Richard Ball

Wilhelm der Letzte

Bilanz über 25 Jahre Regierungszeit Wilhelms II.

hrsg. von Nathalie Chamba und Eberhard Demm

Rezension


Das persönliche Regiment Kaiser Wilhelms II. war so häufig Zielscheibe schriftlicher Attacken seitens seiner Untertanen, dass man darin geradezu eine eigene Literaturgattung sehen kann. Die aber hier nun in akademisch edierter Form vorliegende, neugedruckte Broschüre nimmt unter den damaligen regimekritischen Werken eine besondere Stellung ein. Sie unterscheidet sich zunächst von der Mehrzahl der zeitgenössischen Angriffsschriften durch die Herkunft des Verfassers. Als pensionierter Diplomat des Auswärtigen Amtes gehörte Richard Ball ohne Zweifel zu den bevorzugten Schichten der wilhelminischen Gesellschaft, die eigentlich am politischen und gesellschaftlichen Status quo wenig auszusetzen hatten. Sodann ist auch das Motiv für das Erscheinen des Büchleins - in sehr kleiner Auflage - im Jahre 1912 ziemlich einzigartig. Der Verfasser, der sich durch die Aufdeckung von Missständen im Auswärtigen Dienst unter seinen Vorgesetzten in Berlin unbeliebt gemacht hatte, benutzte die Schrift damals ais Druckmittel, um den Kaiser zu zwingen, die von Ball etwas voreilig akzeptierte Früh-Pensionierung wieder rückgängig zu machen. Dieser Versuch misslang allerdings und die daraufhin erfolgte Publizierung der Broschüre hat offenbar wenig Widerhall gefunden, zum Teil wegen Beschlagnahme des Heftes durch die kaiserlichen Behörden.

Der Inhalt der kurzen Schrift besitzt für moderne Leser und Forscher gewiss nicht dieselbe Brisanz wie einst für die Zeitgenossen. Noch immer bemerkenswert aber sind aus heutiger Sicht einige Vorhersagen des Verfassers, die sich erstaunlich schnell bewahrheiten sollten. Ball hat z.B. den Ausbruch eines Weltkrieges vorausgesehen sowie den baldigen Sturz der Herrschaft der Hohenzollern. Indes dürften diese Voraussagen ihren Ursprung eher in der stark polemischen Natur der Schrift als in irgendwelchen außerordentlichen analytischen Fähigkeiten des Verfassers haben. Seine Charakterisierung der damaligen Botschafter als Briefträger" des Auswärtigen Amtes ist ebenfalls interessant als Ausdruck des Einflusses des technischen Fortschrittes auf die Diplomatie - aber wiederum polemisch überzogen. Hervorzuheben an der vorliegenden Neuausgabe sind vor allem die lobenswerten editorischen Leistungen der Herausgeber, die den Text dem Leser durch reichliche Fußnoten sehr zugänglich gemacht haben. Und die Einführung gehört zu den interessantesten Kapiteln der Edition.

James Stone


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