Hamid Reza Yousefi / Ina Braun

Interkulturelles Denken oder Achse des Bösen

Das Islambild im christlichen Abendland

Rezension


"Das Denken in Achsenmaximen ist die Urform einer jeden Ideologie" (12) - auf dieses Urteil gründen Ina Braun und Hamid Reza Yousefi ihr Plädoyer für einen interkulturellen Dialog, der dualistisches Denken ausschließen soll, wie es derzeit für das Verhältnis von sogenannter westlicher und islamischer Welt prägend sei. Der Band gehört einer Schriftenreihe an, die im Anschluß an den Religionswissenschaftler und Friedensforscher Gustav Mensching (1901 - 1978) vielfältigen Aspekten der Interkulturalität gewidmet ist. Die Autoren, zugleich Mitherausgeber der Reihe, legen Wert auf den Aktualitätsbezug ihrer Studie. Ihre Methode ist "interkulturell-angewandt" (14).
Jede Ideologiekritik wird mit dem Dilemma konfrontiert, das das kritische Bewusstsein einerseits das Ideologische als das zu Negierende bestimmen muss, dadurch aber andererseits selber unter Ideologieverdacht zu geraten droht. Die interkulturelle Hermeneutik fragt hier zwar nicht nur danach, wie ich mich selbst und wie ich das Fremde verstehe, sondern auch danach, wie das Fremde sich selbst und wie es mich versteht (vgl. 238); sie beschreibt damit aber treffend das Problem, das sie zu lösen vorgibt. Dieses Unbehagen läßt sich auch nicht durch die Forderung ausräumen, daß ein interkultureller Dialog, wie es pleonastisch heißt, "dialogisch" sein solle (262). Die Intention des Buches zielt auf eine nichthierarchische Multiperspektivität, die eher als vorauszusetzende Position erscheint "Die Leserschaft soll nicht mit einer vorgegebenen Auffassung konfrontiert werden, sondern für sich selbst ein Bild der islamischen und der christlichen Kulturen konstruieren" (13). Die Untersuchung ist in fünf Kapitel gegliedert.
Das erste Kapitel gibt einen historischen Überblick zu Entstehung und Entwicklung des Islambegriffs. Dabei werden die europäische und die islamische Philosophietradition als miteinander verbunden gedacht und sowohl tolerante als auch intolerante Momente der Weltreligionen herausgearbeitet. Der dem Theodizeeproblem geschuldete Dualismus von Gut und Böse - die Urform der Achsen-Ideologie - finde sich bereits in der persischen Lehre Zarathustras (ca. 600 v. Chr.); diese habe aber auch einen Tugendkatalog von Wahrheit, Gerechtigkeit, Friedfertigkeit, Treue, Demut, Wohltätigkeit und Fleiß entwickelt, der in allen Religionen der Menschheit wirksam sei (vgl. 21f.). Die islamische Terminologie bedürfe einer differenzierten Betrachtung. Der Begriff Djibad beispielsweise bilde eine der wesentlichen Grundlagen der islamischen Ethik und Moral, sei mit "Mühe", "innerer Kampf" oder "Streben" zu übersetzen und als religiöse Maxime (großer Djihad), als Kampf mit dem Wort durch Predigten (mittlerer Djihad) und als politische Maxime (kleiner Djihad) bedeutsam (31). Die kathartische Funktion des Begriffs werde missachtet, wenn der Islamismus ihn auf bestimmte, meist politische Interessen reduziere (37). Kontroversen dieser Art werden unter besonderer Berücksichtigung des Iran erläutert.
Im zweiten Kapitel werden Produktion und Ausprägung des Islambildes diskurstheoretisch untersucht. Die Ausgangsthese, das dem Islam historisch eine "besondere Ungerechtigkeit" widerfahren sei, wird mit dem Hinweis gerechtfertigt, das die Geschichte eine Konstruktion und "in ihrer Darstellung offen" sei (85). Die Diskurse der Verunsicherung, Kriminalisierung, Romantisierung, des Mitleids, der Erniedriegung, Bevormundung, des Relgionsfanatismus und der Rückständigkeit liefen sämtlich darauf hinaus, "das Gute mit dem Eigenen und das Böse mit dem Fremden gleichzusetzen" (137). Zur Frühzeit des Islam und im Mittelalter hatten Eroberungsfeldzüge und wechselnde Machtverhältnisse einerseits zu einer direkten Konfrontation, andererseits zu einem intensiven kulturellen Austausch mit dem Christentum geführt (vgl. 97 ff.). Während in der europäischen Aufklärung ein überwiegend positives Bild des Islam gezeichnet worden sei (vgl. 109 ff.), habe der Imperialismus dessen Bevormundung und Erniedrigung zu legitimieren versucht (vgl. 136). Seit 1945 sei das Islambild zwar schrittweise korrigiert worden, jedoch ohne das "Ziel einer reziproken Verständigung" bis heute erreicht zu haben (137).
Das dritte Kapitel kritisiert die europäische Islamrezeption im gegenwärtigen Medienzeitalter. Als Medien gelten hier Schulunterricht und Fachbücher, Artikel aus Boulevard- und sogenannter Qualitätspresse sowie Kriegsberichterstattung und Unterhaltungsfernsehen. Die Autoren werfen dem Journalismus Realitätsfälschung vor: "Es werden Geschichten fingiert, die ungefragt eine politische Realität voraussetzen, die sie wahr macht, und man erfindet eine Politik von einer historischen Wahrheit aus, die noch nicht existiert" (149). Der Islam werde "stets als besonders kriegerisch" dargestellt und so zum Feindbild stilisiert (158). Die Fachliteratur lasse oftmals "eine theoretische Weite bei einer gleichzeitigen praktischen Enge beobachten" (166). Das Fernsehen liefere erst recht keine differenzierte Darstellung "Ein Qualitätsverfall durchzieht hier alle Bereiche" (173). Offene antiislamische Tendenzen fanden sich in einem Teil der Popularethnologie (180 ffj. Die Autoren unterbreiten auch konkrete Vorschläge, um dualistische Denkmuster aufzubrechen, beispielsweise "die Erarbeitung eines Teils der Materialien durch Angehörige der Ausgangs- und der Zielkultur in einem dialogischen Verfahren" im Schulunterricht (144).
Das vierte Kapitel ist dem Versuch gewidmet, die Methodologie und Verzahnung von Imperialismus und Islamismus zu dekonstruieren. Huntingtons Ansatz vom "clash of civilizations" sei gefährlich, weil er Fronten allererst konstruiere, die sich dann in der Folge tatsächlich verhärteten (vgl. 197). Der Konflikt gründe eigentlich weniger in einem ungleichen Entwicklungsstand der Kulturen, als vielmehr darin, das der Imperialismus willkürlich eine Achse des Bösen postuliere, wobei bezogen auf den Islam der Absolutheitsanspruch besonders deutlich werde, denn "die islamische Welt wird a priori bezichtigt, sich selbst nicht zu verstehen" (198). Die Autoren stellen fest: "Demokratisierungsprozesse in islamischen Ländern wurden nie gefordert, da das Entstehen demokratischer Strukturen dort überhaupt nicht gewünscht ist" (206). Der Islamismus politisiere die Religion, um "den Islam als einzige Weltzivilisation" einzusetzen und gebe damit fälschlich vor, Apologet der islamischen Zivilisation zu sein (217). Die "Ordnung einer Welt-Unordnung" liege darin, daß Imperialismus und Islamismus gleichermaßen den Konflikt durch ihr "Denken und Handeln in Achsenmaximen" stetig (re)produzierten und so die Möglichkeit eines interkulturellen Dialoges abschnitten (220).
Im fünften und letzten Kapitel steilen Braun und Yousefi ihre Konzeption einer interkulturellen Philosophie der Toleranz vor. Solange der traditionelle Toleranzbegriff bestimmend bleibe, bedeute Toleranz letztlich kaum mehr als "Duldung und Gleichgültigkeit" und sei "implizit intolerant" (235). Die traditionelle "Selbst- bzw. Fremdhermeneutik" gelte es zu erweitern, damit "mein Selbstbild mit dem Selbstbild des Anderen verbunden wird" (238). Ausgehend von einer interkulturellen philosophischen Orientierung, die den Toleranzbegriff dezentralisiert, über eine interkulturelle Theorie der Toleranz, die Gegenwartsprobleme in interkulturellen Kontexten berücksichtigt, bilde die interkulturelle Kompetenz die Fähigkeit für interkulturelle Verständigung und Kommunikation, die Grundvoraussetzung für eine interkulturelle Toleranz (241 f.). Die Autoren schließen mit Vorschlägen zu "Selbstwahrnehmungsübungen" (eye-opener) (248), zum "Nachvollzug der fremden Grunderfahrung" (Biperspektivität) und zum Erlernen "dialogischer Kompetenzen" (Einsicht in die Notwendigkeit interkultureller Diskurse) (253).
Können wir dem perspektivisch formulierten Ziel des interkulturellen Dialogs, "einander zu besseren Menschen zu machen" (243), mit der Lektüre dieses Buches näher kommen? Auch eine "angewandte" Theorie bleibt theoretisch, und in diesem Punkt offenbaren sich argumentative Defizite: der moralische Anspruch ist derart bestimmend, das der Realitätsbegriff bisweilen verklärt wird und die Kritik zur Polemik gerät. Dieses Buch bietet insgesamt durchaus lesenswerte Hintergrundinformationen, Textbeispiele und didaktische Hinweise, kann aber als philosophische Grundlegung gelebter Toleranz leider nicht überzeugen

Benjamin Lindner, Hannover


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