Wolfgang PFÜLLER – Pfarrer im Ruhestand, Dozent und habilitierter Theologe – hat ein Buch mit hohem Anspruch vorgelegt: Gott
weiter denken: Stationen interreligiöser Theologie. Auf dieses Erfordernis ausgerichtet sind die insgesamt zehn Aufsätze, die in dem Band versammelt sind. Die meisten sind in den letzten
Jahren bereits an anderer Stelle erschienen. Insofern kann das Buch als (Zwischen-)Bilanz des Autors in Bezug auf sein Forschungsfeld
gesehen werden. Doch es sind auch eigens für das Buch verfasste Beiträge zu finden – etwa der Aufsatz »Von der Fragwürdigkeit des
Schöpfungsgedankens«. Hier zeigt PFÜLLER überzeugend, dass die Rede von der Welt als einer göttlichen Schöpfung problematisch ist.
Denn einerseits führt sie zum Theodizee-Problem, also zu der Frage, wie wir angesichts der Übel in der Welt einen allmächtigen und
allgütigen Schöpfer denken können. Andererseits verfügt der Schöpfungsgedanke über recht wenig Erklärungskraft. Zwar gibt er eine
Antwort auf die Frage, warum überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts. Doch ist damit etwas gewonnen? Der Autor verweist darauf,
dass diese Frage vielleicht prinzipiell nicht zu klären ist. Nebenbei gesagt, zeigt sich seine kritische Sicht anschlussfähig an die
philosophische Diskussion: Denn wir können im Gefolge von Philosophen wie Ludwig Wittgenstein oder (in der Gegenwart) Markus
Gabriel davon ausgehen, dass alles, was es gibt, die Summe der Tatsachen ist. Läge ein umfassendes Nicht-Sein vor, wäre auch das eine
Tatsache – dass nichts existiert, ist also unmöglich. Mit anderen Worten: Die Frage, warum es überhaupt etwas gibt, dürfte sinnlos bzw.
überflüssig sein – und damit auch die Antwort, dass es einer göttlichen Instanz bedürfe, die die Existenz der Welt verbürgt. Das geschilderte Problem hängt wie angedeutet eng zusammen mit der Theodizee-Frage. Ein theologischer Gemeinplatz ist es, das allgegenwärtige
Leiden in der Welt damit zu erklären, dass Gott es vorgezogen habe, uns einen freien Willen zu schenken. Er habe die damit verbundene
Konsequenz, dass menschliches Handeln Schlimmes bewirkt, in Kauf nehmen müssen. In dem Aufsatz »Theodizee und Willensfreiheit« weist Wolfgang
PFÜLLER nach, dass diese Idee, nach der das Leiden der Preis der Freiheit ist, nicht zu halten sein dürfte. Denn es gibt in der Welt derart
schreckliches Leiden, dass sich die Frage nach seiner Verrechenbarkeit als geradezu zynisch ausnehmen dürfte. Und zudem kann PFÜLLER auch
in diesem Fall den Rückhalt für sich verbuchen, den die Gegenwartsphilosophie ihm bietet. Denn diese macht deutlich, dass es ohnehin mehr
als fraglich ist, ob es so etwas wie einen freien Willen überhaupt gibt. Georg Büchners berühmter Ausspruch: »Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus« lässt sich also nicht so leicht vom Tisch wischen.
Vor diesem Hintergrund ist es wertvoll und fruchtbar, dass sich der Verfasser gegen allzu eilfertige theologische Beschwichtigungen wehrt
und sich stattdessen ausführlich mit atheistischen Positionen auseinandersetzt. Gleich im ersten Aufsatz des Bandes liefert PFÜLLER »Stichwörter
zur Situation säkularisierter, multireligiöser Gesellschaften«. Hier wirbt er mit guten Argumenten für eine Position des interreligiösen
Pluralismus, die eine mehrfache Religionszugehörigkeit nicht ausschließt. Im vorliegenden Band fokussiert sich die Perspektive der Weltreligionen auf den Islam und das Bahaitum. Zu beiden hat PFÜLLER bereits
ausführlich publiziert. Insbesondere die Figur Mohammeds interessiert den Verfasser. Mit dieser befasst er sich in zwei Aufsätzen:
In seinem ersten Beitrag weist er die Frage, ob Mohammed aus christlicher Sicht als Prophet anzuerkennen sei, als veraltet zurück.
Eine tragende Säule bei der Begründung dieser Ansicht stellt die folgende Überzeugung dar: »Die Behauptung eines Menschen, Gottes Wort mit-
zuteilen, ist angesichts der unermesslichen göttlichen Wirklichkeit geradezu blasphemisch.« (202) Von daher erscheint das überlieferte Konzept des
Prophetentums nicht mehr als tragfähig. Im zweiten einschlägigen Aufsatz benennt er die »Hauptprobleme eines kritischen Vergleichs zwischen Jesus und Mohammed«. Trotz aller
Schwierigkeiten der historisch-kritischen Forschung betrachtet er eine derartige Gegenüberstellung als lohnend, denn sie bietet die
Möglichkeit, beide »idealtypisch so zu profilieren, dass sie zentrale Geltungsansprüche der beiden Traditionen prägnant zu bezeichnen
und einander gegenüber zu stellen erlauben.« (244) Fazit: Pfüllers Beiträge zu einer interreligiösen Theologie sind ebenso prägnant wie originell. Seine Thesen sind durchaus provokativ, aber
stets schlüssig begründet. Mit seinen Impulsen ermuntert der Verfasser dazu, manch alten Zopf abzuschneiden und neue Wege zu beschreiten, die
uns einen weiteren Horizont erblicken lassen als jenen, den die Theologie bisher eröffnet hat. Ein in der Fülle seiner Perspektiven anregendes und
höchst lesenswertes Buch! Michael Großmann / Achern
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