Günther Neumann

Heidegger und Parmenides

Das Denken Martin Heideggers I 2

Hans-Christian Günther † (Hrsg.)

fortgeführt von Ivo De Gennaro und Gino Zaccaria

Rezension


Zur Auseinandersetzung Martin Heideggers mit Parmenides gibt es in der Reihe "Das Denken Martin Heideggers" (Nordhausen, Hrsg. Hans-Christian Günther, fortgeführt von lvo de Gennaro und Gina Zaccaria) ab diesem Sommer eine Neuerscheinung. Der Herausgeber mehrerer Bände der Gesamtausgabe der Werke Martin Heideggers, Günther Neumann, legt auf knappen 100 Seiten eine durchaus anspruchsvolle Forschungsarbeit vor, die anhand der drei Hauptetappen der Rezeption des Parmenides durch Heidegger auch die für die Thematik einschlägigen Interpretationen zur Diskussion stellt. "Gerade eine Gegenüberstellung und Kontrastierung der früheren und der späteren Auslegungen der Vorsokratiker, hier Parmenides, kann den Biick für die Eigenart des jeweiligen Denkens und dessen Wandlung schärfen." (S. 21) Den Leitfaden bildet dennoch das Lehrgedicht des Parmenides, dessen auslegende Übersetzung durch Heidegger Neumann im Vergleich zu anderen Übersetzungen (Vetter, Diels-Kranz, Aubenque, Günther etc.} darlegt und kommentiert. Der eigene, oft stark abweichende Ansatz Heideggers in der Interpretation des Parmenides stellt das Eigentümliche eines Denkens dar, das um die Seinsfrage beziehungsweise um die Überwindung des metaphysischen ersten Anfangs der Philosophie kreist. Dabei könnten, so Neumann, "zwei Fragebereiche unterschieden werden. Der eine Fragebereich betrifft das grundlegende, die Auslegung insgesamt tragende philosophische Vorverständnis und die daraus entspringende Fragerichtung, unter der ein Text interpretiert wird." (S. 15) Der andere Bereich betrifft die Übersetzung selbst und sei im "hermeneutischen Zirkel" (S. 16) mit einbegriffen, wobei die Ausrichtung der Übersetzung aufgrund der Interpretationsabsicht (vgl. ebd.) immer auch zu bedenken wäre. Was sich darin zeige, dass angesichts des problematischen Zusammenhangs der beiden Teile des Lehrgedichts des Parmenides, dem Aletheia- und Doxa-Teil für die heideggersche Interpretation gerade die sich schon früh angekündigt habende privative Deutung des VVahrheitsphänomens maßgeblich ist {vgl. S. 21). Im Umfeld der Fundamentalontologie von Sein und Zeit hingegen bildet die Problematik der Temporalität einen zentralen Komplex der Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Dauer als sempiternitas. Parmenides Seinsverständnis als „Gegenwart allzumal" auszulegen (vgl. Heidegger, zitiert in ebd., S. 27) bietet die Grundlage einer Kritik am Verständnis des Seins im Sinne eines „Überzeitlichen oder "Ewigen": Somit stünden auch die beiden Teile des Lehrgedichtes, Aletheia- und Doxa-Teil, angesichts der von ihnen vertretenen zeitlichen Charaktere für die Scheidung von wahrem und scheinhaftem Sein (s. ebd.). Im Verständnis von Sein als Gegenwart (Präsenz) liegt dennoch ein Grund für eine weitere, verkehrte Sicht auf das Sein als „pure Vorhandenheit" (S. 29). Für Heidegger rücke hier die Wahrheitsproblematik in den Vordergrund, denn diese, als ein "vernehmendes Verstehen" (vgl. ebd.) des Seins angesichts des Vorhandenseins geschehe immer als Privation, als "Raub" (S. 31) am Vorhandenden, und nicht als Ausweisung desselben. Damit hinge auch die neuzeitliche subjektivitätstheoretische Umkehr des Satzes des Parmenides zusammen, denn während bei Parmenides das Denken in das Sein selbst eingebettet sei, ,produziere' das neuzeitliche Denken (indem es vom Vorhandenen abstrahiere) gleichsam das Sein aus sich selbst (vgl. S. 30).

Das menschliche Denken befindet sich angesichts der Möglichkeit, der gängigen Meinung zu verfallen, in einer zwiespältigen Position: immer schon sowohl dem Bereich des Wahren wie auch der Unwahrheit zugewiesen, der Eigentlichkeit sowohl wie der Uneigentlichkeit. So bietet sich für das Verständnis des Scheideweges, vor den der parmenideische Held gebracht wird, der folgende Interpretationsatz an: "Der Offenbarungscharakter der göttlichen Weisung im Proömium des Lehrgedichtes verweist darauf, dass wir vor die Entscheidung des Entdeckens oder Verbergens des Seienden in seinem Sein gebracht sind, wenn auch das existenzialontologische Fundament der geworfen-entworfenen Erschlossenheit des Daseins als die ursprünglichste VVahrheit noch ungenannt bleibt" (S. 35 Hervorheb. i.O.). Das Angebot, zwischen zwei Wegen zu wählen (das Sein bzw. das Nichts), führt demnach über einen dritten Weg, den des Scheins, der als Schein sichtbar gemacht werden muss (vgl. S. 36). Neumanns Weiterführung der Problematik gibt hierzu über zwei weitere Paragraphen (§.7 und §.8) eine detaillierte Analyse der Aletheia- bzw. der Doxa-Fragmente, die Aufschluss geben zu Heideggers Entwicklung der Parmenides-Interpretation nach Sein und Zeit (wie z.B in den Vorlesungen vom Sommersemester 1932 (GA 32) und 1935 (GA 40)).

Der dritte und letzte Teil behandelt zentrale Themen des späten Heidegger beziehungsweise seiner immer insistierenderen Auseinandersetzung mit Parmenides anhand von zwei berühmten Texten: aus den „Vorträgen und Aufsätzen" (GA 7) der Text von 1952 "Moira (Parmenides, [Fragment] VIII, 34-41)" und der Vortrag von 1957 „Der Satz der Identität". Dabei bliebe laut Beginn des Textes "Moira" das Verhältnis von Sein und Denken "der unversehrliche Prüfstein" (5. 69) des Denkens der Geschichtlichkeit, im Kontext auch der weiteren Auslegung der Moira als „das schickende Geschick" (S. 72) der - die ontologische Differenz ablösenden - "Zwiefalt" (ebd.) von Sein und Seiendem. Zum Schluss wird das hochkomplexe ,tautologische' Verhältnis der gegenseitigen Zueignung von Denken (Vernehmen, Mensch) und Sein in der für das Spätdenken Heideggers repräsentativen Figur des Ereignisses dargestellt. Neumann bietet im Anschluss einer Erläuterung dieses "Leitwortes" (§ 10 c, S. 98 f.) die Möglichkeit, Heideggers Entwurf als eigenständige Antwort auf Parmenides' lnfragestellung des Verhältnisses von Sein und Denken aufzufassen und somit auch den Vorschlag einer zwar nicht uneingeschränkten, aber zumindest unter diesem Aspekt von Heidegger selbst konsequent vollzogenen Zusammenführung seiner Philosophie mit dem "Grundthema des gesamten abendländischen Denkens" (Heidegger GA 8 apud Neumann S. 99).

Alina NOVEANU
Faculty of History and Phi/osophy,
Babes-Bolyai University Cluj-Napoca, Romania,
alina.noveanu@ubbcluj.ro


Copyright © 2024 by Verlag Traugott Bautz GmbH