Marion Maja Glozober

Martin Buber und das gesprochene Wort der Liebe

Rezension


Die Autorin wollte keine akademische Schrift für ein wissenschaftliches Publikum, sondern für eine philosophisch-theologisch interessierte Leser:innenschaft schreiben (S. 7). Marion Glozober liest und kommentiert homilieartig Bubers Hauptwerk Ich und Du (1923) als ein Buch über zwischenmenschliche Liebe, Leiblichkeit und Sexualität.

Glozober beginnt mit Bubers Fokus auf den Begriff "Aufgeschlossenheit" (S. 9): "Aufgeschlossenheit führt mit der Zeit zu einem wirklichkeitsgerechteren Leben." (S. 10) Der Autorin geht es in ihrem Kommentar um Bubers "Haltung zur Liebe und zum Sex." (S. 10) Ihr Interesse an diesem Themenkreis rührt möglicherweise von ihrer Berufstätigkeit als "zertifizierte Heilpraktikerin für Psychotherapie" her (S. 139).

Das Wort der Liebe zu klären, ist die Basis des Buches (S. 14). Berührung sei auch eine Form des Sprechens, der Kommunikation (S. 15). Buber, so die Autorin, sei einer der wenigen Philosophen, der sich mit dem Thema Liebe beschäftigt habe (S. 16). Gleichwohl beklagt Marion Glozober, dass die Liebe durch Wissenschaft und wissenschaftliche Sprache entzaubert worden sei, und will eine Philosophie entwickeln, "die sexuelle Erfahrungen beschreibt, reflektiert und interpretiert" (S. 16). Die Autorin sieht in Bubers Ich und Du einen derartigen Versuch, über die Liebe und Beziehungsqualitäten zu sprechen (S. 18). Diese Interpretation der Schrift Bubers liegt jedoch nicht auf der Hand, wie die Autorin ständig betont, weil Buber zuerst an den Kategorien Beziehung - Begegnung als Welterschließungsmodell (Ich-Du; Ich-Es) interessiert ist. Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit und Sexualität sind m.E. nicht die präferierten Intentionen Bubers bei der Abfassung seines Buches, aber trotzdem hat Glozobers Fragerichtung natürlich einen gewissen Charme.

Gleichwohl ist der Autorin recht zu geben, dass Bubers Schrift nicht einfach zu lesen und in sich sehr komplex aufgebaut ist (S. 23). "Alles wirkliche Leben ist Begegnung" ist das grundlegende Motto von Bubers Buch (S. 29). Buber selbst machte sich schon während des Ersten Weltkriegs Gedanken über eine dialogische Struktur der Philosophie (S. 31). Glozober kommentiert nun im Folgenden ausgewählte Kapitel aus Ich und Du in ihrer Perspektive (Kap. 19; 21; 22; 33; 49; 50; 52; 55; 56; 58), d.h., dass sie sich explizit mit "Liebe" beschäftigen (S. 33) und wo es Buber um die Du-Haltung des Menschen geht (S. 35). Liebe sei Widerfahrnis; Geschehnis; Lebendiges (S. 39), und Buber konzentriere sich auf das sog. ZWISCHEN zwischen Ich und Du (S. 40).

Glozober geht im Weiteren auf Bubers kreuzestheologischen Diskurs ein, ohne ihn zu kontextualisieren - dieser Diskurs passt jedoch nicht in ihre Perspektive der Leiblichkeit und Sexualität (S. 43). In Bezug auf Kapitel 21 von Ich und Du behauptet Glozober, dass Buber sein Konzept der Leiblichkeit nicht vor 1923 habe entwickeln können, was jedoch Bubers Sicht auf den Chassidismus unterschlägt, wo er sehr deutlich (MBW 17) ein Konzept der Leiblichkeit vorlegt (S. 45). Kapitel 33 ist Glozober deswegen wichtig, weil Buber dort die Ehe thematisiert (S. 51). Sie interpretiert Bubers Aussagen über die Ehe auf dem Hintergrund seiner Beschäftigung mit der Mystik, vor allem Meister Eckhart (Coincidentia Oppositorum), wobei es im Unterschied zur mystischen Einung nicht um ein Abbild ehelichen Lebens geht, sondern um das Ich des Betenden in der Gottesbeziehung (S. 55). Wichtig an der Ich-Du-Beziehung ist für Glozober die "gegenseitige liebevolle Offenbarung der beiden Träger der Urbeziehung" (S. 57). Glozobers Versuch, trinitarisches Denken bei Buber zu entdecken, muss scheitern, weil Bubers Fokus nicht auf einer Diskussion innertrinitarischer Beziehungen liegt (S. 57).

Die Autorin unterschlägt in ihrer Zuspitzung auf Sexualität Bubers Grundthese: Ich werdend am Du. Hier geht m.E. gerade nicht um die mystische Unio mystica der mystischen Literatur (S. 63). Natürlich kann man Bubers Ich-Du-Beziehung auf die menschliche Grundform der Sexualität beziehen, man muss es aber nicht (S. 67). In Kap. 50 nimmt Buber Bezug auf Gottes Majestät bzw. auf die Theophanie in Jes 6, was wiederum von Glozober nicht wahrgenommen wird (S. 73).

Gut gelungen dagegen Glozobers Rekonstruktion des ewigen Du (S. 79), und sie schließt den Kreis zur Überschrift des Buches: "Das Wort trifft in der Begegnung der beiden Menschen seine Antwort. Das Wort begegnet seiner Antwort auf seine eigene Anrede. Es ist also das Wort, das aktiv ist." (S. 82) Durchaus attraktiv ist der Versuch Glozobers, Bubers Schrift im Kontext von Leiblichkeit - Sexualität - Begegnung zu lesen, was aber droht, ist die Überhöhung sexueller Beziehungen (S. 92): "In der Liebe empfange ich den Sinn meines Lebens. Und dieser ist einzigartig in der langen Menschheitsgeschichte und auf dem gesamten Erdkreis." (S. 96) Ab S. 101 versucht sich die Autorin in einer Art feministischer Kritik und entdeckt in der Philosophie Bubers frühe Formen "geschlechtergerechter Sexualität" (S. 104).

Der Ansatz Glozobers, in der Symbolsprache Bubers Andeutungen und Bezüge zu Formen der Liebe im Bereich der Sexualität zu entdecken, ist reizvoll, aber an manchen Stellen des Buches m.E. überinterpretiert. Nichtsdestotrotz ist das Buch lesenswert, auch wenn die Diktion und Versprachlichung der Gedanken Glozobers manchmal sprunghaft und assoziativ daherkommen.

Wilhelm Schwendemann


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