Johann Friedrich Oberlin 1740-1826

Gesammelte Schriften

Briefwechsel und zusätzliche Texte Band I/4

1794-1802

Herausgegeben von Gustave Koch

Rezension


Von Johann Friedrich Oberlin existierte kein einziges selbstverfasstes Buch, aber zahlreiche Biographien und Gedenkschriften sind ihm gewidmet. Sein Wirken im elsässischen Steintal - dem "elsässischen Sibirien" oder wie Jung-Stilling meinte, der "Vogesischen Wüste" (Bd. I, 4, S. 313) - über Jahrzehnte galt den Zeitgenossen als Beispiel einer vorbildlichen Volksbildungsinitiative, seiner Erinnerung ist ein wunderbares Museum in Waldersbach gewidmet, in dem anschaulich das pädagogische Geschick Oberlins und sein Erfindungsreichtum bei der Herstellung von Lehrmitteln dokumentiert ist.

Der evangelische Pfarrer und Sozialreformer ist in der Literaturgeschichtsschreibung berühmt, weil er dem kranken Jakob Michael Reinhold Lenz eine Herberge bot und ihm Georg Büchner in seiner Erzählung "Lenz" ein Denkmal gesetzt hat. Oberlin sorgte für die Verbesserung des Obstbaus, der Landwirtschaft, der Wege und Straßen sowie des Schulwesens, er gründete Kleinkinderschulen, eine Leihbibliothek, einen Ackerbauverein des Steintals und eine Leih- und Kreditanstalt. Er unterwies die unvorstellbar arme Bevölkerung, die ein für die Außenwelt unverständliches Patois sprach, im Französischen und im Kartoffelanbau, er lehrte Achtung vor den Kindern und überzeugte von der Notwendigkeit einer Schulausbildung. Kurz: er setzte praktisch um, was Pestalozzi in "Lienhard und Gertrud" oder Heinrich Zschokke im "Goldmacherdorf" in ihren utopischen Dorfgeschichten schilderten, nämlich das Wirken eines geistlichen Volkslehrers, der sich nicht allein um das geistliche Wohl seiner Gemeinde bemüht, sondern auch als Arzt engagiert und die Macht der Bildung einsetzt zur Erlangung eines besseren Lebens und der Befreiung von Armut und Not. Es ist die Kartoffel, die von der ständig präsenten Gefahr des Verhungerns befreit.

In der hier vorgelegten zweisprachigen Edition von Oberlins Schriften und Briefwechseln sowie biographischen Dokumenten, die dem Engagement eines emeritierten Pfarrers zu verdanken ist, sind die deutschen Quellentexte mit französischem Summary versehen und umgekehrt. Entstanden ist ein großartiges Lesebuch, das höchst anschaulich durch ein bedeutendes Leben führt, das geprägt ist durch eine höchst eigenwillige Rezeption des Gedankenguts einer auf praktisches Tun gerichteten Aufklärung, verquickt mit einem auf das Diesseits gerichteten Christentum. Es sind nicht zuletzt den Briefen möglichst viele Leser zu wünschen, die eine für die deutsche Aufklärung so typische Haltung veranschaulichen, in der sich praktisches Tun, christliches humanes Engagement mit aufklärerisch motivierten Reformbestrebungen verbinden.

Prof. Dr. Holger Böning, Bremen


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