Vivien Röbstorf

Phantastische Szenerien, gellendes Schmettern und ekstatische Wildheit

Das Hamburger Künstlerfest

Die Götzenpauke von 1921

Rezension


Vivien Röbstorf widmet sich in ihrer Masterarbeit - für welche die Autorin im Jahr 2018 den Förderpreis für die beste Abschlussarbeit des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg erhielt, sowie den Karl H. Ditze-Preis im darauffolgenden Jahr - der in vielen Aspekten anspruchsvollen Aufgabe der kunstwissenschaftlichen Rekonstruktion und Analyse des Hamburger Künstlerfestes Die Götzenpauke von 1921. Das Fest war eine umfangreich geplante Veranstaltung, welche Beiträge und Arbeiten vieler Künstler*innen aus unterschiedlichen Genres umfasste. Daher zeigte Die Götzenpauke interdisziplinäre und gattungsübergreifende Werke aus verschiedenen Bereichen der Bildenden Künste sowie Musik, Tanz, Film, Theater und Literatur; neben bildenden Künstler*innen waren eine größere Gemeinschaft von Musiker*innen, Tänzer*innen, Regisseur*innen, Raumkünstler*innen und anderen an der Gestaltung des Festes beteiligt. Diese Fülle und Heterogenität an künstlerischen Beiträgen machen eine differenzierte Auswahl und Schwerpunktlegung auf einige Kernelemente im Faile eines Buchprojektes zwingend notwendig. So fokussiert sich die Autorin auf die Gestaltung der Räume beziehungsweise die Raumkunst, die druckgrafischen Erzeugnisse sowie die Tanzaufführung von Gertrud und Ursula Falke und analysiert grundlegend den das Fest begleitenden Almanach, der neben Fotografien und schriftlichen Überlieferungen zu den grundlegenden historischen Quellen der Götzenpauke zählt (7f.).

Neben den interdisziplinären Beiträgen des Festes und der formalen Begrenzung einer Masterarbeit macht eine solide Recherche die Grundlage des Gelingens aus, um das Ziel der Arbeit - die Rekonstruktion des Festes mit Hinblick auf die drei genannten Schwerpunkte - erreichen zu können. Röbstorf zeigt sich mit ihrer klugen Themeneingrenzung, einer soliden Recherche und sinnvollen Anwendung interdisziplinärer Methoden der Aufgabe gewachsen und behandelt zunächst kontextuale und formale Rahmenbedingungen des Festes, bevor sie auf diesbezügliche historische und inhaltliche Fragestellungen eingeht. Da es sich bei der Götzenpauke um ein "ephemeres künstlerisches Ereignis" (7) handelt und um eine dynamische Veranstaltung, verblieben die dafür hergestellten/produzierten Installationen und Werke nicht dauerhaft an einem einzigen Ort. Manche Werke, Aufführungen und deren Standorte sind daher teils nicht mehr nachvollziehbar und konnten von der Autorin nicht in ihre Rekonstruktion aufgenommen werden. Dies betrifft insbesondere performative Darstellungen wie Theater- und Tanzaufführungen und musikalische Darbietungen, die situationsbezogene, zeitlich begrenzte Kunstwerke darstellen. Weiterhin unterlagen die Maßnahmen zur Dokumentation des Festes und der performativen Darstellungen den (begrenzten) technischen Mitteln der 1920er Jahre. Die Autorin ist sich dieser Problematik bewusst und begrenzt sich auf den erhaltenen Quellenfundus, der Materialien wie den genannten Almanach umfasst sowie Zeitungsberichte, Fotografien, Kostümentwürfe, Druckgrafiken, Prospekte, handschriftliche Notizen und Einladungskarten. Röbstorf möchte mit der schriftlichen Rekonstruktion des Festes einen Einblick in das künstlerische und kulturelle Leben Hamburgs um 1921 bieten. Dabei bietet sie fachübergreifende Perspektiven, um sich der Thematik anzunähern. Insbesondere die Fragen zum Einfluss des Expressionismus, zu gesellschaftlichen Umbrüchen in Bezug auf Sexualität und Erotik sowie zum Einfluss der Sprach- und Kulturkrise am Ende des Ersten Weltkriegs auf die Festbeiträge lassen erkennen, dass die Autorin um eine übergreifende Darstellung der Thematik bemüht ist, die das Künstlerfest in seiner kunstwissenschaftlichen, soziokulturellen und gesellschaftlichen Relevanz beschreibt, ohne, dass sie einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Durch diese Vorgehensweise eröffnet Vivien Röbstorf interessante Forschungsansätze und macht auf bestehende Desiderate in Bezug auf Hamburger Künstlerfeste aufmerksam (9-27).

In Hamburg entstand durch die Hamburger Künstlerfeste eine avantgardistische Bewegung, welche bereits früh überregionale Bedeutung erlangte. Fünf Jahre nach dem ersten Fest etablierte sich 1919 die einmal jährlich stattfindende Veranstaltung, die von Beginn an gattungs- und genreübergreifende Kunstwerke programmierte. Der Zusammenschluss der unterschiedlichen Künstler*innen brachte eine bunte Vielfalt an multimedialen Exponaten zur Geltung, die zum einen öffentlich präsentiert werden konnten, zum anderen den zeitgemäßen reformerischen Gedanken des Kunstgewerbes aufgriff. Zudem war das Künstlerfest Ausdruck der zeitgenössischen kulturellen und künstlerischen Entwicklung des lokalen Kunstbetriebs. Im Verlauf der 1920er Jahre wuchs das Hamburger Künstlerfest in der Nachkriegszeit zu einem großen kulturellen Ereignis heran, insbesondere da die Repressionen in der Zeit des Ersten Weltkriegs derlei Veranstaltungen lange verhindert hatte. Darüber hinaus war es den Künstler*innen des Fests, zu denen auch die Kunstgewerbeschule Hamburgs zählte, ein wichtiges Bedürfnis, die ,Hamburger Kunst' von ihrem provinziellen Image zu befreien und über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt zu machen. Daher überrascht es nicht, dass das am 12., 13. und 15. Februar 1921 stattfindende Fest unter der Leitung von Hans Leip eine überhöhte Propagierung erfuhr (11-14), wollte man das neugeformte Image doch über die Grenzen Hamburgs hinaustragen.

Als kennzeichnendes Charakteristikum des Künstlerfests identifiziert die Autorin die aufgeschlossene Zuwendung der Gesellschaft und der bildenden Künstler*innen gegenüber außereuropäischen Künsten und ordnet die künstlerischen Beiträge dem sogenannten Primitivismus zu und erläutert dessen Begrifflichkeit und ideelle Bedeutung. Röbstorf stellt dabei fest, dass der ,Primitivismus' kein ausschließlich die Welt der Kunst erfassendes Phänomen ist, sondern ein Thema mit weitem Einflusskreis (16f.). Dies äußert sich unter anderem durch eine besondere Verehrung der als ursprünglich und natürlich empfundenen Ästhetik ein Trend, der Gesellschafts- und Genreübergreifend voranschritt. Gerade in diesem Fall begibt sich die Autorin auf ein häufig und kontrovers diskutiertes Terrain, auf dem es gilt, gesellschaftspolitische Strukturen und Prozesse zu beschreiben, die aus heutiger Perspektive eindeutig stereotypisierend, bedeutungsbeladen und teils diskriminierend sind. Dabei versucht die Autorin eine gewisse wissenschaftliche Distanz beziehungsweise Neutralität zum Thema zu wahren, was ihr jedoch nicht immer gelingt.

Röbstorf führt weiter an, dass die Triebfeder für die erstarkende Faszination an außereuropäischen Kulturen und ihrer Kunst dem Wunsch nach einer Abkehr von der rationalisierten, industriell-technologisierten Gesellschaft folgte und somit als eine Loslösung von der Altbekannten, durchorganisierten Lebenswelt erschien, die von der Gesellschaft als überholt und einschränkend empfunden wurde. Die Autorin steht dem ideellen Leitgedanken des ,Primitivismus' kritisch gegenüber und argumentiert, dass der Versuch der Aneignung kultureller und künstlerischer Praktiken außereuropäischer Völker und Kulturen oftmals einer irrationalen, romantisierten kollektiven Imagination folgte sowie einer stereotypisierenden Projektion fehlgeleiteter Annahmen eines naturnahen, ,ursprünglichen' Lebens. So entspringt in Deutschland die damalige Tendenz zum ,Primitivismus' und dem vermeintlich Ursprünglichen dem im 20. Jahrhundert geistig-spirituellen Glauben, die westliche Gesellschaft habe durch die Industrialisierung ihre Natürlichkeit verloren und müsse sich auf diese zurückbesinnen (18-27). Die nach dem Ersten Weltkrieg vorherrschende progressive und weltzugewandte gesellschaftliche Tendenz, außereuropäische Kunst und Kulturen mit einer romantisierten Faszination und teilweise überhöhten Idealisierung zu betrachten, findet auch im Hamburger Künstlerfest seinen Ausdruck. Mit ihrer Auseinandersetzung mit den Auswirkungen und Formen des ,Primitivismus' schafft Röbstorf eine kunstwissenschaftlich-kritische Grundlage, bevor sie sich Aspekten der Raumkunst, dem Almanach der Götzenpauke, den Druckgrafiken sowie der Tanzaufführung Das Götzenbumbum von Gertrud und Ursula Falke widmet.

Röbstorfs Ausführungen im zweiten Kapitel zur Raumkunst des Künstlerfestes behandeln neben einer kurzen Einführung zu Otto Fischer-Trachau, einem Hamburger Raumkünstler, die Gestaltung des Festraums Götzenkraal und der Bar-Räume. An dieser Stelle wäre eine umfassendere Begründung für die Wahl Otto Fischer­Trachaus sowie eine Erläuterung seines künstlerischen Werdegangs wünschenswert, der in Röbstorfs Text ausbleibt. Der Beschreibung der Räume folgt eine Erläuterung zur Beeinflussung der Raumgestaltung durch das expressionistische Bühnenbild beziehungsweise des modernen Theaters, bevor das Kapitel mit einer Zusammenführung zur ,primitiven' Architektur und des vorherrschenden Stil-Pluralismus abschließt. Die Raumkunst wurde in enger Kooperation zwischen mehreren teilnehmenden Künstler*innen gestaltet, oftmals zusammen mit Schüler*innen der ansässigen Kunstgewerbeschule. Für die Autorin schwierig zu greifen ist hier die Verwendung der Begriffe Raumkunst, Raumgestaltung und Dekoration. Die Gestaltung der Räume ist durch alte Fotografien überliefert und zeigt überwiegend die Verwendung einfacher, "geringwertiger" (28f.) Materialien, hauptsächlich Papier und Pappe, da in der Nachkriegszeit eine allgemeine Materialknappheit herrschte. Ziel war es die Besucher*innen aus der Alltagswelt heraus in eine traumhafte, exotische Welt hineinzuversetzen. Die expressionistische Formensprache zeigte sich als gestalterisches Stilmittel auf dem Fest, jedoch nicht als führende Ausdruckskraft. Die Autorin führt diesen Umstand auf die bereits stattfindende Kommerzialisierung des Expressionismus zurück, der zu jener Zeit nicht mehr als progressiv galt (52f.). Die Gestaltung der Räume, die sich in schrillen Farben und ausdrucksstarken Formen zeigte, folgte dem Ideal einer wiedereinzuführenden ganzheitlichen, synästhetischen Kunsterfahrung sowie einer Überführung der Kunst in die Lebenspraxis, wie es im Jugendstil maßgebend war - ganz im Sinne Otto Fischer-Trachaus (32f.). Die künstlerische Gestaltung des Götzenkraals wurde unter Zusammenarbeit des Oberbaurats und Malers Emil Maetzel, des Architekten Kurt F. Schmidts, des Bildhauers Richard Luksch sowie Otto Fischer-Trachaus vorgenommen und zeigt die starke Beeinflussung expressionistischer Malerei in der Verwendung der Primärfarben Rot, Gelb und Blau zu Gunsten eines starken, kontrastierenden Ausdrucks. Weiterhin geht die Autorin auf den künstlerischen Beitrag Lukschs ein, dessen Götzenskulpturen dem expressionistisch gehaltenen Raumstil erst das Prädikat ,primitiv' verleihen würden. Die in statischer Körperhaftigkeit und frontalansichtig gehaltenen Figuren erinnerten an afrikanische Kunst, ebenso durch ihre offenbarten Geschlechter, die auf Fruchtbarkeit und Ahnenfolge deuteten. Somit bildete der Raum ein Beispiel für die Zusammenarbeit der Künstler*innen, durch deren aufeinander abgestimmte Beiträge die künstlerische, expressive Gesamtwirkung des Raumes erzielt wurde. Röbstorf bringt die Wirkung der Räume den Leser*innen nahe und beschreibt Skulpturen, geometrische Formen, ausdrucksstarke und kontrastierende Farben, die expressionistische Raumgestaltung, bei der die Künstler*innen vollkommen freie Hand hatten und die in allen Räumen erkennbar ist (35-41). Ziel war unter anderem, bei den Besucher*innen eine ausgelassene Feststimmung zu erzeugen, sie in eine märchenhafte Szenerie zu führen, die bestimmte emotionale Reaktionen und Assoziationen auslösen sollten; in diesem Kontext führt Röbstorf den direkten Bezug zum expressionistischen Theater an und thematisiert die das expressionistische Theater prägenden Bühnen(bild)reformen. Wie das expressionistische Theater zielte auch die Götzenpauke mit ihrer expressionistischen Gestaltung auf die Aktivierung des Geistes, der Fantasie und der Emotionen bei den Besucher*innen, wenngleich die Autorin ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen Theater und Künstlerfest hervorhebt, wie beispielsweise, dass die Gesamtgestaltung der Räumlichkeiten des Festes für viele heterogene Veranstaltungen statt für einzelne spezifische Szenerien angelegt war und die Besucher*innen nicht dazu angewiesen waren einen definierten Raum einnehmen zu müssen, sondern sich frei durch die Räumlichkeiten zu bewegen (44-53). Die Autorin beweist auf diese Weise ihre durchdringende Auseinandersetzung mit der Thematik, stellt die Besonderheiten des Festes heraus und analysiert Gestaltung, Wirkung und Stil. Wünschenswert waren eine tiefergehende und kritischere Analyse sowie Kontextualisierung der Begrifflichkeiten >Götze<, >Fetisch< oder >Stil-Pluralismus< gewesen, die zum Teil zu allgemein verbleiben (55).

Weiterhin geht die Autorin im dritten Kapitel auf den Almanach der Götzenpauke ein, welcher durch die Veranstalter*innen der Götzenpauke - übertrieben scherzhaft - als das Standardwerk des Festgeschehens allgemein propagiert wurde und somit als eine Art Manifest anzusehen ist (Abb. 1). Das 68 Seiten starke Werk umfasst künstlerische Textbeiträge zum Fest sowie (druck-)grafische Werke. Die Texte sind zum Teil dadaistischen Stils entlehnt, sodass die akustische Qualität der Sprache in der Form eines Lautgedichts im Fokus steht (61). Die Gebrauchsanweisung fordert die Leser*innen dazu auf, den Almanach gleich eines Romans zu konsumieren. Der Almanach führte nicht durch das Fest oder erläuterte die einzelnen Beiträge, er stellte vielmehr eine Erweiterung des Künstlerfestes dar und bot (durch seine performative Wirkung) die Möglichkeit, die Erinnerung an das Fest, die Umgebung und das Erleben nach Abschluss der Feierlichkeit wieder hervorzurufen (63). Weiterhin führt die Autorin an, dass die Verwendung von sogenannten ,Urlauten' und die Verweise auf das vermeintlich ,Primitive' eine Reaktion auf die Sprach­ und Kulturkrise während des Ersten Weltkrieges sei, in welcher Zeit die Sprache als propagandistisches Mittel ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt habe. Ebenso zeuge der Almanach, so die Autorin, von Ironie und Parodie und der Suche nach einer neuen Ästhetik und Ausdrucksform, die das ,echte' Erleben anstelle passiven Rezipierens vorsah und die bereits bestehende Kunst- und Kultur in Frage stellte (66f.). Röbstorfs Darlegung zum Almanach ist zwar nicht umfangreich, thematisiert jedoch zentrale Aspekte, wie Inhalt und Beschaffenheit der Sprache, den Inhalt, die Verwendung und seine politische Dimension. Weiterhin befasst sie sich mit den für das Künstlerfest geschaffenen Druckgrafiken. Hier behandelt sie das von Emil Maetzel geschaffene Linolschnittplakat von 1921, welches mit seinem Motiv des Trommlers die zeittypische Vorstellung des ,Primitiven' zum Ausdruck bringt (Abb. 2). Röbstorf führt an, dass sämtliche auf dem Künstlerfest dargestellte Formen des ,Primitiven' einer abstrahierten Imagination entsprangen und so das Bild außereuropäischer Personen auf eine Art und Weise verfälschen würden, die bewusst und gewollt ,primitiv' erscheine (71).

Im vierten Kapitel analysiert Röbstorf die innerhalb des Künstlerfestes verwendeten druckgrafischen Erzeugnisse. Maetzels Plakat erscheint kontrastreich in schwarzer und roter Farbe und zeigt einen unbekleideten Trommler, dessen Nacktheit zur damaligen Zeit in den Kontext primitiver Darstellung außereuropäischer Kulturen fällt beziehungsweise als unzivilisiert galt. Besonders fällt auf, dass die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale des Trommlers geometrisch stilisiert dargestellt sind. Seine Attribute und die Plakatschrift weisen eine expressionistische Ausdrucksstärke auf. Mit der expressionistischen Linienführung visualisiert Maetzel Musik und Rhythmik, was wiederum auf das ganzheitliche Erleben des Festes abzielt (71-73). Weiterhin befasst Röbstorf sich mit zwei Grafiken des Almanachs. Als Grund für die Wahl der künstlerischen Technik des Holzschnitts führt Röbstorf an, dass die Künstlerin Dorothea Maetzel-Johannsen den Eindruck einer ,primitiven' Entstehungsart des Holzschnittes beabsichtigt habe, in dem es so aussähe, als hatte sie das Holz grob und kraftvoll bearbeitet, so als seien Stucke des Holzes dabei abgesplittert. Hier beginnt die Autorin Parallelen zu den Brücke-Künstlern zu ziehen, die den Holzschnitt aufgrund des einzigartigen Materials und seiner Fähigkeit zu ausdrucksstarken Formen bevorzugt als druckgrafische Technik wählten (77f.). Jedoch hatte diese Auswahl weniger mit Zwang zu tun, wie Röbstorf behauptet, sondern mehr mit einer bewussten Entscheidung und Materialwahl, die besonders feine formalästhetische Gestaltungsmöglichkeiten bot. Nicht zuletzt hatten die Brücke­Künstler eine starke und tonangebende Vorbildfunktion für damalige Künstler*innen, die sicherlich einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Werke der Götzenpauke nahm - auf die Druckgrafiken ebenso wie auf die Holzskulpturen.

Weiterhin behandelt Röbstorf einen Holzschnitt von Otto Fischer-Trachau und beschreibt, warum dieser als wild, naturhaft und erotisch angesehen werden kann. Dies geschieht zum Beispiel durch eine starke Assoziation des Männlichen und Weiblichen, die durch die hellen und dunklen Farbflächen hervorgerufen werden sollen. Aspekte des Erotischen sollen auch hier die damalige Vorstellung des Ursprünglichen widerspiegeln. Wilde Feiern galten aus der Sicht der Veranstalter*innen des Festes als treibende Kraftfedern der Götzenpauke. Es ging hierbei konkret um die Überwindung von Grenzen und von Altbekanntem (83-87). So haben Körperdarstellungen beziehungsweise das Motiv des Körpers eine besondere Stellung innerhalb der künstlerischen Beiträge des Festes, da die ihnen zugewiesenen ,ursprünglichen', ,natürlichen' Eigenschaften Möglichkeiten zur Darstellung des ,Primitiven' gaben. Geschickt greift Röbstorf auf die Literatur der damaligen Zeit zurück, um die Sichtweise auf außereuropäische Kunst und Kultur zu erörtern (89) und so den Leser*innen einen historisch-kontextuellen Rahmen zu ermöglichen, das Gesehene zu begreifen. Leider versäumt es die Autorin an dieser Stelle dies einer zeitgemäßen Rezeption zu unterziehen, sodass in Bezug auf die Themen aus den Bereichen außereuropäischer Kulturen, Geschlechterstereotype, Rassismus et cetera keine kritische Auseinandersetzung erfolgt.

Das Schlusskapitel bildet die Analyse von Gertrud und Ursula Falkes Tanzaufführung Das Götzenbumbum, womit die Autorin einmal mehr beweist, dass sie nicht nur eine einzige Gattung oder ein einziges Kunstmedium wissenschaftlich bearbeitet, sondern bewusst die Interdisziplinarität und Multimedialität wählt, um zumindest im Ansatz der Vielfältigkeit des Künstlerfestes und dem Anspruch einer fundierten Rekonstruktion gerecht werden zu können. Die Autorin führt zu Beginn des Kapitels an, dass der Tanz unter der Vielzahl an repräsentierten Kunstgattungen auf dem Fest eine besondere Stellung einnahm und erörtert dessen performativen Charakter und seine Bedeutung in der Stadt Hamburg, die im 20. Jahrhundert als Theaterstadt galt (92). Das Tanzstück der Geschwister Gertrud und Ursula Falke ist kaum reproduzierbar, jedoch ist eine handschriftliche Notiz durch den am Fest beteiligten Künstler Otto Tejus Tügel mit groben Regieanweisungen erhalten, die zur Vermittlung der Performance dient. Dennoch scheint es etwas zu beschönigend, wenn die Autorin behauptet, dass Otto Tejus Tügel m seiner Funktion als Schriftsteller die Ideen der Falke-Schwestern besser zu verfassen vermochte, als diese es selbst gekonnt hatten (95). So bleibt die Notiz über die Tanzaufführung ein von einem außenstehenden Beobachter verfasster Blick von außen.

Die Notiz weist eine sehr bildhafte Sprache auf, die die Umgebung und die Stimmung während der Performance beschreibt, jedoch keine Schritt- oder Bewegungsfolgen. Vielmehr werden Assoziationen, Emotionen und Eindrücke beschrieben sowie eine Vielzahl visueller, akustischer und olfaktorischer Reize (91-95). Die Tanzaufführung wurde als performativer Ausdruckstanz verstanden, der neben freien und assoziativen auch improvisierte Elemente enthielt, die den heutigen Leser*innen Einblick in ein damals vorherrschendes neues Verständnis von Tanz geben. Die Autorin ordnet das Götzenbumbum in den damaligen kulturhistorischen Kontext ein und analysiert den ,empathisch-expressionistischen Stil' zum Beispiel anhand der Lehren des Tanzpädagogen Rudolf von Laban und vergleicht ihn mit dem Tanzstil des Balletts. Im Gegensatz zu diesem zeichne sich der Ausdruckstanz - wie auch der Götzenbumbum - durch eine individuelle, das subjektive Empfinden der Tanzer*innen einbeziehende Programmatik, die vor allem Authentizität wiedergeben soll, aus. Weiterhin betont Röbstorf die Bedeutung rhythmischer Elemente, die in der Notiz Tügels mitverfasst wurden, welches die Bedeutung der Musik in diesem Werk verdeutlicht. Zuletzt ordnet die Autorin die Tanzaufführung in den Rahmen der Götzenpauke und der Darstellung des ,Primitiven' ein (95-109). Als besonderes Element der Archetypisierung und Darstellung des ,Primitiven' führt sie die Verwendung von "Urlauten und Urgeräuschen" (65f.) sowie Gestik, Mimik und Bewegung an, die einem zur Zeit der Götzenpauke allgemein als ,primitiv' geltenden Tanzstils zuzuordnen sind.

Zusammenfassend schließt Röbstorf ihre Untersuchung, in dem sie die zwei herausragendsten Merkmale des Götzenfestes erörtert und deutlich macht, dass der ,Primitivismus' sowie das Feiern von Festlichkeiten die grundlegenden Antriebsfaktoren der Götzenpauke waren. Weiterhin stellt sie heraus, dass das Künstlerfest somit in den Zeitgeist der Künstlerischen Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts fällt, in dem die Suche nach der ,Ursprünglichkeit' und dem Exotismus sowie die Bewunderung außereuropäischer Kulturen von zentraler Bedeutung waren. Ebenso führt sie an, dass sich die Künstler*innen wahrscheinlich ihrer eigenen durch Überhöhung und Romantisierung verfälschten Vorlieben für das Exotische und ,Primitive' bewusst waren; vielmehr sollten diese Spannung, Entdeckerfreude und Witz mit einbringen (110f.). Röbstorf vergleicht die Götzenpauke mit karnevalistischen Festen und kommt zu dem Schluss, dass beide Festlichkeiten starke Parallelen zueinander aufweisen (111f.). Hier greift die Autorin zu dem Begriff ,Spießbürgertum', um so den Leser*innen durch den angeführten Gegensatz des bürgerlichen Konservatismus die Eigenheiten des Künstlerfestes deutlich vor Augen zu führen. Wiederum bringt die Autorin das Fest in den zeithistorischen Kontext und die damals vorherrschende, vor allem wirtschaftliche Krisensituation, weswegen es der Hamburger Gesellschaft wohl auch als bewusst willkommene Ablenkung von der harten Realität entgegenkam (115).

Mit der Auseinandersetzung der komplexen Thematik des gattungsübergreifenden Künstlerfestes verdeutlicht Röbstorf die Notwendigkeit einer kritischen kunstwissenschaftlichen Auseinandersetzung, wenn es um Kunstwerte von Kulturen geht, die aus externer Perspektive betrachtet werden. Es muss besonders darauf hingewiesen werden, dass das vorgegebene Format der Arbeit natürlich nicht ausreicht, um die gesamte kultur- und kunsthistorische, soziologische und politische Tragweite der Götzenpauke darzustellen, wonach Röbstorfs Publikation naturgemäß einige Leerstellen aufweist, wie zum Beispiel eine tiefergehende Einbettung des Festes in die kunsthistorischen Entwicklungsprozesse des ,Primitivismus' und Expressionismus oder die kontextuale Einbettung in die kultur- und kunsthistorische Landschaft Deutschlands beziehungsweise Europas zu jener Zeit. Röbstorf weist mit ihrer Arbeit auf Desiderate der Forschung hin und legt eine solide Grundlage für die weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema. Nicht zuletzt ist es der Autorin hoch anzurechnen, dass sie sich in ihrer Arbeit erstmals mit Themenfeldern befasst, die in ihrer Art nicht nur wissenschaftlich komplex und mühsam aufzuarbeiten sind, sondern auch in aktuellen Debatten kontrovers diskutiert werden. Obschon Röbstorf versucht die überregionale Bedeutsamkeit der Feste zu verdeutlichen, bleibt ihr Fokus lokal auf die Stadt Hamburg, das Fest als solches und die teilnehmenden "Künstler*innen beschränkt. Hier waren eine Kontextualisierung und Einordung in das Zeitgeschehen wünschenswert, die die Perspektive erweitert und parallele kunst-und kulturhistorische Tendenzen aufzeigt, sowie eine weitumfassendere kunsttheoretische Einordnung. Weiterhin wäre es wünschenswert gewesen im Rahmen der komplexen Thematisierung und Interpretation fremdländischer Kunst und Kulturen auch auf Grundlage aktueller kulturwissenschaftlicher Methoden zu arbeiten und sich stärker der euro- und ethnozentristischen Verzerrung bewusst zu werden, die bei solchen Themen nie auszuschließen ist.

Insgesamt handelt es sich bei Röbstorfs Arbeit um eine erste Untersuchung eines Themas, welches noch nicht durch wissenschaftliche Analysen erschöpft wurde. Weiterhin handelt es sich um ein äußerst komplexes und vielseitiges Thema; eine derart heterogene Thematik lässt sich kaum ohne interdisziplinäre und vielfache Methoden behandeln. Indem die Autorin diesen schwierigen Schritt wagt, gelingt es ihr, den Leser*innen trotz der formalen Beschränkung, der eine Masterarbeit naturgemäß unterliegt, ein möglichst breites Spektrum der Götzenpauke darzulegen und regt somit Kunst- und Kulturwissenschaftler*innen dazu an, sich weiter diesem Thema zuzuwenden.

NINA DUSARTZ DE VIGNEULLE
Blankenrath


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