"Gebrauchsanweisungen geraten außer Gebrauch" ist auf der ersten Bildseite des jüngsten Gedichtbilderbands des Künstlers und Kunsttheoretikers Hartwig Bischof zu lesen. Blättert man durch das Buch, so wirkt dieser Satz wie ein Vorwort, das erläutert, wie der Künstler die gängige Erschließung der Welt - auch durch Bilder und Texte - in Frage stellt.
Wie in früheren Werken arbeitet der 1964 in der Steiermark geborene Künstler auch bei dieser Arbeit mit Mustern, Ornamenten und Wiederholungen von Motiven, die Fotografien entnommen sind. Im Buch reisen Betrachtende mit ihm durch südländische Landschaften, entlang von Meerespromenaden, schlendern mit dem Künstler durch alte Innenstädte und werfen einen Blick in alte Gutshäuser sowie moderne Architektur.
Doch kaum glaubt man, ein Motiv erkannt zu haben, stolpert man über farbige Formen und deren Wiederholungen, und es wird bewusst: so ist die dargestellte Wirklichkeit doch nicht. Bischof bricht die vertrauten Foto-Kompositionen auf und setzt sich wiederholende Motive wie Ornamente ein. Er öffnet Räume, weitet Perspektiven oder schränkt diese ein. Friction - Bruch der "gewohnten" Wirklichkeit von Fotomotiven - wird durch Fiction vom Künstler konstruierter Wirklichkeit durchbrochen und erweitert. Wie die Bilder, so sind auch in den Texten nur auf den ersten Blick bekannte Formulierungen und Bilder enthalten, und erst nach mehrmaligem Lesen kann man sich dem Inhalt annähern.
Diese konstruierten Bilder siedelt Bischof, wie er selbst im Vorwort schreibt, "im ambivalenten Verhältnis von Fotografie und Malerei" an. "Meine Bilder verstehen sich als Arbeit an der Formentwicklung von Bildern, die zwar Ausschnitte aus der Welt zeigen, darüber hinaus aber aus Bildern entstehen."
Auch die Texte des "forscher künstlers" - wie er sich im Vorwort beschreibt - wirken konstruiert, um auf ihre Weise den persönlichen Blick des Künstlers auf die ihn umgebende Welt darzustellen. Fast immer bricht dabei Kritik gegen die Weltwahrnehmung und Sinnsuche des sogenannten Mainstreams durch. Individualität und ehrliche Auseinandersetzung des Menschen mit sich selbst und seiner Umwelt werden dabei als Mittel gegen Banalität, Vermassung und Verflachung durch Gewohnheit genannt. Dabei ist die Rolle der Ornamente, Muster und Wiederholungen interessant, mit denen er die Banalität der gängigen Motive aufbricht. Sie erinnern an die Bedeutung der Ornamente in der sakralen Architektur des Islam. Geometrische Muster und Symmetrie werden dort als Werk des intellektuellen Könnens des Menschen angesehen. Die regelmäßigen Wiederholungen, die in Ewigkeit fortgeführt werden können, stehen für einen kleinen Teil eines größeren Ganzen, und gerade durch die Ästhetik des gleichbleibenden Musters hindurch wird die Einzigartigkeit des Göttlichen sichtbar.
Eine leichte Kost und Wohlfühlbuch ist der Gedichtbildband von Hartwig Bischof nicht. Auch die Leichtigkeit, die einen beim ersten Blick auf die Bilder überkommt, stellt sich als Fiction heraus. Lässt man sich auf die Bilder und Texte des Buches ein, so stellt man bald fest, dass sie die Betrachtenden immer wieder in die Falle führen. Die Frictionen nehmen die Sicherheit des Wiedererkennens von Motiven der Wirklichkeit, (Spach-)Räume werden aufgebrochen und schützen nicht, und jede vermeintliche Sicherheit, wie Welt verstanden werden kann, wird in Frage gestellt. Insofern bildet Hartwig Bischofs Buch die vielen Paradigmenwechsel unserer Zeit ab.
Wer dafür offen ist, seinen eigenen Blick auf die Wirklichkeit anzufragen, und bereit ist, sich von Frictionen und Fictionen beeindrucken zu lassen, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.
Theresa Stampler
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