Helmut Fischer

Kein Gott - was nun?

Glauben in posttheistischer Zeit

Rezension


Bei einer Eurobarometer-Umfrage im Dezember 2018 ordneten sich in Deutschland noch rund 65 Prozent der Befragten einer christlichen Kirche bzw. Religionsgemeinschaft zu. Die Mitgliederzahlen sind seither weiter gesunken. "Wer aus der Kirche austritt, weiß oft schon längst nicht mehr warum er überhaupt noch drin war", schreibt dazu die junge Philosophin Birthe Mühlhoff in ihrem beachtlichen Beitag "Ich bleibe. Sieben Gründe, warum ich die katholische Kirche auch jetzt nicht verlasse" (Süddeutsche Zeitung. Osterausgabe 2021)

Für Helmut Fischer, einst Dirketor des ehemaligen Theologischen Seminars der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Friedberg, ist diese Entwicklung Ausdruck eines geistigen Umbruchs, der erstmals in der Folge des Erdbebens von Lissabon 1755 sichtbar und bewusst wurde, der sich unter Intellektuellen jedoch bereits ein Jahrhundert zuvor andeutete. Fischer nennt diesen geistigen Umbruch den Wechsel vom subjektivischen zum funktionalen Paradigma. Es wird nicht länger gefragt, "wer etwas verursacht hat", sondern "wie und nach welchen Gesetzmäßigkeiten etwas zustande gekommen ist und funktioniert." Diese Sichtweise richtet sich zwar, "weder gegen Gott noch gegen Religion." Allerdings "hat keinen Grund mehr, nach dem Verursacher zu fragen", "wer die Ursache für ein Geschehen kennt." Dieser Umbruch im Weltverstehen hat sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts im deutschen Sprachraum rasch durchgesetzt, so dass Gott als Verursacher allen Geschehens aus dem Denkhorizont vieler Zeitgenossen geradezu unbemerkt verschwunden ist und kaum vermisst wird. (S.51)

Subjektivisches und funktionales Weltverständnis bilden für Fischer die Perspektiven, aus denen er die Themenfelder "Religion", biblische "Quellen", "Gott", "Jesus", "Mensch" und "Kirche" gedanklich präzise beleuchtet. Dabei ist seine Leitfrage, ob die Botschaft Jesu, in der sich alle christlichen Kirchen gegründet wissen, zwingend an das monotheistische Paradigma und seine historischen Ausformungen gebunden ist oder auch in einem funktionalen Weltverständnis zum Ausdruck gebracht werden kann. Fischers Ergebnis ist, dass sich der Gehalt der Botschaft vom Reich Gottes, die Jesus verkündete, sehr wohl in säkularer Sprache ausdrücken lässt: "In das Reich Gottes einzutreten, das bedeutet schlicht, wie Jesus aus den Impulsen und der Kraft jener Liebe zu leben, zu der unter allen Lebewesen allein der Mensch frei und fähig geworden ist. Mit seinem Leben und seiner Botschaft hat Jesus eine Dimension von Menschsein in den Blick gebracht, die bis dahin weder voll erschlossen noch in dieser Klarheit bewusst war." (S.429)

Die Konsequenzen, die Fischer daraus für kirchliches Reden und Handeln gewinnt, durchziehen die einzelnen Kapitel wie ein roter Faden. Ein Vorzug ist, dass das umfangreiche Buch nicht als Lehr- sondern als Lesebuch aufgebaut ist, dessen thematische Artikel jeweils in sich verständlich sind. Das ermöglicht einen unmittelbaren Blick in Fischers Ausführungen zu praxisrelevanten Themen wie "Glaubensbekenntnis im Gottesdienst" (S. 127-130), "Gebet" und "Gebet Jesu" (S. 312-341) sowie "Taufe" und "Abendmahl" (S. 418-428).

Birthe Mühlhoff würde durch die Lektüre dieses Buches, auch durch die kritische, zugleich respektvolle Darstellung der theologie- und kirchengeschichtlichen Entwicklungen, vermutlich die "produktive Verunsicherung" gewinnen, die sie sich wünscht. Das erhofft sich jedenfalls Helmut Fischer für seine Leserinnen, die er dazu ermutigen will, "von der Basis der Botschaft Jesu aus eigenständig weiterzudenken."

Manfred Holze
Schulamtsdirektor und Pfarrer i.R., Offenbach


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