In seinem Buch erkundet Tomasevic den wechselseitigen Einfluss von Ontologie und Lyrik seit Hölderlin. Entgegen der verbreiteten Annahme gibt es nicht viele Studien, welche einen geschichtlichen Zusammenhang zwischen Dichtern herstellen, die sich eingehend mit philosophischen Fragen befasst haben. Allein schon aus diesem Grund ist Tomasevic' analytische Übersicht zu begrüßen. Er vermeidet dabei den nur allzu häufigen Fehler literaturwissenschaftlicher Arbeit, auch sprachlich ins Abstrakte abzudriften. Der Stil des Autors ist klar, und die Ideen werden auf eine einleuchtende Weise geschildert.
Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert, denen eine allgemeine Einführung, welche die Konzepte von Sein, Sprache und Verstehen erläutert, vorangestellt wird. Das erste Kapitel befasst sich mit Hölderlins Dichten und Denken, welche nach dessen eigener Auffassung nicht voneinander zu trennen sind. Das Zweite behandelt Trakls Gedichte im Kontext der Entwicklungsgeschichte der Hermeneutik. Im dritten Kapitel wird Celans Lyrik im Lichte des Aufbrechens absoluter Werte in der Literaturkritik, u.a. durch den Dekonstruktivismus, beleuchtet. Im Letzten stellt der Autor schließlich Heideggers Hölderlin-Studien den philosophischen Ansätzen des Dichters René Char gegenüber, womit sich der Kreis zum Einfluss von Dichtung und Denken aufeinander wieder schließt.
Das längste Kapitel mit 60 Seiten ist der "Dichtung Georg Trakls im Lichte der Hermeneutik des Daseins" gewidmet. Der Titel ist etwas irreführend, zumal der Analyse der Gedichte eine ausführliche Einleitung zu den theoretischen Rahmenbedingungen vorangeht. Die Struktur und Gewichtung des Kapitels kommt in dem Titel nicht klar zum Tragen, zumal der Schwerpunkt hier eher auf der Geschichte der Hermeneutik als auf der Lyrik Trakls zu liegen scheint.
Das ist aber auch der einzige Vorwurf, den man Tomasevic in dieser Arbeit machen kann. Er hat eine gründliche Untersuchung der Beziehung zwischen Literatur und Philosophie, Sprache und Sein im Lauf der letzten 200 Jahre geliefert, basierend auf fundierten Kenntnissen nicht nur der Literaturgeschichte, sondern auch der Philosophie. Sein Hauptaugenmerk liegt hierbei eher auf die Überschneidungspunkte von Philosophie und Literatur als auf das, was diese Bereiche trennt. Der Unendlichkeit der Interpretation, wie sie besonders von Derrida forciert wurde, wird auch im Hinblick auf andere Literaturtheoretiker, etwa Levinas und Gadamer beleuchtet. immer wieder werden hilfreiche Einblicke in die literaturkritischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts eingestreut. Mit ‚Hervorgang des Seins' hat Tomasevic einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, die Lücke in einem von der Wissenschaft bisher vernachlässigten Grenzbereich zu schließen. Sein Buch sei jedem Studenten der Germanistik und der Philosophie empfohlen, sowie jedem, der sich für die enge wechselseitige Wirkung dieser beiden Bereiche aufeinander interessiert.
Max Haberich
Copyright © 2014 by Verlag Traugott Bautz