Hans-Werner Engels

Der Französischen Revolution verpflichtet

Ausgewählte Beiträge eines Hamburg-Historikers

Hrsg. von Michael Mahn und Rainer Hering

bibliothemata Band 25

Rezension


Der Band erinnert an den 2010 verstorbenen Hamburger bzw. Altonaer Historiker Hans-Werner Engels. Er war als Mitglied des Vereins für Hamburgische Geschichte ein sehr wichtiger Beiträger und Rezensent für unsere Zeitschrift. - Zunächst würdigen die Herausgeber ihn als Menschen. Dann belegen sie mit klug ausgewählten Texten aus seinem Werk, wie interessant und aktuell dessen Forschungsthemen waren und sind.

Die biografischen Hinweise zeigen, wie wichtig für H.-W. Engels sein Leben im Stadtteil Ottensen war. Seine Streifzüge durch Altonaer (und Hamburger) Antiquariate sowie gesellige Gesprächsrunden mit Freunden und Kollegen, die gelegentlich mit Kneipenbesuchen endeten, regten seine wissenschaftliche Arbeit an. Solche Rückblicke auf die Persönlichkeit des bedeutenden, innovativen Wissenschaftlers und Privatgelehrten ergänzen die Herausgeber mit einer gelungenen Beschreibung von dessen im Laufe von Jahrzehnten zusammengetragener exquisiten Forschungsbibliothek. In dieser standen neben in Leder gebundenen Raritäten auch viele schlichte aber wertvolle Journale und Pappbände aus der Zeit um 1800. Gerahmte Kupferstiche, Hamburgensien und Altonensien verschiedenster Art mögen manche Besucher ein wenig neidisch gemacht haben. Die in Hamburg wohl einmaligen Buchbestände ermöglichten dem Autor, einen großen Teil seiner Forschungsarbeiten am eigenen Schreibtisch durchzuführen (die Bibliothek ist inzwischen Bestandteil der Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte der Universität).

Für manche Leser des hier besprochenen Bandes werden vor allem die in ihm wieder abgedruckten zahlreichen Veröffentlichungen von H.-W. Engels wichtig sein. Diese waren - typisch für den Autor - in verschiedensten Zeitschriften und Sammelbänden publiziert worden. Nun sind sie, gegliedert nach Texten zur Aufklärung und Revolution (S. 30-100), zu Altona und Hamburg (S. 101-212) sowie zu Hamburger und Altonaer Persönlichkeiten (S. 213-369), problemlos zugänglich. Eine von den Herausgebern Michael Mahn und Rainer Hering zusammengestellte detaillierte Bibliografie der Bücher und Aufsätze von H.-W. Engels verzeichnet auch Rezensionen verschiedener dieser Werke. Den beiden Weggefährten des Historikers gebührt hierfür ebenso wie für deren sonstige uneigennützige Arbeit an dem Buch hohe Anerkennung.

An öffentlichen Auszeichnungen für H.-W. Engels hat es bereits zu dessen Lebzeiten nicht gemangelt. Doch die Ehrung durch einen Band mit Texten dieses herausragenden Kenners der Französischen Revolution und ihrer Rückwirkungen auf Deutschland ist von besonderer Qualität, zumal auf diesem Forschungsfeld zur Zeit recht wenig gearbeitet wird. Den Historiker Engels interessierten insbesondere solche Bestrebungen und Personen, die trotz scharfer Zensur und ständiger polizeilicher Verfolgung in den deutschen Staaten die demokratisch-republikanischen Prozesse in Frankreich begrüßten und publizistisch für sie eintraten. Als er mit dem Geschichtsstudium begann, herrschte in Handbüchern noch die Meinung vor, Sympathien für die Revolution habe es in den deutschen Staaten fast gar nicht gegeben. Bereits seine Nachforschungen für den Band "Gedichte und Lieder deutscher Jakobiner" (Stuttgart 1971) belegten, wie revisionsbedürftig eine solche Ansicht war. Germanistik als zweites Studienfach neben der Geschichtswissenschaft half bei der Beschäftigung mit der politischen Lyrik der Jahre 1789 bis 1800, die mit der Herausgabe des genannten Werkes jedoch nicht endete. Zum Bicentenaire der Revolution 1989 veröffentlichte er "Die furchtbare Hymne. Die Marseillaise in Deutschland. Lieder und Gedichte gegen den ungerechten Krieg" (Saarbrücken 1989).

Wahrscheinlich inspirierte sein Wohnort Altona den jungen Historiker H.-W. Engels nachhaltig zu seinen weit ausgreifenden Forschungen über radikale Publizistik. Denn von dieser seinerzeit unter dänischer Oberhoheit stehenden Stadt hieß es - wie H.-W. Engels oft betonte -, sie wäre "der Fleck in Deutschland, von wo die giftigsten Angriffe auf Religion, Fürsten und deutsche Verfassungen wie aus einem Giftkessel unaufhörlich auf das übrige Deutschland ausgeworfen werden" (dort bestand bis 1799 eine relativ weitgehende Pressefreiheit). Altona galt, so die Zeitschrift "Eudämonia" 1797, als "immer frecher werdende Werkstätte der Rebellionen und Majestätsverbrechen". Im Zusammenhang mit der thematischen Schwerpunktsetzung der Forschungen von H.-W. Engels verweisen die Herausgeber auch auf den Historiker Walter Grab, der den jungen Historiker inspirierte, förderte und ihm z.B. Publikationsmöglichkeiten eröffnete.

H.-W. Engels gehörte zu jener Generation von Wissenschaftlern, die sich auch im Interesse an einer demokratischen Gegenwart mit Fragen der Aufklärung und demokratischer Traditionen in der deutschen Vergangenheit befasste. In vielen seiner Arbeiten zeigte er, wie schwierig es lange war, an solche Themen zu erinnern oder gar für freiheitliche Ideen zu werben. Im Zeitalter der Restauration hatten Zensur und obrigkeitliche Unterdrückung dies verhindert. Nach dem kurzen Intermezzo der Jahre 1848/49 gerieten insbesondere nach der Reichsgründung republikanische Theorien und eine Berufung auf die Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution und die "Ideen von 1789" ins gesellschaftliche Abseits und weitgehend in Vergessenheit.

H.-W. Engels trat nicht nur bei der Wahl seines hauptsächlichen Forschungsgegenstandes, sondern auch im methodischen Bereich für neue Akzentsetzungen in der Geschichtswissenschaft ein. Gleichwohl mied er theoretische Debatten über die Geschichte der Historiographie und ihrer Methoden. Aber lange bevor z.B. die Aufforderung, Geschichte auch "von unten" zu erforschen, allgemeine Anerkennung erhielt, arbeitete er in diesem Sinne. Ein Beispiel hierfür ist seine intensive Beschäftigung mit Friedrich Christian Laukhard, der - um nur ein Beispiel aus dessen faszinierender Lebensgeschichte zu nennen - als einfacher Soldat den Feldzug deutscher Truppen unter dem Herzog von Braunschweig gegen das revolutionäre Frankreich mitmachte und z.B. genau beschrieb, welche schreckenerregenden Zustände er beim Vormarsch und in den Lazaretten erlebte.

Leider war der etwa 200 Druckseiten umfassende Kommentar, den H.-W. Engels bei einer neuen Herausgabe von Laukhards "Leben und Schicksale" (Friedrich Christian Laukhard. Leben und Schicksale. Nachw. und Materialien von Hans-Werner Engels und Andreas Harms, Frankfurt am Main 1987) zu dem Werk beisteuerte, für den hier rezensierten Sammelband zu lang. Für Leser, die durch die in diesem Band veröffentlichten Texte angeregt werden, sich weiterhin mit den Werken von H.-W. Engels zu befassen, sei insbesondere auf jene Publikation verwiesen.

Beispielhaft präsentieren zwei Titel und Texte der in dem Band wiedergegebenen Aufsätze die Arbeiten von H.-W. Engels: "Kryptoradikalität in Aktion. Geheimnisse der Altonaer Verlagsgesellschaft. Der Verleger Gottfried Vollmer und seine verborgenen Mitstreiter" (S. 177-212) und "Joachim Lorenz Evers (1758-1807). Goldschmied, Schriftsteller, Verleger, Theaterdirektor" (S. 357-369). Evers, der selbst keine akademische Ausbildung genossen hatte, wandte sich mit Werken wie seiner dreibändigen "Geschichte der französischen Staatsrevolution" an ein breites Publikum. Er bot seinen Lesern eine klare Analyse der negativen Rolle von Adel und Klerus im Nachbarland. Vor allem aber informierte er die Zeitgenossen über die kriegerische Bedrohung des revolutionären Frankreich, gegen welche die jakobinische Staatsführung leider mit "gelinden Maasregeln und menschenfreundlicher Nachsicht" nicht hätte bestehen können. Von diesem Standpunkt aus beurteilte er auch die Handlungsweise etwa Robespierres und Marats mit Verständnis für deren Zwangslage. Diese hätten nicht als bornierte Ideologen die "Tugend" durch Terror erreichen wollen, sondern sie wären erst durch Machenschaften der Gegner im In- und Ausland "zu dem fürchterlichen Kampfe" veranlasst worden. Eine derartige Parteinahme war seinerzeit außerordentlich gefährlich und dementsprechend selten. Evers setzte sich, wie H.-W. Engels zeigt, auch in Zeitschriftenartikeln und später als Verleger für diese Sicht der Revolution und der Jakobiner ein.

Am Werdegang des Altonaer Verlegers Gottfried Vollmer demonstrierte Engels exemplarisch, wie bedrohlich es nach 1789 für Buchhändler und Autoren war, auch nur ausgewogen über die Ereignisse in Frankreich zu berichten. Verunglimpfungen politischer Gegner, Verbote und Konfiszierungen von Schriften, Verfolgungen durch die Polizei, Gerichtsverfahren und Gefängnisstrafen ließen eine wirtschaftlich konsolidierte Existenz der Verlage und ihrer engagierten Mitarbeiter nicht zu. Auf die prekären Rahmenbedingungen der politischen Aufklärung hatte Engels in allgemeiner Form bereits 1975 in einem Aufsatz "Materialien zur sozialen Lage der Intelligenz in Deutschland 1770-1800" hingewiesen (in: Gert Mattenklott und Klaus R. Scherpe [Hg.], Demokratisch-revolutionäre Literatur in Deutschland: Jakobinismus, Kronberg/Taunus 1975, S. 243-275).

Den Herausgebern (und dem Verlag) ist für ihre Arbeit zu danken. Ihnen ist es gelungen, eine lebendige Erinnerung an H.-W. Engels zu gestalten. Zudem dürfte ihr Band dem Interesse an Forschungen über demokratisch-republikanische Traditionen aus der Zeit um 1800 neue Impulse verleihen.

Jörg Berlin


Copyright © 2015 by Verlag Traugott Bautz