Ulrich Goerdten

Bibliographie Johannes Trojan

bibliothemata, Band 30

Rezension


Seit vielen Jahren betreibt der Bibliothekar und Autor Ulrich Goerdten ein ebenso eigenwilliges wie verdienstreiches Projekt: In Bibliotheken, Zeitungsarchiven und Nachlässen, zuweilen auch auf dem antiquarischen Buch- und Zeitschriftenmarkt, schürft er nach verschollenen und vergessenen Autoren und Texten aus der deutschen Literaturgeschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die Ergebnisse mühevoller Forschung liegen in Form etlicher bio-bibliographischer Studien und Editionen vor. Bis vor einigen Jahren publizierte Goerdten sie oft innerhalb seiner Edition im Luttertaler Händedruck (1991-2011). Mit zwei voluminösen Personalbibliographien - zu dem populären Romancier Julius Stinde (2001) und dem Feuilletonisten und Bibliophilen Gotthilf Weisstein (2013) - beteiligte er sich an den Bibliographien zur deutschen Literaturgeschichte des Aisthesis Verlags. Mit dem vorliegenden Nachfolgeband zu dem umtriebigen Berliner Publizisten Johannes Trojan (1837-1915) hat Goerdten dagegen in der für Quellen und Forschungen zur norddeutschen Kulturgeschichte einschlägigen Reihe Bibliothemata Unterschlupf gefunden.

Trojan ist heute allenfalls noch als langjähriger Mitarbeiter der populären, durch Max Kalisch begründeten politisch-satirischen Wochenschrift Kladderadatsch in Erinnerung, als deren verantwortlicher Redakteur er 1898 - im selben Jahr wie Frank Wedekind in der Simplicissimus-Affäre - wegen Majestätsbeleidigung angeklagt und zu Festungshaft verurteilt wurde. Tatsächlich gehört Trojan jedoch zusammen mit Heinrich Seidel, Julius Stettenheim oder dem bereits erwähnten Julius Stinde, zu denen Goerdten bereits früher publiziert hat, zu den produktiven Autoren der wenig erforschten Epochenübergänge zwischen poetischem Realismus und klassischer Moderne. Als Satiriker, Humoristen und Milieuschilderer sowie mit ihren Reise- und Jugendbüchern erreichten diese Autoren einst ein Massenpublikum, bevor die Wandlungen des literarischen Zeitgeschmacks über sie hinweggingen. Vergessen sind sie aber auch, weil der überwiegende Teil ihres Werks schwer zugänglich in zeitgenössischen Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien ‚begraben' liegt. Hier setzt der ‚Literatur-Archäologe? Goerdten an, dessen bibliographische und editorische Exkursionen ins literarhistorische Niemandsland sich nicht mit der Hebung ihrer Funde begnügen, sondern zugleich das Neuartige und Unbekannte auf scheinbar bereits erschlossenem Terrains beleuchten. So erschien als Appetizer auf die vorliegende Bibliographie bereits vor einigen Jahren der reizvoll aufgemachte Band Berliner Bilder, in dem Goerdten 133 feuilletonistische Skizzen versammelt, die Trojan zwischen 1880 und 1905 in der Berliner National-Zeitung veröffentlicht hat. Diese kurzen, für den Tag geschriebenen Texte erweisen sich aus der Rückschau als stimmungsvolle und kenntnisreiche Momentaufnahmen einer Großstadt im historischen Umbruch. Aus großer Nähe werfen sie einen Blick auf urbane Szenarien des jahreszeitlichen Wechsels, Besonderheiten der städtischen Fauna und Flora, die Topographie von Straßen, Plätzen, Parks und die Landschaften am Stadtrand, auf fliegenden Händler, Jahr- und Weihnachtsmärkte, Eislaufbahnen, Festkulturen, die Verkehrssituation oder die Eigenheiten des Berliner Adressbuchs. In ihrer stilistischen Unmittelbarkeit und der Liebe zum Detail verwandt mit dem Genre der britischen ‚country notes', handelt es sich bei diesen Texten zugleich um wertvolle kultur- und alltagshistorische Quellen.

Die Trojan-Bibliographie gliedert sich in drei durchlaufend nummerierte Hauptabschnitte. Annähernde Vollständigkeit dürfte für (einige wenige spätere Neudrucke nicht eingerechnet) 66 Buchpublikationen Trojans aus den Jahren 1863 bis 1915 erreicht werden, darunter mehrere Gedichtbände und etliche heute seltene, illustrierte Kinderbücher. Die zweite Abteilung, die wie die erste chronologisch angelegt ist, umfasst rund 2130 unselbständige Publikationen Trojans (1868-1915; Posthumes und Nachdrucke bis 2014). Trotz dieser Fülle, die auf der zeitintensiven Auswertung etlicher Tageszeitungen, Familienzeitschriften und Jugendkalender beruht, in denen Trojan publiziert hat, dürften in diesem Bereich - wie der Bearbeiter im Nachwort freimütig einräumt - "bei weiterer Suche noch viele entlegene Kleinbeiträge Trojans gefunden werden"´ (S. 377) können. Vergleichsweise übersichtlich ist mit 60 Nummern die im Verfasseralphabet verzeichnete Sekundärliteratur, wobei der Bearbeiter sich hier auf Würdigungen, Nachrufe und Lexikonartikel sowie die hauchdünne einschlägige Forschung beschränkt, während die ermittelten Rezensionen zu Trojans Büchern sinnvollerweise innerhalb der ersten Abteilung mitverzeichnet sind. Besonders wertvolle Ergänzungen bieten schließlich zwei Anhänge zu Trojans anonymer Publizistik. Hier sei nur auf den zweiten, besonders umfangreichen zu Trojans Mitarbeit am Kladderadatsch hingewiesen: Er verdankt sich dem glücklichen Fund eines annähernd vollständigen Exemplars der Zeitschrift in der Schleswig-Holsteinischen Büchereizentrale Flensburg, in welchem Trojan selbst nicht weniger als 6831 (!) von ihm anonym verfasste Beiträge zu den Jahrgängen 17 bis 58 (1864-1915) des Kladderadatsch gekennzeichnet hat - eine kaum zu überschätzende Ressource auch für die weitere Erforschung dieser für die Geschichte der satirischen Publizistik sowie die politische und kulturelle Entwicklung zwischen 1848 und 1914 so aufschlussreichen Zeitschrift.

Die überwiegend auf Autopsie beruhenden (anderweitig besonders gekennzeichneten) 9163 Titelaufnahmen der Bibliographie, die durch ein Namensregister erschlossen wird, bestechen durch ihre Sorgfalt. Zu hoffen bleibt, dass der vorbildliche Band, dessen Druckbild und abschließende Kontrolle indes leider nicht ganz an die Qualität seiner beiden Vorgänger heranreichen, nicht nur die Trojan-Forschung beleben wird, sondern überhaupt zur weiteren Erschließung weißer Flecken in der Literaturgeschichte dieser Epoche anregt, auf die Goerdten in seinem kurzen Nachwort anhand weiterer, beeindruckender Beispiele hinweist: "Man nehme für das literarische Leben ihrer Zeit so wichtige Gestalten wie Fanny Lewald, Julius Rodenberg und Julius Stettenheim, Heinrich Seidel, Friedrich Spielhagen und Karl Emil Franzos: Kein Bibliograph hat sich ihrer (über den ‚Neuen Goedeke? hinaus) bisher angenommen. Man kennt nur ihre Bücher, der Umfang des kleineren Schrifttums ist unbekannt." (S. 379)

Mirko Nottscheid


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