Wolfgang Pfüller

Sieger und Verlierer

Mohammed und Jesus. Ein kritischer Vergleich

Rezension


Der Autor dieses Buches ist als Theologe gut mit der theologischen Wissenschaft vertraut, zugleich aber auch ein Kenner der modernen Islamwissenschaften. Als Vorstandsmitglied des Bundes für Freies Christentum äußerte er sich immer wieder zu islamwissenschaftlichen Publikationen. Nun hat er selbst ein Buch zum christlichislamischen Dialog vorgelegt, in dem er den Versuch unternimmt, die beiden Protagonisten der zwei großen Religionen Christentum und Islam kritisch miteinander zu vergleichen.

Pfüller war sich bewusst, dass dieser Vergleich zwischen Mohammed und Jesus nicht unproblematisch ist, stand er doch vor der Frage, ob er den Mohammed der islamischen Tradition mit dem Jesus der christlichen Tradition vergleichen sollte oder stattdessen den "historischen Jesus" dem "historischen Muhammad" gegenüberstellen soll. Ein Vergleich der historisch greifbaren Gestalten ist insofern problematisch, als der "historische Jesus" nur in Umrissen erkennbar wird, während der "historische Muhammad" - geht man von einigen Ansätzen moderner Islamforschung aus - sogar ganz im Nebel der ungesicherten Entstehungsgeschichte des Islams entschwindet; wird doch heute sogar die historische Existenz Muhammads infrage gestellt (wahrend die Historizität Jesu kaum noch angezweifelt wird).

Aufgrund dieser Problematik bemüht sich Pfüller um eine sorgfaltige Hinführung des von ihm beabsichtigten Vergleichs. Er bekennt sich zunächst dazu, weder die durch viele dogmatischen Überfrachtungen belastete traditionelle Christologie noch die mit vielen Legenden und erfundenen Erzählungen geprägte Frühgeschichte des Islams zur Grundlage zu machen, sondern sich einer modernen historisch-kritischen Sichtweise zu bedienen. Jesus "erscheint nun nicht mehr als vom Himmel herab gekommener, unfehlbarer und unangefochtener Gott, vielmehr als fehlbare; irrender, angefochtener Mensch" (S. 22). Für Muhammad und den Islam muss in Rechnung gestellt werden, "wie stark historisch-kritische Forschung die traditionelle Behauptung in Frage stellt, der Koran sei das reine, unfehlbare Wort Gottes bzw. Allahs" (S. 27). Und dann vergleichen wir nicht mehr einen göttlichen Jesus mit einem vom unfehlbaren Wort bedachten Muhammad, sondern "zwei Menschen von herausragender religiöser Bedeutung mit herausragenden religiösen Botschaften" (S. 28).

Pfüller kommt zu dem Zwischenergebnis: "Solange Mohammed und Jesus als historische Gestalten und nicht als bloße Fantasieprodukte gelten sollen, muss mittels historischer Forschung versucht werden, Verlässliches über sie zu eruieren. Dass wir dabei über vorläufige, mehr oder weniger stichhaltig begründete Ergebnisse nicht hinauskommen, versteht sich, da es der Vorläufigkeit menschlicher Erkenntnis entspricht" (S. 35) Pfüller erläutert die vielen historiologischen Probleme zur Person Muhammads anhand einiger moderner Autoren, maßt sich dazu aber kein endgültiges Urteil an. Vielmehr sucht er einen Mittelweg zu gehen zwischen zwei theologisch überhöhten Protagonisten und zwei historisch halbwegs greifbaren Protagonisten, indem er einen Vergleich von zwei "idealtypischen" Religionsgründern unternimmt. Bei einer idealtypischen Rekonstruktion geht es weder um eine legendarisch-theologisch überfrachtete Tradition noch um einen historisch gesicherten (oder ungesicherten) Kern der Protagonisten, sondern um die Herausarbeitung einiger weniger paradigmatischer Grundkoordinaten (gemäß dem soziologischen Ansatz von Max Weber). Der Idealtypus ist eine Art Modellbildung. Auf diese Weise werden Jesus und Mohammed zu zwei Paradigmen religiöser Existenz.

"Dass es hier um die religiöse Existenz geht, besagt, dass Mohammed und Jesus als herausragende Manifestationen der göttlichen Wirklichkeit verstanden werden, die über die Jahrhunderte hin bis heute und in absehbarer Zukunft die menschliche Existenz in ihrer religiösen Ausrichtung mustergültig geprägt haben und aller Voraussicht nach prägen werden. [...] Genau als solche erweisen sie ihre mustergültige, prägende Kraft über die Jahrhunderte, ja über die Jahrtausende. Mohammed und Jesus sind zweifellos als solche Phänomene zu betrachten." (S. 106 f.)

Eine solche idealtypische Rekonstruktion führt Pfüller dazu, Mohammed als "Sieger" zu deuten und Jesus als "Verlierer". Trotz vieler Anfangsschwierigkeiten, die Mohammed zu überwinden hatte, um als göttlicher Prophet und irdischer Staatsmann anerkannt zu werden, beendet er sein Leben doch als siegreicher Triumphator. Er kehrt als Sieger in seine Heimatstadt Mekka zurück, weiht die Kaaba zum weltweiten, zentralen Heiligtum, hält eine Abschiedspredigt vor mehr als 100.000 bekehrten Muslimen und stirbt in den Armen seiner Lieblingsfrau. (S. 112)

Anders Jesus. Hat der jüdische Wanderprediger anfangs noch viele Anhänger und Zuhörer, sodass mit ihm sogar die jüdischen Messiaserwartungen verbunden werden, so ist sein Ende - jedenfalls nach christlicher Lesart - eher unrühmlich. Er entwickelt keine politischen Ambitionen; sein Einzug nach Jerusalem endet in einem Fiasko; selbst seine engsten Nachfolger verlassen ihn, er wird gefangengenommen, gefoltert, hingerichtet. Auch die Vollendung des von ihm gepredigten Reiches Gottes ist nicht in Sicht.

Dass Mohammed als Sieger und er folgreicher militärischer Triumphator bei Muslimen Faszination, Bewunderung und nacheifernde Gefolgstreue auslösen konnte, kann man wohl verstehen - insbesondere aus arabischer Sicht. Wieso hingegen der vermeintlich gescheiterte Verlierer Jesus "als Paradigma religiöser Existenz" gedeutet werden konnte, ruft nach einer Erklärung. Die Lösung, die Pfüller dafür gibt, macht aus dem Verlierer Jesus zwar noch keinen Gewinner, vermag dieses Phänomen aber zu erklären. Was Christen an Jesus - zumindest nachträglich - bewundert und zu seinen Nachfolgern gemacht haben, seien (1) sein "ungemein starkes Vertrauen auf Gott und sein kommendes Reich"; (2) die "heilenden Kräfte und Wirkungen, die von Jesus ausgingen" sowie (3) seine große Leidensfähigkeit, die ihre "bis heute vorbildliche und inspirierende Wirkung" nicht verfehlt (S. 116 f.). Neben diesem Schema des Siegers bzw. Verlierers lassen sich, nach Mark A. Gabriel, noch andere Unterschiede und Gegensätze zwischen Jesus und Mohammed herausarbeiten:

"1. Mohammed gab seinen Leuten die Vollmacht, Krieg zu führen; Jesus gab seinen Jüngern die Vollmacht, Dämonen auszutreiben. 2. Mohammed gab seinen Leuten Anweisungen, wie sie die Güter aufteilen sollten, die sie von den Ungläubigen erbeuteten; Jesus wies seine Jünger an, sich keinerlei Güter zu verschaffen. 3. Wenn eine Stadt den Islam ablehnte, befahl Mohammed den Muslimen, sie anzugreifen. Hingegen gab Jesus die Anweisung, jedes Haus und jede Stadt, die die Botschaft und Praxis des Reiches Gottes ablehnte, zu verlassen, den Staub von den Füßen zu schütteln und sie dem Gericht Gottes zu überantworten. 4. Mohammed wies seine Leute an, die Ungläubigen mit aller Kraft zu bekämpfen. Jesus sagte seinen Anhängern, sie sollten sich darauf gefasst machen, dass die Ungläubigen sie bekämpfen wurden." (S. 120)

Zu diesen Gegensätzen passt, laut Pfüller, "der gegensätzliche Lebensstil der beiden. Hier Mohammed, der sich im Laufe der Zeit mehr und mehr etabliert, zu Reichtum kommt, viele Frauen ehelicht, zum weitgehend unangefochtenen Herrscher avanciert. Dort Jesus, der mittellos und ehelos durchs Land zieht, um sich ganz der Botschaft und Praxis vom kommenden Reich Gottes zu widmen, der aber mit seinen Anliegen nicht durchdringt und schließlich eliminiert wird." (S. 121)

Pfüller fragt sich nach welchen Kriterien er die beiden Protagonisten miteinander vergleichen soll. Er scheut einen moralischen Vergleich und stellt vielmehr das Konzept des "Heils" als eines wesentlichen Merkmals jeglicher Religion in den Mittelpunkt, wobei er sich nicht darauf festlegen will, ob mit diesem Heil ein kurzfristiges (Gesundheit/Erfolg) oder längerfristig (Reich Gottes/ewiges Leben) gemeint sei. Die Bedeutung paradigmatischer Existenzen erweist sich nach Pfüller darin, "dass sie die göttliche Heilsmacht in einer außerordentlich eindringlichen Weise vergegenwärtigen" (S. 129). Außerdem unterscheidet er bei diesem Heils-Kriterium nach "Heilsextensität" und "Heilsintensität".

In Bezug auf die Heilsextensität scheint Mohammed die göttliche Heilsmacht durch seinen politischen Expansionsdrang ziemlich direkt zu verkörpern, während Jesus offenbar überhaupt nicht nach politischer Macht und Einflussnahme strebte. Insofern verhalten sich die beiden Protagonisten komplementär oder gar konträr zueinander.

In Bezug auf die Heilsintensität nämlich die unmittelbare Vermittlung des göttlichen Heils an den Einzelnen, sieht Pfüller eine Überlegenheit bei Jesus, dessen heilender Einfluss die Menschen offenbar sehr direkt berührte, sodass man ihn (zumindest im Deutschen) als den "Heiland" tituliert hat. "Ja, man kann ihn in dieser Weise sicher geradezu als Sinnbild der grenzenlosen, hingebungsvollen Liebe betrachten." (S. 130)

Aber auch was die Machtlosigkeit Jesu gegenüber Moharnmed angeht, sieht Pfüller zwar keinen direkten, wohl aber einen indirekten Vorteil auf der Seite Jesu, der die Menschen ja nicht mit Gewalt, sondern nur durch seine gewaltlose Überzeugungskraft gewinnen wollte. Oder, um es mit Mahatma Ghandhi zu sagen: "Die Selbstaufopferung eines unschuldigen Menschen ist millionenmal mächtiger als das Selbstopfer von einer Million Menschen, die dabei starben, während sie andere töteten. Das freiwillige Opfer des Unschuldigen ist die machtvollste Antwort auf eine rucksichtlose Tyrannei."

Pfüller schlussfolgert: "Insgesamt erweist sich Jesus demzufolge im Vergleich zu Mohammed als die überzeugendere Manifestation der göttlichen Wirklichkeit. Man könnte es zugespitzt und paradox so formulieren: Der "Verlierer" besiegt den "Sieger". (S. 148)

Dass hier ein christlicher Theologe in seinem Urteil zu dieser Überlegenheit Jesu gegenüber Mohammed kommt, muss freilich nicht überraschen. Im Gegensatz dazu haben Muslime diesen leidenden, sieglosen, am Ende scheinbar gescheiterten Jesus zwar als Prophet und Messias anerkannt, sich seiner Verlierermentalität aber nicht unterworfen und sich lieber auf die Seite des machtbewussten, gewaltbereiten und am Ende auch erfolgreichen Mohammed geschlagen. Welcher Lebensentwurf letztlich überzeugender ist und welches Paradigma sich in der Welt schließlich durchsetzen kann, wird sich noch erweisen müssen.

Kurt Bangert


Copyright © 2015 by Verlag Traugott Bautz