Boško Tomašević

Hervorgang des Seins

Das ontologische Geschehen des Dichtens

libri nigri Band 31

Rezension


TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 1902
Hervorgang des Seins

Die Philosophie ist an und für sich ein Massenphänomen, weil jeder Mensch zwischendurch etwas denkt und dabei das Gefühl hat, es konnte sich um etwas Philosophisches handeln. Die ausgewiesene Philosophie grenzt sich dagegen mit Insiderwissen, Fachausdrucken und einem geheimnisvollen Ritual ab, womit sich die Beteiligten gerne selbst in ein besonnen-verschrobenes Eck stellen.

Boško Tomašević ist in unseren Breitengraden vor allem als Lyriker bekannt, als Anwalt des Georg Trakl, und als erster Innsbrucker Stadtschreiber. Dabei gilt der Autor als anerkannter Metaphysiker der seinen Gedichten jeweils einen poetologischen Überbau verschafft und umgekehrt Gedichte oft als "Fallbeispiele" des Denkens niederschreibt.

Es lohnt sich auch für einen metaphysischen Laien, die Aufsätze anzulesen und sich zwischendurch bis an die Grenze des eigenen Verständnisses vorzutasten. Dieser Puffer, an dem die Lesefähigkeit anprallt, wird individuell gesetzt sein, ein Anprall an der eigenen Lesegrenze ist allemal eine beglückende Erfahrung.

Wichtig für metaphysisches Argumentieren ist die Weiterentwicklung von Gedankengängen anerkannter Größen. So besteht eine Leistung in dieser Aufsatzsammlung darin, dass sie eine Verbindung zwischen Heidegger, Hölderlin, Trakl und Celan herstellt. Mit diesen "Heiligen' befassen sich fünf Aufsätze, wobei der Schwerpunkt auf der "Dichtung Georg Trakls" liegt. Mit dem Vokabular dieser Größen lassen sich neue Gedanken entspinnen, die sich immer tollkühner entwickeln, bis sie wirklich in einer eigenen Sprache enden.

Für uns Laien sind diese Heideggerschen Streifzuge oft knapp an der Ironie angesetzt. Im Kabarett wird dieses "Wesen und Hausen" bis an den Dadaismus heruntergebrochen "Die Sprache ist das Haus des Seins, das Haus haust, das Sein ist sein Ei, und das Ei eit."

Bei Boško Tomašević freilich ist diese Ironie ausgespart, im wissenschaftlichen Stil gibt es da nichts zu lachen. So bleiben Existenz, Sinn des Lebens, Religiösitat in einem streng von der Alltagsrealität abgeschirmten Raum. Dabei tauchen nach langen Phasen der Sprach-Meditation oft schöne Zusammenfassungen auf, die man nur abnicken kann.

"Daher ist der Prozess des Verstehens ein endloser Prozess, und das ist die Konstante, über die man immer nachdenken kann, aber in der wir uns immer befinden. Die leeren Stellen aller Hermeneutiken werden für immer leer bleiben. Denn die Natur der Sprache ist spekulativ." (22)

Nach einer intensiven Werk-Abhandlung etwa von Georg Trakl oder Friedrich Hölderlin fragt man sich, ob diese Dichter das alles gewusst haben, was sie da mit ihrem Schreiben hervorgebracht haben. Angesichts schwerer Ausdrücke und heftiger Gedankengänge hat man um diese Lyrik oft Angst, ob sie das wohl aushält.

"Hervorgang des Seins" ist eine schwere und schwermütige Auseinandersetzung mit der Dichtung. Die Aufsätze belohnen den Leser nicht sofort, wenn sie ihn abwerfen. Aber spätestens, wenn dieser nach dem Abwurf wieder aufsteht, merkt er, dass Literatur an den Grenzen so hermetisch sein kann, dass sie schier ohne Leser auskommen muss. - Ein rares Leseerlebnis voller Meditation und Grenzerfahrung.



Helmuth Schönauer 17/05/16


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