Von Heiligen und Ketzern
Der Kirchenhistoriker Walter Nigg erfuhr zu Lebzeiten das Schicksal vieler populärer Autoren. Seine Werke über Mystiker, Heilige und Ketzer wurden von einem Massenpublikum verschlungen, aber von Fachkollegen kaum wahrgenommen - zu Unrecht, wie der Theologe Bernd Jaspert in seiner Studie über Niggs Beitrag zur modernen Kirchengeschichtsforschung betont. Für Nigg war die Kirchengeschichte keine reine Vernunftdisziplin, die methodisch historisch-kritisch vorzugehen hatte. Nigg wollte vielmehr mit psychologischem Einfühlungsvermögen und "spiritueller Kongenialität" von herausragenden Gestalten der Christenheit erzählen und sie als Beispiele für das Vertrauen in Gott und seine Taten vorstellen. Niggs besondere Form der Hagiographie vergegenwärtigte dabei -
jenseits aller konfessionellen Grenzen - Heilige auf eine Weise, die eine neue
Begegnung mit dem Geheimnis des Göttlichen eröffnete. Der Kirchenhistoriker Nigg war überzeugt, dass seine theologische Zunft ökumenisch, aber auch interreligiös auszurichten sei. Ein Einblick in die Geschichte Gottes mit den Menschen erschlosssich nach Niggs Auffassung nur dem, der sich dem "Numinosen" als Anbetender näherte. Niggs mystisch geprägtes Verständnis der Kirchengeschichte ging entsprechend über die sichtbare Wirklichkeit hinaus. Kirchengeschichte, so Nigg, hat ihre Mitte in Gottes Offenbarung. Seine Gegenwart
zeigte sich für Nigg im Heiligen und Unheiligen. Nigg deutete so das Leben von Heiligen und Ketzern auf die Ewigkeit hin, auf die allumfassende Liebe eines Gottes hin, dessen "gütige Hand" über jedem Menschen ist (Esr 8,18). ELISABETH HURTH
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