Heiko Maus

Matthias Weckman

LEBEN UND VOKALSCHAFFEN DES SCHÜTZ-SCHÜLERS UND HAMBURGER JACOBI-ORGANISTEN

2. überarbeitete Auflage 2021

Rezension


Zwischen Schütz und Bach

Bücher dieser Art sind selten geworden. Fast wirkt Heiko Maus' Monographie über Matthias Weckman sogar ein wenig aus der Zeit gefallen, sind doch Leben-und-Werk-Darstellungen wie die hier vorgelegte einem Konzept der Historischen Musikwissenschaft verpflichtet, von dem man sich schon seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts mehr und mehr distanziert hat. Darstellungen nämlich laufen permanent Gefahr, im rein Deskriptiven stecken zu bleiben, wo die Forschung dagegen einer Fragestellung bedarf, um Erkenntnisgewinn zu erzeugen.

Nun ist mit Recht zu fragen, ob dieses Buch mit seinen 132 Seiten im Textteil und einem Anhang, der auf 45 Seiten Abbildungen, Literatur- und Werkverzeichnis nebst Auswahldiskographie ergänzt, überhaupt im strengen Sinn als musikwissenschaftlicher Beitrag verstanden werden sollte. Anlass ist der nicht genau zu datierende 400. Geburtstag Weckmans, und so ist dieses Buch eher die Würdigung eines Komponisten, dessen große Bedeutung zwar kaum jemand bezweifeln würde, der aber zwischen den barocken Übervätern Heinrich Schütz - gleichzeitig Weckmans Lehrer - und Johann Sebastian Bach in einem tiefen Aufmerksamkeitstal siedelt. Maus, der sich schon in der Vergangenheit erfolgreich mit Weckman und seiner Musik beschäftigt hat, hat für diese Würdigung nun das verfügbare Wissen zusammengetragen, geordnet, wo nötig berichtigt und fallweise ergänzt.

Entstanden sind daraus 33 Seiten einer "biographischen Skizze", in der Maus in einem linearen historischen Narrativ Weckmans Leben von der Kindheit in Niederdorla über die Ausbildung bei Heinrich Schütz und das Orgelstudium in Hamburg bis hin zu den beruflichen Stationen als Organist in Dresden, Nykobing und Hamburg nacherzählt. Den deutlich größeren Teil des Bandes nimmt dann die Darstellung der Vokalkompositionen Weckmans ein. Gegliedert nach Gattungen beschäftigt sich Maus mit den 13 erhaltenen Vokalwerken mit obligaten Instrumenten und den neun Continuoliedern. Für die Orgelmusik hingegen, die ja Weckmans ureigenstes Metier ist, verweist Maus auf Hans Davidssons zweibändige Arbeit aus dem Jahr 1991, die nunmehr auch schon über rund eine Generation in Ehren gealtert ist, gleichwohl in der Tat noch weitgehend den aktuellen Stand der Forschung ausmacht.

Den Vokalwerken mit obligaten Instrumenten, man könnte sie auch Geistliche Konzerte nennen, nähert sich Maus sehr umfassend an, beschäftigt sich mit den Texten, den Aufführungsorten, der Form, der Instrumentierung und den Aufführungsbedingungen. Interessant, wenngleich sehr knapp ausgefallen, ist der Blick in Weckmans Komponierwerkstatt am Beispiel der in der Ratsbibliothek Lüneburg aufbewahrten Quelle K. N. 206 (S. 48-50), einer Art musikalischem Notizbuch, in das Weckman aktuelle Kompositionen italienischer und süddeutsch-österreichischer Komponisten eingetragen und teilweise kommentiert hat.

Eingebettet in dieses Kapitel sind analytische Ausführungen zu Melodik, Harmonik und Deklamation. Den historischen theoretischen Rahmen dafür hat Maus aus den "zeitnahe (n) Kompositionslehren von Christoph Bernhard bis Johann Mattheson" (S. 3) gewonnen, was aber leider nicht ausgeführt, lediglich angewandt wird. Und so kommt es dann auch zu einigen Missverständnissen, wenn bei der Untersuchung der "Erstellung textlicher Bezüge" (S. 86) die Figurenlehre nach Christoph Bernhards "Tractatus compositionis augmentatus" und Athanasius Kirchers "Musurgia Universalis" herangezogen wird. Denn beide Autoren formulieren eine musikalische Figurenlehre in Analogie zur sprachlichen Rhetorik: Bernhard zielt darauf, den Einsatz von Dissonanzen in ein lehrbares Regelwerk zu bringen, Kircher versteht die Figuren als Ausschmückung des Satzes (übrigens auf gerade einmal einer einzigen Seite seines mehr als 1.200- seitigen "opus magnum" und damit nicht eben zentral). Beide erheben nicht den Anspruch, eine Hermeneutik zu formulieren, was dann bei Maus in den rein deskriptiv veranschaulichenden Beispielen verschiedener Figuren auch deutlich wird. Ein Mehrwert für das Verständnis der Musik ergibt sich wohl kaum, wenn man lediglich erkennt, dass das Textivort "seufzen" auch mit der Figur der "suspiratio", dem musikalischen Seufzer vertont wird (S. 97).

Weckmans Continuolieder dagegen verortet Maus im Umfeld einer Hamburger Liederschule, für die vornehmlich Johann Rist und Philipp von Zesen als Dichter repräsentativ stehen. Ähnlich dem Königsberger Dichterkreis um Simon Dach oder dem Pegnesischen Blumenorden in Nürnberg um Georg Philipp Harsdörffer muss man auch in Hamburg mit von Zesens Deutschgesinnter Genossenschaft von einem engen Kontakt zwischen Dichtern und Komponisten im Umfeld dieser Sprachgenossenschaften ausgehen. Es entstehen hier Werke eigenen Rechts, denen man mit den Maßstäben musikalischer Kunstfertigkeit allein nicht gerecht wird. Und so windet sich Maus bei einer Einordnung hier auch zwischen Beobachtung und Rechtfertigung. Weckman gehe im Lied nicht vollkommen auf, lege dennoch eine Meisterschaft an den Tag, gleichwohl genügten seine Lieder nicht immer den höchsten Ansprüchen, seien keine Meisterwerke für die Ewigkeit (S. 130) - Maßstäbe dieser Art findet man sonst in der eigentlich obsolet gewähnten Heroengeschichtsschreibung.

Und so bleibt diese Würdigung Weckmans dann doch mehr als nur gelegentlich dem Apologetischen verhaftet. Das mag man anlässlich von Weckmans ungefähr 400. Geburtstag hinnehmen und als gut gemeinten Ehrerweis verstehen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Andreas Waczkat


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