Klaus Kanzog

Militärische Leitbilder
in Spielfilmen der Bundesrepublik der 50er Jahre

Faktizität, Kunstfreiheit, Rhetorik

libri nigri Band 56

Rezension


Klaus Kanzog, der im November 2016 seinen 90. Geburtstag feierte, gilt als einer der wichtigen Impulsgeber der Filmwissenschaft in Deutschland. Seine neue Studie über militärische Leitbilder im westdeutschen Spielfilm der 1950er Jahre reiht sich in die zahlreichen jüngeren Publikationen zum Nachkriegsfilm ein. Sie geht zurück auf zwei Vorträge aus den 1990er Jahren, die Kanzog anlässlich des 70. Jahrestages der Niederlage von Stalingrad aufgriff. Anlass war seine Verärgerung über den freizügigen Umgang mit historischen Fakten in Niki Steins Teamworx-Fernsehfilm Rommel (2012) und Volker Schlöndorffs deutsch-französischem Kinofilm Diplomatie (2014). Der Untertitel seines Buches heißt deshalb "Faktizität, Kunstfreiheit und Rhetorik".

Kanzog konzentriert sich auf Filme, deren filmischer Diskurs - wie er es in seiner filmrhetorischen Terminologie formuliert - sich unmittelbar auf die öffentlichen Diskussionen über die militärische Verteidigungsbereitschaft und soldatische Ehre während und kurz nach der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik bezog. Der Filmkorpus umfasst vier Filme von Frank Wisbar, Haie und kleine Fische (1957), Hunde, wollt ihr ewig leben (1959), Fabrik der Offiziere (1960) und Nacht fiel über Gotenhafen (1960), sowie Helmut Käutners Des Teufels General (1955), Canaris (1954) und Der Stern von Afrika (1957) von Alfred Weidenmann und schließlich Wolfgang Liebeneiners Remake von Karl Ritters Urlaub auf Ehrenwort (1959).

Kanzog untersucht diese Filme und ihre Entstehungsgeschichte und identifiziert dazu gemäß den Regeln seiner Filmrhetorik "insinuatio, narratio, persuasio" und "conclusio". Er weist damit den Filmen jeweils eine bestimmte Intention als Sprechakt innerhalb eines gesellschaftspolitischen Kommunikationsvorgangs zu. Das ist für eine mit klassischer Rhetorik nicht vertraute Leserschaft zunächst ungewohnt, eröffnet aber interessante Perspektiven. Seine Analysen sind dabei nicht rein phänomenologisch fundiert. Vielmehr setzt Kanzog die Filme und ihre Roman- oder Drehbuchvorlage mithilfe vieler Quellen in Bezug zueinander und dokumentiert die damit verbundenen Auseinandersetzungen in zeitgenössischen Briefwechseln von Fachleuten und Zeitzeugen. Insbesondere die Briefe der an der Katastrophe von Stalingrad beteiligten Wehrmachtsgeneräle, die im Militärarchiv des Bundesarchivs erhalten sind, ergeben ein facettenreiches Bild der komplizierten Interessenkonflikte, denen Hunde, wollt ihr ewig leben und der Versuch ausgesetzt waren, ein möglichst authentisches Bild der Kämpfe um Stalingrad zu zeichnen. Dabei fokussiert Kanzog auf die Darstellung soldatischer Leitbilder und die Verhandlung der grundsätzlichen Frage der militärischen Verteidigungsbereitschaft. Zugleich geht er auf die Problematik der Faktizität der dargestellten Sachverhalte im Spannungsfeld künstlerischer Freiheit ein.

Die Einbettung in eine faktengetreue Darstellung der Kriegsereignisse ist für Kanzog eine zentrale Voraussetzung für eine breite, öffentliche Akzeptanz der in diesen Kriegsfilmen dargestellten Leitbilder. "‚Griffig' wird die "narratio" nur," so Kanzog "wenn ihr in der Tiefenstruktur ausreichend gesicherte historische Fakten zugrunde liegen, auf die sich die Ereignisse zurückführen lassen und historische Glaubwürdigkeit gewinnen." (S. 189) Ihm zufolge stellen die Filme Offiziere in diesen mit Glaubwürdigkeit aufgeladenen Kontext, die einen Ehrbegriff formulieren, der sich zwar in Opposition zum Hitlerregime und zum grundsätzlichen Gehorsam befindet, aber dennoch soldatisch-leitbildhafte Gültigkeit hat.

Zu den interessanteren Entdeckungen Kanzogs zählt, dass das bundesdeutsche Verteidigungsministerium, das bis Ende der 1950er Jahre keine Kriegsfilmproduktionen unterstützte, Wisbar 1960 für Nacht fiel über Gotenhafen überraschend freimütig Material zur Verfügung stellte. Wie aus einem Schreiben hervorgeht, hatte Hunde, wollt ihr ewig leben beim Minister Franz-Josef Strauß einigen Eindruck hinterlassen. Vieles spricht dafür, dass Wisbars Stalingradfilm in Bezug auf seine militärischen Leitbilder im Sinne des Verteidigungsministeriums war. Kanzog enthält sich hier jener radikalen Kritik, wie sie beispielsweise Marcus Stiglegger jüngst in seinem Beitrag über den westdeutschen Kriegsfilm im Band "Geliebt und verdrängt" (2016) formuliert hat. Die Auswahl der Themen problematisiert Kanzog etwa nicht. Tatsächlich sparten die damals auch als Anti-Kriegsfilme propagierten Werke die Verbrechen der Wehrmacht aus und stellten die Protagonisten in einer gänzlich unrealistischen, fast durchgängig kritischen Haltung zum NS-Regime dar. In dieser Hinsicht sind sie nicht historisch genau. Auch wäre zu bedenken, ob der filmische Diskurs angesichts der von Kanzog betonten historischen Nähe zum Geschehen nicht stärker durch die Angst der noch lebenden Täter vor Entdeckung eingeschränkt wurde als durch die Diskussion über die Wiederbewaffnung. Wurde die Frage nach der Verteidigungsbereitschaft womöglich in ganz anderen, weniger expliziten Zusammenhängen verhandelt? Diese Fragen bleiben offen. Insgesamt ist der nüchterne, weitgehend unpolemische Tonfall Kanzogs ein begrüßenswertes Novum auf diesem Gebiet.

Kaum zu verhindern war wegen der schwachen Quellenlage, dass Kanzogs ansonsten gut recherchierte Studie bei der Darstellung der Biografie Frank Wisbars gewisse Ungenauigkeiten und daraus resultierende Fehlschlüsse aufweist. Die Details über Wisbars angeblich lange Militärkarriere entnimmt er dem teilweise recht spekulativen biografischen Abriss in der von Detlef Garz herausgegebenen biografischen Erzählung "Hinaus aus Deutschland, irgendwohin … Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933" (2000) von Eva Wysbar. Wisbars Witwe hatte bereits in den 1980er Jahren erfolgreich gegen den Springerverlag auf Unterlassung der Behauptung geklagt, ihr Mann sei Träger des Blutordens, was eine Wiederholung durch Garz aber nicht verhindern konnte (Unterlagen dazu befinden sich im Wisbar-Nachlass im Deutschen Filminstitut in Frankfurt). Zudem lässt sich Wisbars angebliche Freikorps-Mitgliedschaft und Teilnahme am Hitlerputsch 1923 nicht belegen - seine militärische Karriere beschränkte sich auf wenige Jahre Offiziersausbildung in den 1920er Jahren, was ihn nicht unbedingt zum Fachmann für Kriegsfilme machte. So wurde Wisbars Kompetenz als Kriegsfilmregisseur nach dem Misserfolg von Fabrik der Offiziere auch infrage gestellt, weil es ihm an Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg gefehlt habe. Das widerspricht der von Kanzog behaupteten Faktizität einerseits, andererseits belegt es, wie wichtig eine authentische Darstellung in der öffentlichen Diskussion genommen wurde. Insgesamt handelt es sich bei Kanzogs Buch, auch dank vieler Anekdoten und der kursorischen Darstellung historischer Debatten über soldatische Ehre, um eine lehrreiche und unterhaltsame Studie.

Fabian Schmidt


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