Rüdiger Schütt, Petra Blödorn-Meyer, Michael Mahn (Hrsg.)

Carl Friedrich Cramer

Revolutionär, Professor und Buchhändler

Rezension


Ein Kosmopolit mit Lottoglück

Er übersetzte Rousseaus Werke, veröffentlichte die von Klopstock und träumte vom geeinten Europa. Der Kieler Professor Carl Friedrich Cramer war ein Vordenker im 18. Jahrhundert. Dass man sich mit einer solchen Haltung Feinde machen kann, zeigt eine Kieler Ausstellung über das Leben Cramers.

Großen Zulauf fanden die Vorlesungen des Kieler Professors für griechische und orientalische Sprachen nicht: "Zum Sophocles kamen 8 Zuhörer, von denen nach wenigen Stunden 6 wieder verschwanden", berichtete Carl Friedrich Cramer 1789 seinem Freund Klopstock in Hamburg. Für die verbleibenden zwei Studenten hielt Cramer seine Lehrveranstaltung ~mit Ekel, aber mit derselben Mühe als für so." Schließlich war der 1752 geborene und gerade mal 40 Jahre alte Ordinarius vom Desinteresse der Hörer so frustriert, dass er gar keine Vorlesungen mehr anbot. Die Universität reagierte auf dieses "nonchalante Verhältnis zu seinem Amt" mit Gehaltskürzungen. Als Cramer sich 1794 auch noch zu den Idealen der französischen Revolution bekannte, wurde er Knall auf Fall entlassen und sogar aus der Stadt gewiesen.

Eine gescheiterte Existenz, wie es scheint. Dabei hatte alles so hoffnungsfroh angefangen! Cramers Vater Johann Andreas war deutscher Hofprediger in Kopenhagen, dann Primarius der Theologie und Prokanzler der Universität Kiel; der hochbegabte Sohn studierte Theologie in der dänischen Hauptstadt, zudem in Göttingen und Leipzig, bevor er mit 23 Jahren einen Ruf an die Kieler Universität erhielt.

Voller Eifer ging der junge Cramer weit über das Stoffgebiet seiner Professur hinaus und las nicht nur über das Alte Testament und antike Philosophie, sondern auch über zeitgenössische Literatur wie "Hermann und die Fürsten" von Friedrich Gottlieb Klopstock. Als dessen Herausgeber und Biograf erlangte er überregional Anerkennung, mit dem Verfasser des "Messias" verband ihn eine enge Freundschaft. Cramer gab außerdem ein Magazin für Musik heraus, für das die Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel und Friedemann schrieben, übersetzte eine Oper von Antonio Salieri ins Deutsche und veröffentlichte Reisetagebücher.

Nach seiner Amtsenthebung hatte Cramer Glück im Unglück. Einem Intermezzo als Privatlehrer in Hamburg folgte 1795 die Übersiedlung nach Paris. Dank eines Lotteriegewinns konnte er dort ein Haus erwerben. Der Hamburger Kaufmann Georg Heinrich Sieveking finanzierte ihm den Aufbau eine Druckerei mit eigener Buchhandlung. Der zum Staatsfeind erklärte Exilant berichtete nun aus Paris in seinen eigenen Publikationen und der in Altona erscheinenden Monatsschrift "Frankreich". Er übersetzte Texte von Rousseau und Diderot ins Deutsche, Werke von Schiller und Klopstock ins Französische. Mit Besuchern wie Wilhelm von Humboldt erörterte Cramer die Idee einer europäischen Gesamtstaatkultur und erwies sich als früher Verfechter eines modernen Europa.

Mag die Professorenkarriere des 1807 verstorbenen Cramer gescheitert sein - eine Ausstellung in Kiels Universitätsbibliothek macht auf seine eminente Bedeutung als Autor, Herausgeber, Übersetzer und Vordenker aufmerksam. Die zehn Vitrinen bergen Fotos seines Wohnhauses in Paris, Bilder, Briefe, Druckschriften und Tagebuchblätter, dazu Autographen aus seinem Umkreis wie dem Göttinger Hainbund, dem er einst angehörte, sowie die Korrespondenz mit Klopstock.

"Leider sind keine persönlichen Gegenstände überliefert", bedauert Rüdiger Schütt, der Organisator der Ausstellung. Dafür enthält eine Vitrine Leckerbissen für Besucher von jenseits der deutsch-dänischen Grenze. Darin wird Cramers Freundschaft zum dänischen Nationaldichter Jens Baggesen dokumentiert. Cramer hatte Baggesens berühmten Reisebericht "Labyrinten" übersetzt und in seiner Schriftenreihe "Menschliches Leben" veröffentlicht. Ein Stück höchst interessantes menschliches Leben hat auch die Ausstellung in Kiel eingefangen.

Kai-Uwe Scholz


Copyright © 2003 by Verlag Traugott Bautz