Nach dem Ende des Kalten Krieges hatte der amerikanische Philosoph Francis Fukuyama das
„Ende der Geschichte“ bzw. den endgültigen Sieg der westlichen „Kultur der Moderne“
verkündet. Wieder und wieder wird der islamisch geprägten Welt eine besondere Affinität zur Gewalt
unterstellt, was auf die islamische Religion zurückgeführt wird. Inwieweit entspricht dies der
Wahrheit?
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1 Das politische und ökonomische System des Westens war für Fukuyama nach
dem Wegfall des Ostblocks ohne Alternative, weshalb er von einem triumphalen Siegeszug
der westlichen Demokratie ausging. In der Euphorie dieser Umbruchzeit erblickte auch V. S.
Naipaul die Entstehung einer „universalen Zivilisation“, in der sich gemeinsame Werte und
Überzeugungen herauskristallisierten.
2 Doch nur kurze Zeit später löste Samuel Huntington
mit seinem 1993 (in der außenpolitischen Zeitschrift Foreign Affairs) erschienenen Beitrag
The Clash of Civilizations? eine bis heute nicht enden wollende Kontroverse über neue
Herausforderungen für den westlichen Kulturkreis aus.
3 Doch Huntingtons Thesen waren so
neu nicht. Bereits 1962 hatte der französische Soziologe Raymond Aron für den Fall eines
Endes der (durch den Kalten Krieg bewirkten) Bipolarität der Welt neue Konflikte zwischen
den Kulturen prognostiziert.
4 Die nach den Anschlägen in den USA 2001 bis heute nicht
endende Terrorismusdebatte und die Kriege in Afghanistan und im Irak ließen diese Analyse
für viele Menschen plausibel erscheinen. Im Westen ersetzten viele das „Feindbild
Kommunismus“ einfach durch das „Feindbild Islam“.
5 Viele Menschen im Westen glauben,
dass im islamischen Kulturkreis eine Religion besteht, deren Werte den Werten der
„kulturellen Moderne“ entgegenstehen würden. Dieser Religion wird eine aggressive
Gewaltbereitschaft unterstellt und sie gilt weithin als mit der Demokratie westlichen
Zuschnitts unvereinbar. Daher war bei vielen Beobachtern die Überraschung nach dem
Ausbruch des „Arabischen Frühlings“ um so größer, als eine Welle demokratischer
Revolutionen die autokratischen Regimes des Nahen Ostens ins Wanken brachte. Dabei
wurde auch wieder deutlich, dass die im Westen bestehende Form der Demokratie als die
einzig wahre propagiert wird und andere Formen, die die Eigenarten des anderen Kulturkreis
berücksichtigen, vorschnell abgelehnt werden.