Ein Kosmopolit mit Lottoglück
Er übersetzte Rousseaus Werke, veröffentlichte die von Klopstock
und träumte vom geeinten Europa. Der Kieler Professor Carl Friedrich Cramer
war ein Vordenker im 18. Jahrhundert. Dass man sich mit einer solchen Haltung
Feinde machen kann, zeigt eine Kieler Ausstellung über das Leben Cramers. Großen Zulauf fanden die Vorlesungen des Kieler Professors
für griechische und orientalische Sprachen nicht: "Zum Sophocles kamen 8
Zuhörer, von denen nach wenigen Stunden 6 wieder verschwanden", berichtete
Carl Friedrich Cramer 1789 seinem Freund Klopstock in Hamburg. Für die verbleibenden
zwei Studenten hielt Cramer seine Lehrveranstaltung ~mit Ekel, aber mit
derselben Mühe als für so." Schließlich war der 1752 geborene und gerade
mal 40 Jahre alte Ordinarius vom Desinteresse der Hörer so frustriert, dass
er gar keine Vorlesungen mehr anbot. Die Universität reagierte auf dieses
"nonchalante Verhältnis zu seinem Amt" mit Gehaltskürzungen. Als Cramer
sich 1794 auch noch zu den Idealen der französischen Revolution bekannte,
wurde er Knall auf Fall entlassen und sogar aus der Stadt gewiesen. Eine gescheiterte Existenz, wie es scheint. Dabei hatte
alles so hoffnungsfroh angefangen! Cramers Vater Johann Andreas war deutscher
Hofprediger in Kopenhagen, dann Primarius der Theologie und Prokanzler der
Universität Kiel; der hochbegabte Sohn studierte Theologie in der dänischen
Hauptstadt, zudem in Göttingen und Leipzig, bevor er mit 23 Jahren einen
Ruf an die Kieler Universität erhielt.
Voller Eifer ging der junge Cramer weit über das Stoffgebiet
seiner Professur hinaus und las nicht nur über das Alte Testament und antike
Philosophie, sondern auch über zeitgenössische Literatur wie "Hermann und
die Fürsten" von Friedrich Gottlieb Klopstock. Als dessen Herausgeber und
Biograf erlangte er überregional Anerkennung, mit dem Verfasser des "Messias"
verband ihn eine enge Freundschaft. Cramer gab außerdem ein Magazin für
Musik heraus, für das die Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel und Friedemann
schrieben, übersetzte eine Oper von Antonio Salieri ins Deutsche und veröffentlichte
Reisetagebücher. Nach seiner Amtsenthebung hatte Cramer Glück im Unglück.
Einem Intermezzo als Privatlehrer in Hamburg folgte 1795 die Übersiedlung
nach Paris. Dank eines Lotteriegewinns konnte er dort ein Haus erwerben.
Der Hamburger Kaufmann Georg Heinrich Sieveking finanzierte ihm den Aufbau
eine Druckerei mit eigener Buchhandlung. Der zum Staatsfeind erklärte Exilant
berichtete nun aus Paris in seinen eigenen Publikationen und der in Altona
erscheinenden Monatsschrift "Frankreich". Er übersetzte Texte von Rousseau
und Diderot ins Deutsche, Werke von Schiller und Klopstock ins Französische.
Mit Besuchern wie Wilhelm von Humboldt erörterte Cramer die Idee einer europäischen
Gesamtstaatkultur und erwies sich als früher Verfechter eines modernen Europa. Mag die Professorenkarriere des 1807 verstorbenen Cramer gescheitert sein - eine Ausstellung
in Kiels Universitätsbibliothek macht auf seine eminente Bedeutung als Autor, Herausgeber,
Übersetzer und Vordenker aufmerksam. Die zehn Vitrinen bergen Fotos seines Wohnhauses in Paris,
Bilder, Briefe, Druckschriften und Tagebuchblätter, dazu Autographen aus seinem
Umkreis wie dem Göttinger Hainbund, dem er einst angehörte, sowie die Korrespondenz
mit Klopstock. "Leider sind keine persönlichen Gegenstände überliefert",
bedauert Rüdiger Schütt, der Organisator der Ausstellung. Dafür enthält
eine Vitrine Leckerbissen für Besucher von jenseits der deutsch-dänischen
Grenze. Darin wird Cramers Freundschaft zum dänischen Nationaldichter Jens
Baggesen dokumentiert. Cramer hatte Baggesens berühmten Reisebericht "Labyrinten"
übersetzt und in seiner Schriftenreihe "Menschliches Leben" veröffentlicht.
Ein Stück höchst interessantes menschliches Leben hat auch die Ausstellung
in Kiel eingefangen. Kai-Uwe Scholz
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