Hans-Harald Sedlacek

Glaube, Liebe, Lebensglück

Eine kritisch-menschliche und medizinische Sicht auf Lehren und Entscheidungen der römischen Amtskirche

Rezension


Ein beachtliches Buch sei bier vorgestellt, das zum Nachdenken anregt und zugleich zum Widerspruch reizt. Wer dieses Buch liest, liest viele andere Bücher mit. Mit ungeheurem Fleiß und in didaktisch aufbereiteter Form, die streckenweise Lehrbuchqualität hat, trägt der Autor historisches Material bei, mit dessen Hilfe er seine These zu begründen sucht, die im Titel aufscheint und im Vorwort benannt wird: Er will die historischen Wurzeln der heutigen Probleme der Kirche aufzeigen und Lösungswege vorschlagen, die sich ,angesichts der Wirklichkeit aufdrängen, welche jedoch von den kirchlichen Amtsträgern bislang nicht aufgegriffen worden sind' (S. 13). Das Buch will ein Plädoyer sein, sich neu auf den ,Wert der Nächstenliebe' zu besinnen, die Einsicht in die Notwendigkeit einer Reform (inhaltlich und strukturell) zu fördern und die Mitarbeit aller Gläubigen anzuregen, dass die ,Amtskirche' sich neu ausrichte, ,sodass diese wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt' (S. 13). Ein großes Programm!

In der Einleitung, überschrieben mit ,Wechselwirkungen zwischen Glaube, Liebe und Lebensglück', benennt der Autor die Glücksvorstellungen antiker Autoren, des Alten Testaments und des Christentums, wobei er konstatiert, dass ,kirchliche Amtsträger zuhauf der Verfuhrung unterlagen, das in den Evangelien zugrunde gelegte christliche Glaubensgut mit solchen zusatzlichen Glaubenslehren und Kirchen-Gesetzen auszugestalten, *welche den christlichen Grundsätzen der Gottes-und Nächstenliebe zuwider liefen, *die aber machtpolitisch nützlich waren oder* welche den persönlichen Veranlagungen, Prägungen und Vorstellungen der Amtsträger entsprachen' (S.18). Der heutige Wissenszuwachs befähigt, die ,über die Jahrhunderte gewachsenen Traditionen und Kirchenlehren kritisch zu hinterfragen und solche religiösen, politischen und ideologischen Postulate zu entblößen, welche das Recht auf Liebe, auf Glück, auf ein Leben in Freiheit und auf die Verwirklichung des persönlichen Lebensentwurfes unangemessen einschränken oder gänzlich verbieten wollen' (S. 19). So scheint es gerade in Hinblick auf den derzeit öffentlich wahrgenommenen moralischen und sozialen Niedergang der Amtskirche ... einen Versuch wert, aus der Sicht eines christlich geprägten medizinischen Wissenschaftlers die eine oder die andere Antwort zu wagen' (S. 19).

Das erste Kapitel ist überschrieben mit ,Abhängigkeiten unserer Glücksgefühle'. Es stellt dar, welche Bedeutung unseren Fähigkeiten, den äußeren Bedingungen sowie einem Glauben an Gott zugemessen werden kann.

Das zweite Kapitel, überschrieben mit ,Medizinisch-biologische Grundlagen für Liebe und Glückserlebnisse', gleicht einem Lehrbuch, das sehr differenziert alle in den heutigen Wissenschaften geltenden Aspekte in didaktisch meisterlicher Weise präsentiert. Die kirchlichen Stellungnahmen werden ausführlich als problematisch dargestellt.

Das dritte Kapitel referiert die Aspekte des Glücks, welche die wichtigsten antiken Philosophen herausgearbeitet haben.

Das vierte Kapitel stellt die Ansichten über Lebensglück in den Gesellschaften des römischen Reiches zur Zeit Jesu dar, indem es drei einflussreiche Gestalten (Carus, Cicero, Philos) vorstellt, das Ende des griechischen Einflusses benennt und die (bei uns weithin unbekannten) Rechtsvorschriften für Ehe und Erbschaften vorlegt und vor allem die Oberdominanz der Männer in ihren zu Unrecht führenden Tendenzen aufzeigt.

Das fünfte Kapitel, welches das ,Lebensglück im Judentum' (als der Wurzel des Christentums) beschreibt, betont die biblische Lehre vom Menschen als Abbild Gottes und die Ehe als Auftrag und Geschenk; dabei werden in einem Appendix die drei für heute bedeutenden Bereiche von künstlicher Befruchtung bzw. Leihmutterschaft, von Abtreibung und von Todesstrafe angehängt.

Das sechste Kapitel, 288 Seiten umfassend, greift alle heute im Christentum strittigen Fragen hinsichtlich des Lebensglückes und der kirchlichen Beeinflussung auf und sucht diese im Sinne der Hauptthese zu beschreiben bzw. zu beurteilen.

Die Oberschriften der sieben Teilkapitel zeigen schon, dass die Fragen parteiisch angegangen werden und die Grundtendenz befeuern, dem kirchlichen Amt eine teilweise Pervertierung der Botschaft Jesu nachzusagen.

In 6.1 wird eine kurze Leben-Jesu-Skizze formuliert; in 6.2 die Sünde-Erlösung-Thematik als eine Kernaussage des Neuen Testaments beschrieben, die Gottes-Nächsten-Liebe mit der Nachfolge Jesu sowie die göttlichen Tugenden als bedeutende Faktoren des christlichen Glaubens vorgestellt.

In 6.3 (überschrieben ,Entrechtung, Hass, Krieg und Tötung') wird der Weg von der Urkirche zur Staatskirche mit seinen Folgen präsentiert, die sich zeigen als Verbot der Glaubensfreiheit, als Entwurzelung aus dem Judentum, als Theologie für das ,Töten' mit den Konsequenzen für Kriege, Kreuzzüge, Hexenverbrennung und Inquisition. Als Appendix wird die heutige Problematik der Sterbehilfe angefügt.

In 6.4 werden die Problematiken der kirchlichen Sexuallehre bearbeitet. Unter der Überschrift ,Liebe, Ehe, Keuschheit' legt der Autor ungemein viele Aspekte der erotisch-sexuellen Realität im jüdisch-christlichen Kontext aus medizinischer, anthropologischer, historischer (Kirchenväter und viele Autoren durch die ganze Geschichte), pädagogischer, kirchenrechtlicher, soziologischer, sozialpsychologischer und sozialpolitischer Perspektive vor, die neben bekannten Phänomenen viele weithin unbekannte zutage bringen.

In 6.5, überschrieben mit ,Eigentum und soziale Verpflichtung', werden Forderungen der apostolischen Armut verglichen mit dem kirchlichen Finanzgebaren, das neben beeindruckenden Einzelbeispielen gravierende Missbräuche aufweist.

In 6.6, betitelt mit ,Menschenrechte, Gewissens- und Glaubensfreiheit', wird die anfängliche Ablehnung der Menschenrechte durch die Amtskirche und deren Kehrtwende und die bleibende ,Gehorsamkeit' als Forderung beschrieben.

In 6.7, betitelt mit ,Leben nach dem Tod', werden neben der Bedeutung der Auferstehung Jesu die Themen Feuerbestattung und Organspende behandelt.

Das 7. Kapitel bindet die Fülle des dargebotenen Stoffes zusammen und konkretisiert die eingangs genannte These, unter den Teilüberschriften ,Lehrmeinungen und Traditionen', "Weihe zum Priester- und Bischofs-Dienst" und ,Verantwortung und Mitsprache der Laien'.

Das Buch ist eine großartige Sammlung von historischen, medizinwissenschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Materialien zum Thema menschliches Glück und Kirche bzw. amtskirchlich geprägte Theologie. Das literarische Genus eines Plädoyers mit Tendenz zu einer ,Kampfschrift', die kirchenpolitisch etwas erreichen will, rechtfertigt Verkürzungen im Argumentationsfluss und parteiliche Einordnungen von Argumenten. Der historisch Denkende hätte sich an einigen Stellen eine kontextuelle Eingliederung der Texte gewünscht, die manche Milderung des Urteils gebracht hätte. Die oftmals durchscheinende Unterstellung, den kirchlichen Amtsträgern sei es in all den Jahrhunderten weniger um das Evangelium als um die Erhaltung der systemischen Machterhaltung gegangen, bei der gleichzeitigen Meinung, der neue Trend der heute plausibel erscheinenden Modernismen würde unbedingt das Glück der Menschen fördern, erscheint dem Rezensenten als eine doppelte Überzeichnung.

Diese kritischen Bemerkungen benennen einen Schönheitsfehler, der mitnichten die großartige Leistung des Autors schmälern möchte. Ich empfehle das Buch allen, die in der Kirche Verantwortung tragen und die an der Reform der Kirche interessiert sind. Sie müssen die Thesen des Autors nicht übernehmen, aber sie kommen an seinen Argumenten nicht vorbei.

Prof. Dr. Ludwig Mödl (Alm)


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