Menschen von nebenan: Nach dem Abi bekam Konstantin Schwarzmüllers Leben eine entscheidende Wende: Seitdem lebt er mit einer psychischen Erkrankung. Jetzt, mit Mitte 40, beschreibt er in einem Buch seine Erfahrungen.
Konstantin Schwarzmüller hat einen Wunsch: Menschen mit psychischen Krankheiten sollen genauso behandelt werden wie Menschen mit einem gebrochenen Bein oder Diabetes. Ohne Ausgrenzung, ohne Benachteiligungen. Dazu soll sein Buch "Freiburg - Paris: Grenzerfahrungen aus dem Leben eines jungen Mannes" beitragen. Er will aber auch allen in ähnlicher Lage Mut machen - in der Einleitung betont er, dass er sich trotz vieler Rückschläge nie seinen Optimismus nehmen ließ.
Bei ihm fing alles an, als er, 1977 in Freiburg geboren, sein Abi hinter sich hatte. Bis dahin hatte er das Gefühl, dass ihm viele Wege offen stünden. Er war Schülersprecher am Berthold-Gymnasium und reiste viel. Das Buch beginnt mit Schilderungen eines Schüleraustauschs mit Israel, einer Interrail-Reise mit einem Freund nach Marokko und einer Fahrt mit dem Evangelischen Jugendwerk nach Moskau. Alles ist spannend, die Welt ein Abenteuer. Schwierig wird es im Herbst 1996, als er sich entscheiden muss, wie es nach der Schule weitergeht. Er fühlt sich hin- und hergerissen zwischen eigentlich gegensätzlichen Möglichkeiten: Zivildienst im Umweltschutz, Freiwilligendienst im Ausland oder Bundeswehr? Die Bundeswehr zieht ihn ein. Im Westerwald bei der Grundausbildung fühlt er sich drangsaliert und stellt bald einen Kriegsdienstverweigerungsantrag. Als der abgelehnt wird, fühlt er sich so belastet, dass er im Zug zurück zum ersten Mal mit Krankheitssymtomen öffentlich auffällt. Vermutlich habe er gegen Zugtüren geschlagen, schreibt er, seine Erinnerungen sind unklar. Er kam in die Psychiatrie der Uniklinik Mainz, später wurde er in Freiburg und kurz in Ulm weiterbehandelt. Seit damals begleiten ihn Psychose-Diagnosen die immer wieder unterschiedlich formuliert wurden.
Und plötzlich ist alles anders: Statt wie geplant auf Lehramt zu studieren, ist er verunsichert und entscheidet sich für eine Ausbildung in Isny zum Pharmazeutisch-technischen Assistenten. Die Zeit dort genießt er. Gegen Ende durchlebt er eine Krise, es folgen die für ihn in Krisen typschen "Fluchten", dann ein kurzer Klinikaufenthalt in Basel und eine achtwöchige postpsychotische Depression.
Danach schließt er erfolgreich seine Ausbildung ab und beginnt ein Pharmazie-Studium in Freiburg, motiviert durch seine Eltern, die beide Pharmazeuten sind. Die Prüfungen fallen ihm schwer, und obwohl er inzwischen einen Behinderungsgrad von 80 Prozent zuerkannt bekam, seien ihm keine Erleichterungen zugestanden worden, sagt er - er wurde exmatrikuliert. Bei einer Radtour in Frankreich bricht er wieder zusammen.
Danach studiert er erfolgreich Religionspädagogik an der Katholischen Hochschule. Das ist für ihn eine positive Zeit, bis auf eine Firmfreizeit in Slowenien im Praxisjahr, bei der er wegen Überforderungsgefühlen in eine neue Krise gerät und schlagartig Richtung Österreich aufbricht, was wieder in einer Klinik endet. Seitdem hat sich alles sehr stabilisiert: Seit mehr als 15 Jahren brauchte Konstantin Schwarzmüller keinen Klinik-Aufenthalt mehr. Medikamente, Psychotherapie, die Teilnahme an Trialog-Gesprächen mit Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten: Das alles hat ihn stabilisiert. Und der Rückhalt durch andere, vor allem seiner Familie, die ihn immer unterstützte und dazu aufgrund ihrer materiellen Hintergründe auch in der Lage war. Da sei er im Vergleich mit anderen privilegiert, resümiert er in seinem Buch.
Doch klar ist auch: Beruflich fühlt sich Konstantin Schwarzmüller, der in der Wiehre wohnt, ausgebremst. Mindestens 150 Bewerbungen habe er an die katholische Kirche oder katholische Institutionen geschickt, erzählt er, meist als Religionspädagoge, aber auch in anderen Bereichen wie der Öffentlichkeitsarbeit und der Verwaltung habe er nur Absagen erhalten. Weil er sich diskriminiert fühlt, hat er zwei Mal Klagen eingereicht. Er habe das Verfahren aber aus gesundheitlichen Gründen nicht zu Ende geführt.
Mittlerweile arbeitet er mit einer halben Stelle in seinem Ausbildungsberuf in einer Apotheke, zwischendurch kamen zusätzliche Jobs als Statist am Theater oder in der Bibliothek des Max-Planck-Instituts dazu. Außerdem ist er im Beirat für Menschen mit Behinderung aktiv.
Anja Bochtler
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