenswert.


Jürgen Bärsch



   
   
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