Aus der Einleitung Die Alpen waren stets ein prägender Standortfaktor und stellen bis heute einen länderübergreifenden Kulturraum in Westeuropa dar. Insbesondere die beiden Alpenrepubliken Schweiz und Österreich, aber auch Teile von Italien, Frankreich, Deutschland und Slowenien werden von den Alpen in topographischer, wirtschaftlicher und mentaler Hinsicht geprägt. Als Barriere zwischen dem Norden und dem Süden Europas stellten sie seit dem Altertum eine Herausforderung dar. Enge, steile Täler und ungewohnte Höhenlagen forderten ihren Bewohnern stets eine umfangreiche Adaption ab, prägten aber - bis heute - auch ihr Denken und Handeln. Berge sind gleichermaßen Kulturgut wie auch wirtschaftliches, vor allem touristisches, Kapital - in Österreich und der Schweiz so prägend wie in kaum einem anderen Land - und helfen bei der Repräsentation und Vermarktung nach außen.
Während die Alpen aber nach menschlichem Ermessen schon immer da waren, wurden sie lange mit wenig Aufmerksamkeit bedacht. Bis in die Frühe Neuzeit wurden Berge nach Möglichkeiten gemieden. Befasst man sich erstmals mit der Geschichte der Alpen (nicht im erdgeschichtlichen, sondern im historiographischen Sinne des Wortes), so mag eingangs gar der Eindruck entstehen, dass es nicht einmal die Bewohner der Alpen und der nahen Umgebung waren, sondern Fremde,
welche das Gebirge erschlossen: Pilger, Händler, Bildungsreisende und später abenteuerlustige, vorwiegend englische Touristen. Es ist schon ein etwas genauerer Blick in die Alpenliteratur nötig, um jene stillen Vorreiter zu entdecken, die in einer Zeit, als in den Bergen noch Dämonen vermutet und die steilen Hänge als unbrauchbare, verlorene Fläche abgetan wurden, aufbrachen, um ebendiese Gebiete zu durchschreiten, zu erkunden und zu beschreiben. Einem von ihnen soll diese Arbeit besonderes Gehör verschaffen. Auf den folgenden Seiten wird ein Mann studiert, der, Jahrzehnte bevor der erste englische Bergsteiger einen Alpengipfel erklomm, die Berge zu seinem Lebensinhalt
erhob: Pater Placidus Spescha (1752-1833). Das Attribut "still" mag zwar, wie sich schnell herausstellen wird, höchst unpassend sein. Spescha scheute zu Lebzeiten keine Konfrontation und hinterließ ein umfangreiches schriftliches Werk, das ihn als Studienobjekt geradezu prädestiniert. Aus heutiger Sicht ist es jedoch insofern zutreffend, da man in der Literatur kaum von ihm liest. Er soll hier als Stellvertreter
einer Generation stehen, welche das Gebirge aus eigenem Antrieb bereiste (und nicht, wie später so viele ihrer Landesleute, als Bergführer), die ein Leben lang den Bergen verbunden blieb (und nicht nur in Form einer oder einiger Reisen und Ausflüge), vor allem aber als Vertreter einer Generation, die in den Bergen unterwegs war, bevor die ausländischen Touristen kamen. Die vorliegende Arbeit befasst sich also mit zwei Kernthemen: Dem Alpinismus im Allgemeinen - wobei, und darauf wird in der Einführung in Kapitel 1.3.2 noch eingegangen, schon der Begriff an sich ein Problem darstellt - und den alpinistischen Tätigkeiten des Placidus Spescha im Speziellen. Dazu soll im Folgenden zuerst der gegenwärtige Stand der Forschung zu beiden Themenbereichen betrachtet werden.
Aus den dabei zu Tage tretenden Lücken lässt sich dann ein Katalog von Fragestellungen ableiten, anhand derer Placidus Spescha systematisch erfasst und eingeordnet werden kann. In diesem Zusammenhang werden auch einige grundsätzliche Probleme betreffend Definitionen und Einordnungen zu diskutieren sein. Am Ende der Einführung steht ein kurzer Überblick der wichtigsten bearbeiteten Quellen. Damit sollte der Boden bereitet sein, um sich den Alpen selbst und ihrer Eroberung zuzuwenden.
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