Band 1

Martin Knutzen
Philosophischer Beweis von der Wahrheit der christlichen Religion (1747)


Eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Ulrich L. Lehner

Rezension

Nicht zu verwechseln mit dem älteren Matthias Knutzen, dem Atheisten, ist der Königsberger Philosophieprofessor Martin Knutzen (1713-1751), der Lehrer von Kant. Nachdem seine Logik durch einen photomechanischen Nachdruck schon seit etlichen Jahren wieder vorliegt, ist jetzt auch sein Philosophischer Beweis von der Wahrheit der christlichen Religion wieder zugänglich. Aus Rücksicht auf die banausische Abneigung gegen Frakturschrift wurde der Text diplomatisch getreu neuerfaßt. Ob Hemmschwellen so abgebaut werden, steht dahin: Respekt vor der Interpunktion ist der vor der größten Schwäche alter Drucke. Auch die erläuternden Anmerkungen des Herausgebers zeigen sich bisweilen didaktisch überbesorgt. So populär werden gelehrte Ausgrabungen in der Regel nicht, daß Namen wie Kopernikus oder Pascal erläuterungsbedürftig wären.

Zuerst 1740 erschienen, hat der Text bis 1763 fünf Auflagen erlebt, auch in skandinavische Sprachen ist er seinerzeit übersetzt worden. Der sich hier vornimmt, von der christlichen Erlösungslehre zu beweisen, daß sie "von dem Gott der Wahrheit selbst herrühre, oder daß dieselbe die untrüglichsten Merkmale einer wahrhaften göttlichen Offenbarung an sich habe" (§ 3), ist seines Zeichens weder humanistischer Gelehrter, wie einst Hugo Grotius (De veritate religionis christianae), noch Kontroverstheologe. Ein Professor der Weltweisheit macht sich anheischig, erstens, die Notwendigkeit der Heilsveranstaltung dazutun, welche auf den stellvertretenden Sühnetod Christi zuläuft. Das impliziert, daß die Straffälligkeit des Menschen philosophisch so hoch rangiert (§§ 12-16) wie sonst eben nur in der Theologie. Zweitens steht er nicht an (S. 119ff.), auf die deistische Herausforderung hin sogar historisch den Beweis für die Wahrheit des christlichen Dogmas zu führen, den durch das Auferstehungswunder. Wie bei den katholischen Apologeten des 16. und 17. Jhs. und den von ihnen abhängigen anglikanischen Theologen des 17. Jhs., dreht sich auch bei Knutzen, der seinerseits von diesen Engländern (Tillotson u.a.) herkommt, hier alles um die Rettung der sog. "moralischen Gewißheit" gegen die Einwürfe des historischen Pyrrhonismus. Knutzen bildet den Ausläufer einer im Grunde posttridentinischen theologischen Diskursformation. Daß dieser Diskurs am Ende in Preußen angekommen ist und an der Wiege des Philosophen Kant gestanden hat, ist das eigentlich Überraschende. Speziell gegen den Deisten Matthew Tindal richtet sich noch ein Anhang (Verteidigte Wahrheit der christlichen Religion gegen den Einwurf, daß die christliche Offenbarung nicht allgemein sei), in dem der Einwand erörtert wird, daß, wäre die christliche Religion die einzig wahre, "wir Europäer allein die Lieblinge Gottes" (S. 204) wären. Knutzen findet es ganz in Ordnung, daß die Chancen zur Aneignung der Heilswahrheit global und weltgeschichtlich ungleich verteilt sind.

Gern wird heute in Bausch und Bogen die wolffianische Schulphilosophie der "Frühaufklärung" subsumiert. Mit wie zweifelhaftem Recht, zeigt der Fall Knutzen. Er bestätigt, daß es der protestantischen Schulphilosophie vorbehalten geblieben ist, die Philosophie der christlichen Glaubenswahrheit zu unterwerfen. Während es in der Scholastik nie aufgehört hat, kontrovers zu sein, ob die Bestreitung der Ewigkeit der Welt oder das Unsterblichkeitsdogma überhaupt philosophische Artikel sind, während die katholische Schulphilosophie durch ihre Distinktionen lediglich die Aufgeschlossenheit der Vernunft für das Dogma sicherzustellen gehabt hatte, ist der protestantische Schulphilosoph selber in die Arena der Kontroverstheologie gestiegen und hat das Geschäft der Apologeten übernommen. Für Knutzen ist Philosophie erklärtermaßen nicht ein im Licht des lumen naturale sich ergebender Zusammenhang, sondern (S. 191) "die Handleitung zu dem höheren Lichte". Das war eine philosophiegeschichtlich folgenreiche Weichenstellung, woran das Erzählen von Ringparabeln, das nach Knutzens Tod eingesetzt hat, nichts ändert. Weder einfach ablehnend verhielt sich die Philosophie des 18. Jhs. der Offenbarung gegenüber noch war es ausschließlich oder auch nur hauptsächlich die fideistische Skepsis, welche ihr die Stange gehalten hat. Sicher, Knutzens Grobheiten gegen Judentum und Islam (§§ 34-37) wären nachher philosophisch nicht mehr guter Ton gewesen. Aber Kants Spekulation über das radikal Böse, Schellings positive Philosophie und manches andere zeitlich dazwischen und daran im Anschluß ist das Ergebnis einer Verquickung von Philosophie und Theologie, die sich bei Knutzen nur darum oder gerade darum noch vergleichsweise harmlos ausnimmt, weil er theologisch so durchaus orthodox ist. Während der scholastische Theologe irgendwann feststellen durfte "Non minoris conditionis est philosophia theologorum, quam philosophia philosophorum", hätten Knutzen, Kant und Schelling am liebsten dagegengehalten "Non minoris conditionis est theologia philosophorum, quam theologia theologorum". Von den Gegnern wurde die theologia philosophorum freilich mit Ekel bedacht. Damit "doch auch Christen herbeigelockt werden, den Saum zu küssen", habe Kant mit dem radikal Bösen "seinen philosophischen Mantel freventlich beschlabbert." So Goethe, das Weltkind.

Mit Knutzens Text liegt der Pilotband einer Reihe vor, die interessant zu werden verspricht. Religionsgeschichte der frühen Neuzeit (RFN) ist sowohl für einschlägige Studien als auch für seltene Quellentexte des 16.- 18. Jhs. bestimmt. Publiziert wird auf deutsch, englisch und französisch. Das Lateinische soll darüber nicht zu kurz kommen. Eine wichtige Feststellung. So eröffnet sich nämlich die Aussicht auf einen Riesenkontinent, der terra incognita ist, und zwar desto unbekannter, je maßgeblicher er einst das geistige Gesicht der Epoche mitbestimmt hat. "Ich bedauere es", meinte Leibniz seinerzeit, "daß uns eine Geschichte der scholastischen Theologie und Philosophie fehlt, und ich wünschte, es käme mal einer, der, was Petau und Thomassin für den theologischen Lehrbegriff auf patristischer Basis zu leisten begonnen haben, auf scholastischer zu Ende führte. So würden wir eine bis zur Gegenwart (ad nostra usque tempora) reichende Dogmengeschichte bekommen." Der Wunsch ist mittlerweile genau dreihundert Jahre alt. In Erfüllung gegangen ist er bisher allenfalls für die prätridentinische Theologie. Was wissen wir schon über die theologischen Fakultäten, was über die Kollegien und Konvente der Gutenberggalaxie? Die Quellenlage ist, nach Säkularisierung, Bombenkrieg und wieder Säkularisierung, desolat. Jeder Untergrundautor von damals ist, dank Frommann-Holzboog (Stuttgart-Bad Cannstatt), inzwischen prominenter als die akademischen Eliten. Und die verdienstvolle Ergänzungsreihe zu den Gesammelten Werken des Christian Wolff bei Olms (Hildesheim), die den repräsentativen Schulphilosophen des 18. Jhs. kontextualisiert, zeigt sich gerade im Fach Theologie übel beraten: Anstatt den anspruchsvollsten Gegenentwurf zu Wolffs natürlicher Theologie wieder zugänglich zu machen, die Theologia naturalis des Indeterministen Christoph Stattler (1771), schadet sie den knappen Bibliotheksetats durch den Nachdruck kompendiöser Dutzendware. Vielleicht ist Ulrich L. Lehner Leibnizens Mann. Der Herausgeber der neuen Reihe ist katholischer Theologe, ein Leinsle-Schüler. Mit einer Arbeit über Kant und die Vorsehung. Der Einfluß der deutschsprachigen Schulphilosophie und -theologie auf die Providenzkonzeption Immanuel Kants hat er in München promoviert. Gegenwärtig ist er Professor für Kirchen- und Theologiegeschichte der Neuzeit an der Marquette University in Milwaukee. Lehner teilt das in den USA kultivierte systematische Interesse an Religionsphilosophie. Die Parallelen zwischen Knutzen und dem neuen spekulativen Theismus sind ihm wichtig. Das ist eine günstige Voraussetzung auch für das Erschließen neuer Quellen aus der Vergangenheit. Vorläufig hält sich die Planung verständlicherweise im Rahmen des Dissertationsthemas des Herausgebers. In Vorbereitung befinden sich Religion nach Kant. Eine Anthologie aus den Werken von K. F. Stäudlin, J. H. Tieftrunk, T. W. Krug und C. Flatt und Beda Mayr OSB - Beweis der katholischen Religion nach den Bedürfnissen unserer Zeit (1792). Man darf gespannt sein, was noch kommen wird. Der Verlag Traugott Bautz, der die Reihe betreut, hat sich dem Fachmann durch sein Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon längst unentbehrlich gemacht. Solide ausgestattet ist auch die neue Reihe. Sie soll, das ist bemerkenswert, druckkostenzuschußfrei bleiben.

PD Dr. Sven Knebel, Freie Universität Berlin


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