Helmut Fischer

Kein Gott - was nun?

Glauben in posttheistischer Zeit

Rezension


Dem emeritierten Homiletik-Professor ging es schon immer darum, eine Sprache zu finden, die seine Zuhörer und Leser wirklich erreicht und ihren Denkmustern entspricht. In seinem neuesten Buch geht Helmut Fischer davon aus, dass die große Mehrheit der Deutschen nicht mehr an Gott glaubt, weshalb sich die Frage stellt, ob für diese große Gruppe die Botschaft Jesu noch etwas bedeuten soll. Fischers Antwort ist ein eindeutiges Ja.

Auf dem Umschlagtext des Buches heißt es, der Autor mische sich nicht ein "in die Debatte über die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht", gleichwohl sei es das Ziel des Buches, "die Botschaft Jesu denen zu vermitteln, die sich vom Gottesgedanken verabschiedet haben". Das bedeutet, dass die Gottesfrage nicht mehr das zentrale Thema ist, sondern nur noch in historischer Sicht behandelt wird. Es wird also eine "Theologie" entwickelt, die Gott nicht mehr voraussetzt, um die Botschaft Jesu zu entfalten.

Allerdings geht es dem Autor in großen Teilen des Buches darum, das theistische Paradigma neben das nicht-theistische Denkmodell zu stellen und deren jeweilige Denkvoraussetzungen vorzustellen.

Die theistische Weltdeutung - Fischer spricht meist vom "subjektivischen Paradigma" - ist demnach "nur eine unter vielen Ausdrucksformen des Religiösen". Das subjektivische Paradigma bezeichnet ein Weltverständnis, das hinter oder in allen Geschehnissen in dieser Welt Aktionssubjekte am Werk sieht - in den Hochkulturen eben auch Götter und im Judentum den einen Gott. Die Vorstellung von göttlichen Wesen nach Menschenart sei erstmalig in den Hochkulturen um 3.000 v.Chr. aufgetaucht. Vorher - d.h. bis zum Neolithikum - gingen die Menschen von numinosen Wirkkräften und unpersönlich handelnden Mächten aus, die noch nicht als Götter, sondern eher als Geister oder Dämonen zu bezeichnen sind, weshalb man für diese Kulturen vom "Animismus" spricht. Erst als mit der Einführung des Ackerbaus - auch als neolithische Revolution bezeichnet - der Mensch zum Städtebauer wurde, kam der Götterglaube auf. "Diesem Selbstverständnis entsprechend, nahmen auch die bisher unpersönlichen Wirkmächte menschliche Gestalt an. Als personale Wesenheiten erhielten sie auch persönliche Namen." (S. 31)

Im subjektivischen Paradigma bedeutete das "Erklären" eines Vorgangs stets, dessen Urheber, ein agierendes Subjekt, zu benennen. Dieses subjektivische Handlungsmuster finden wir in allen frühen Kulturen als verbindliches Grundmuster des Weltverstehens, und in unserem Kulturraum dominierte es bis in die Neuzeit.

Das änderte sich aber mit dem Aufkommen der wissenschaftlichen Revolution. Das subjektivische Paradigma begann sich ab dem 16. Jahrhundert aufzulösen und durch das "funktionale Paradigma" ersetzt zu werden. Die Veränderung vollzog sich vor allem durch die astronomischen Entdeckungen. War man bisher sicher, dass Gott die Sterne auf ihre Bahnen gesetzt hatte und dort hielt, so fragten diese Naturforscher jetzt danach, nach welchen erkennbaren Gesetzen sie sich so sicher auf ihren Bahnen hielten (S. 50). Die Naturwissenschaft fragt nicht mehr danach, wer etwas verursacht hat, sondern, wie und nach welchen Gesetzmäßigkeiten etwas zustande gekommen ist. Es wird nach der Ursache, nicht mehr nach dem Verursacher gefragt. Aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich das neue funktionale Paradigma auch im Alltagsdenken weitgehend durch. "Vor unseren Augen, aber unterhalb des Radars des öffentlichen Bewusstseins und auch der Kirchen vollzieht sich der am tiefsten greifende Umbruch in der Religionsgeschichte der Menschheit." (ebd.)

Fischer betont, dass sich dieses neue Fragen nach den Ursachen und nach der Funktionsweise nicht gegen die Religion oder gegen Gott richtete, und die benannten Forscher seien ja auch allesamt gläubige Menschen gewesen, die weiterhin an ihrem Gottesglauben festhielten. "Nur, wer die Ursache für ein Geschehen kennt, hat keinen Grund mehr, nach dem Verursacher zu fragen ... Ein Bauer, der die Funktion eines Blitzableiters verstanden hat, wird dem Blitzableiter auf seinem Dach fortan mehr vertrauen als den Bitten zu Gott, sein Haus vor Blitzschlag zu bewahren." (S. 51)

Aus diesem dramatischen Gottesverlust zieht Fischer die Konsequenz, dass man nicht mehr im subjektivischen Weltverständnis verhaftet sein muss, "um die Botschaft Jesu zu verstehen und sie zu leben. Wir haben als Kirche zu lernen, in der öffentlichen Verkündigung der Botschaft Jesu jene Anschauungsformen loszulassen, die außer Kurs geraten sind und im Denken der Zeitgenossen ihre Plausibilität verloren haben. Vieles ist säkular sagbar." (S. 53)

Laut Fischer machte Jesus mit seinem exemplarischen Verhalten allen Menschen Mut, "ihr Leben aus der Grundhaltung des Liebens zu wagen und damit eine neue Dimension des Menschseins und menschlicher Gemeinschaft zu verwirklichen" (S. 113). Und das ist nach Fischer für jeden "unmittelbar verständlich, ob er nun an einen oder an viele Götter glaubt oder an nichts von alledem" (ebd.). Inhaltlicher Maßstab für den christlichen Glauben könne allein die Botschaft Jesu sein. Fischer spricht niemandem das Recht ab, über Gott als Schöpfer dieser Welt nachzudenken oder seinen Glauben im monotheistischen Paradigma zu artikulieren. Aber er begrüßt den mit dem Paradigmenwechsel entstandenen heilsamen Zwang, die theologischen Gebäude, die in der Logik des monotheistischen Paradigmas errichtet wurden, in der Geschichte stehen zu lassen und sich ganz auf die Verkündigung Jesu zu konzentrieren, die uns in seinen Worten und Taten entgegentritt.

Kurt Bangert


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