„Das Bewusstsein, ‚modern‘ zu sein, ist immer das Bewusstsein gewesen, eine Krise zu durchleben.“ In A Secular Age beschreibt Charles Taylor das krisenhafte Selbstverständnis der modernen Subjektivität über Dilemmas, welche
aus der Spannung zwischen spirituell-transzendenten Erwartungen und exklusiv humanistischen Ansprüchen entspringen. Dabei entsteht
eine tripolare Struktur, die die vielfältigen Einzelanalysen in A Secular Age unterschwellig zu steuern scheint. Die Studien zur Transzendenz rekonstruieren diese Struktur und analysieren sie im Hinblick auf sozialphilosophische, formallogische
und religionsphilosophische Implikationen, um sie exemplarisch an den beiden Dilemma-Kapiteln in A Secular Age sowohl kommentieren
als auch kritisieren zu können. In einem zweiten Teil wird der Blick auf Falk Wagners Theorie des religiösen Opfers erweitert. Es
wird eine mögliche Anwendung von Taylors Modernitätsdiagnose anhand der Geschichte der christlichen Opferpraxis aufgezeigt sowie der
Zusammenhang von Opfer- und Säkularisierungsdiskurs untersucht, und es werden mögliche inhaltliche Anknüpfungspunkte für eine weitere
Auseinandersetzung mit diesen Fragen diskutiert. Was die Möglichkeiten einer Versöhnung der zugrunde liegenden Dilemmas und immanenten Widersprüche unseres säkularen Zeitalters betrifft,
geben sich die Studien zur Transzendenz optimistischer als Taylors A Secular Age. Dieser Optimismus versteht sich als ein Realismus der
Praxis, in die diese Dilemmas und Widersprüche eingebettet sind – in alltägliche Lebenspraktiken nämlich, welche die dilemmatischen
Krisenpotenziale der Moderne im Reichtum der Lebensvollzüge zumindest potenziell aufzufangen versprechen.
Gérard Raulet
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