Aus der Einleitung
Der Ausbruch der Französischen Revolution im Sommer des Jahres 1789 in Paris brachte für Deutschland große Veränderungen mit sich. Die während der Jahre 1798-1803 durchgeführte Große Säkularisation mit dem Verlust der geistlichen Staaten erbrachte die territorial-politische Umgestaltung des Reiches, welche mit der nachfolgenden Niederlegung der Kaiserkrone durch Kaiser Franz II. am 6. August 1806 zu der Auflösung des Reiches führte. Neben diesem Fürstenaufstand und der ihm nachgefolgten kaiserlichen Machtausübung hatte die Französische Revolution ihre weitere und hauptsächliche Bedeutung für Deutschland in dessen geistiger Entwicklung. Die deutsche Aufklärung, weniger sozial und politisch motiviert, konzentrierte sich auf religiöse, theologische und konfessionelle Fragen. Der zeitlich parallele protestantische Pietismus wandte sich gegen die dogmatischen Verhärtungen der lutherischen Orthodoxie und forderte ein subjektives und werktätiges Christentum. Im katholischen Jansenismus hatte seine abgeschwächte Entsprechung.
Die Deutsche Klassik, die diese Strömungen mit dem vorangegangenen literarischen Sturm und Drang in sich aufnahm, verarbeitete sie unter dem Einfluss der zeitlich parallelen Ereignisse im revolutionären Frankreich und der Rückbesinnung auf die Welt der Griechen. Mit ihrer Anklage und Verwerfung der sozialen Verhältnisse des Ancien Régime und ihrer Gegenüberstellung von humanitären Werten wollte sie, bei Verneinung von gewaltsamen Revolutionen und der Bejahung von evolutionären Veränderungen, zu einer besseren Welt durch Einflussnahme und Erziehung zum ästhetischen Menschen gelangen. Angesichts der herbeigeführten Faktizitäten der Französischen Revolution, insbesondere ihrer im Herbst des Jahres 1792 einsetzenden Terrorherrschaft, verstand sich die Deutsche Klassik auch als die geistige Gegenbewegung hierzu.
Hölderlin war zeitgenössischer Bürger zweier Welten. Der eigenen württembergischen Welt eines durch Stände beschränkten Absolutismus und des Pietismus stand die Welt der Französischen Revolution gegenüber. Für die neue französische Freiheit zeigte Hölderlin große Sympathien, ausgedrückt insbesondere in seinen Briefen und in seinen Tübinger Hymnen von 1790-1791. In seinem in den Jahren 1795 bis 1799 entstandenen Briefroman Hyperion und in seinem anschließend niedergeschriebenen Fragment des Trauerspiels Der Tod des Empedokles, dieses in die Zeit des Sophokles versetzt, hat sich Hölderlin dann auch thematisch mit der Französischen Revolution auseinandergesetzt. An Hyperions Leiden, welcher Hyperion als Lehrer für sein Volk bestimmt war, schließt sich nach dessen Wirken für die Gemeinschaft der Freitod des Empedokles an. Die Verbindungen vom Tod des Empedokles zur Französischen Revolution und zu den zeitgleichen Verhältnissen in Deutschland mit ihren gegenseitigen Wertigkeiten für den Tod des Empedokles sind aufzuzeigen.
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