Mercy Okojie

Die Boa und ich -

Satiren aus dem Neuen Deutschland

Rezension


Bevormundung und ethnische Vorurteile

Erfahrungen einer nigrianischen Lehrerin in Deutschland -Mercy Okojies mitreißende Satiren

Ein erstaunliches Buch dieser Band der nigerianischen Autorin Mercy Okojie, die als Lehrerin an einem Gymnasium in Deutschland arbeitet! Auf satirische, zuweilen auch sarkastische Weise erzählt sie von ihren Erlebnissen an einer Schule, wo die Direktorin eine Willkürherrschaft etabliert hat, unter der Lehrer und Schüler gleichermaßen leiden. Die Autorin gerät in die Schusslinie der Schulleiterin, nachdem sie eine Realsatire über eine Abiturprüfung veröffentlicht hat. Dass sie die Geschichte anonymisierte, hilft ihr leider nicht, setzt sich die Schulleiterin doch über die im Grundgesetz verankerte Freiheit der Kunst selbstherrlich hinweg und ordnet die Strafversetzung der nigerianischen Kollegin an. Die Boa, wie sie von Mercy Okojie genannt wird, kann sich bei ihren Machenschaften auf ein eingespieltes Netzwerk von devoten Spitzeln und Denunzianten verlassen. So wird jede eigenständige Regung und kreative lnitiative von der Schulleiterin im Keim erstickt. Am Ende jedoch, als die Strafversetzung unmittelbar bevorsteht, gelingt es Mercy Okojie, Eltern, Schüler und Kollegen für sich zu gewinnen... Wer wissen will, wer die Kraftprobe gewinnt, möge selbst in dem spannenden Buch nachlesen.

Neben der Boa lernt der Leser aber nach andere Zeitgenossen kennen die man als Beispiele missglückten Lebens bezeichnen könnte und denen man heutzutage immer öfter begegnet. Da wäre etwa der "Schwarze Riese", der mit der Autorin befreundet gewesen war und ihre Texte lektoriert hatte. Obwohl schon Mitte vierzig, wohnt der Lektor noch immer im Hotel Mama und schreibt seit zwanzig Jahren an seiner Doktorarbeit. Nicht allein, weil er sein Thema verfehlt hat, sondern auch aus Angst vor den "weitreichenden Lebensentscheidungen" nach der Promotion scheitert er an deren Fertigstellung. Als die Autorin ihren Lektor einmal zu einem afrikanischen Gottesdienst einlädt und er sich "mit Händen und Füßen sträubte - als käme eine schmerzhafte Beschneidungszeremonie auf ihn zu", wird ihr klar, dass er eine tiefsitzende "Phobie vor Afrikanern" hat. Und es ist für sie nicht verwunderlich, dass der "Schwarze Riese" aus seiner Einsamkeit ausbricht und mit den Neuen Rechten sympathisiert, um schließlich mit ihren Kreisen Kontakt aufzunehmen. John Bridge, der kongeniale lIIustrator dess Buches, hat von dem Lektor ein eindrucksvolles Porträt beigesteuert: ein vergreistes, stark übergewichtiges Kleinkind, dessen sinnentleerter Blick durch eine schief sitzende Brille, ein Kassengestell des letzten Jahrhunderts, sich in den Betrachter verbohrt, ohne ihn jedoch erreichen zu können. Beinahe noch ärger mutet Dr. Z an, ein ehemaliger Kollege von Mercy Okojie. Der Lehrer für Deutsch und Latein - ein einsamer Wolf in der Wüste der Großstadt - verunglimpft in seinen Texten Juden und Ausländer, denen er unterstellt, "deutsche Frauen zu vergewaltigen und auf deutsche Straßen zu kacken". Dabei stellt er seine eigene kulturelle Überlegenheit unter Beweis, in dem "er seine antisemitischen Gedichte einer rechten Rockband namens Thronstahl" widmet. Kein Wunder, dass Dr. Z. die Kollegin aus Nigeria ein Dorn im Auge ist, "denn Afrikaner verabscheute er aus ganzer Seele". Das Überraschende und vielleicht auch ein wenig unwahrscheinliches Ende der Geschichte von Dr. Z. und dem "Schwarzen Riesen" sollte jeder selbst nachlesen. Nur soviel sei verraten: Der Lektor und Dr. Z. reisen gemeinsam nach Nigeria, wo sie nach schmerzhaften Niederlagen eine Läuterung erfahren.

Bewegend an Mercy Okojies Erzählungen ist nicht nur ihr lebendiger, pointierter Stil, sondern vor allem der Blick einer Afrikanerin auf den von Entmündigung und soziokulturellen Vorurteilen geprägten Alltag in Deutschland, von dem sich die Autorin allerdings nicht unterkriegen lässt - davon zeugt ihr Buch auf beeindruckende Weise.

Ester Awonoor


Copyright © 2020 by Verlag Traugott Bautz