Rainer Hackel

Begegnungen mit Gertrud Fussenegger

Rezension


Annäherungen in Zeitlupe

Die österreichische Dichterin Gertrud Fussenegger sagte einmal: "Schreiben ist etwas Herrliches". Mehr als 60 Bücher hat die Roman-Autorin zwischen 1937 und 2001 verfasst. 2009 starb Fussenegger im hohen Alter von 96 Jahren. Dr. Rainer Hackel aus Nieder-Mörlen hat sich mit ihren Werken auseinandergesetzt, seine Dissertation über die Autorin geschrieben. Mehrmals besuchte der Nieder-Mörler die Dichterin in Österreich. Seine Begegnungen hielt er in einem Tagebuch fest. Aus diesen Aufzeichnungen entstand nun das Buch "Begegnungen mit Gertrud Fussenegger".
Promoviert hat Rainer Hackel über das Lebenswerk Fusseneggers bei Dieter Borchmeyer in Heidelberg. Sieben Jahre lang hat er sich vorbereitet. Das erste Mal begegnete Hackel der Dichterin während seiner Studienzeit 1988 in Bad Nauheim, als, sie während der Tagungen der Humboldt-Gesellschaft im Kurhaus einen Vortrag hielt. "Ich haben mir ihren 1983 erschienenen Jesus-Roman 'Sie waren Zeitgenossen' signieren lassen", erinnert sich Hackel.

Vorurteile auf beiden Seiten

In den Folgejahren kam ihm der Roman immer wieder in den Sinn, auch wenn er die Autorin zunächst wieder aus den Augen verlor. Der Nieder-Mörler legte sich weitere Bücher Fusseneggers zu, unter anderem den Familienroman "Das Haus der dunklen Krüge". Der im 19. Jahrhundert in Fusseneggers Geburtsort Pilsen spielende Roman zog Hackel in seinen Bann. Hackel wollte über den Roman und seine Fortsetzung "Bourdanins Kinder", der 2001 erschien, seine Dissertation schreiben.

Sein Doktorvater Dieter Borchmeyer, mit der Autorin befreundet, legte ihm das gesamte erzählerische Werk der Autorin ans Herz. Von seinem ehemaligen Deutschlehrer Günter Simon erfuhr Hackel, dass Gertrud Fussenegger vorhat, 2002 erneut Bad Nauheim zu besuchen. Nach der Lesung ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch. Es folgte ein Briefaustausch, in dem Hackel sein Vorhaben, die Dissertation, ansprach. "Ein mich ehrender Gedanke", lautete die Antwort der Autorin, die zugleich aber darum bat, zu berücksichtigen, dass sie "sozusagen eine Kontarninierte" sei. Die Begeisterung über den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich hatte auch Fussenegger geteilt. Ihre zu jener Zeit erschienene Erzählung "Mohrenlegende" wurde von den Nationalsozialisten aber aus dem Handel gezogen. Auf der anderen Seite wurde das Buch als "Nazi-Machwerk" verachtet.

"Das Buch ist auch heute aktuell", sagt Rainer Hackel. "Es handelt von Vorurteilen auf beiden Seiten - ein natürliches Phänomen, kein gesellschaftliches." In ihren Romanen habe die Autorin immer wieder die Schuld der Deutschen thematisiert. Aber auch ihre eigene. Fusseneggers Romane bieten zugleich Projektionen und Fiktionen, versteckte indirekte Mitteilungen.

Keine Tagebucher mehr

Das hat Hackel auch bei seinen Besuchen in Österreich erkannt. Mehrfach folgte er den Einladungen der Autorin, besuchte Orte, die zur Inspiration ihrer Geschichten beigetragen haben. Die Autorin und Mutter von fünf Kindern gab tiefe Einblicke ihrer Werke, sprach auch Begegnungen mit Ernst Jünger und Marcel Reich-Ranicki an. "Immer wieder formulierte sie dazu auch Fragen", berichtet Hackel. "Es war ihr wichtig, etwas über sich Selbst zu sagen. Ich hatte bei den Begegnungen das Gefühl, dass sie dankbar war", sagt der Nieder-Mörlener. "Dankbar, dass sich jemand am Ende ihres Lebens mit allem auseinandersetzt."

Hackel lernte auch die Familie kennen, bis heute verbindet ihn eine Freundschaft zu Fusseneggers Sohn Raimund. Tagebücher schreibt er nicht mehr. Mit seinen neuen Buch möchte er, nach drei Büchern über Gertrud Fussenegger, abschließen. "Weiter geht es wieder mit Ghana", sagt Hackel. Zwei Bücher hat er dazu bereits verfasst.

Corinna Weigelt


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