Der wiederentdeckte Denker Eduard Spranger im Lichte heutiger-pädagogischer Wissenschaft ihm Siegen. Die geisteswissenschaftliche Revolution der 60er- und 70er-Jahre hat etliches an philosophischem und pädagogischem Gedankengut fortgespült. Manche Denkschulen und Lehren gingen auf Nimmerwiedersehen im Sturm der ach so fortschrittlichen Ideen unter. Beinahe hatte dieses Schicksal auch die Gedankenwelt des Pädagogen Eduard Spranger (1882 bis 1963) ereilt. Der Berliner Professor wurde in den letzten drei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts nahezu totgeschwiegen, als ewiggestrig abgelehnt und häufig in die Nähe nationalsozialistischen Gedankenguts gerückt.
Dass inzwischen der Blick auf Spranger, aber auch auf seinen Lehrer Wilhelm Dilthey und auf den großen Pädagogen Johann Wilhelm Pestalozzi, der beide geprägt hat wieder offener wird, ist Wissenschaftlern zu verdanken, die über Jahrzehnte neben den aktuellen erziehungswissenschaftlichen Tendenzen auch die Bezüge zu anderen Denkschulen gepflegt haben. Zu ihnen gehört der Siegener Wolfgang Hinrichs, emeritierter Professor der Pädagogik an der Universität Siegen. Er selbst ist Spranger-Schüler und hat im vergangenen Jahr mit einem Spranger - Kongress in Siegen dafür gesorgt, dass die Aktualität des Sprangerschen Gedankenguts ganz neu ausgelotet werden konnte. Gemeinsam mit Markus Porsche-Ludwig und Jürgen Bellers hat Hinrichs nun einen Spranger-Band herausgegeben, der sowohl Originaltexte als auch verschiedene interpretierende Aufsätze enthält ("Eduard Spranger, verstehende Kulturphilosophie der Politik - Ökonomie - Pädagogik", Verlag Traugott Bautz 2013).
Nachlesen kann man hier, auf welchen psychologischen Grundlagen Spranger seine Pädagogik aufbaut. Die sechs Grundtypen der Individualität (der theoretische, der ökonomische, der ästhetische, der soziale, der religiöse Mensch und der Machtmensch) werden ebenso skizziert wie erkenntnistheoretische Grundlagen und das Verhältnis von Naturwissenschaft und Psychologie. Ebenfalls als Originaltext in den Band aufgenommen ist die Schrift "Der geborene Erzieher" (den es übrigens nach Spranger eigentlich nicht gibt, weil ein Erzieher vor allem anderen menschliche Reife braucht) sowie "Der Eigengeist der Volksschule". In bildhafter Sprache erläutert der Pädagoge seine Theorien als Fundament ganz praktischer Erziehungsarbeit.Ob es die Heimatkunde ist, die in der heutigen Grundschule als Begriff getilgt und durch den Sachunterricht ersetzt wurde, ob es das pädagogische Eros" ist das Spranger im Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer für unverzichtbar hält oder ob es um den "dritten Humanismus" und das nahezu ausgestorbene humanistische Gymnasium geht - zahlreiche Gedankengänge mögen dem heutigen Zeitgeist widerstreben, können aber angesichts der Reformwut der vergangenen Jahrzehnte im schulischen Bereich eventuell wieder den Blick auf Wesentliches lenken. Mit einer ausführlichen Einführung in die Gedankenwelt Sprangers leitet Wolfgang Hinrichs selbst das Werk ein. Interpretierende Aufsätze im zweiten Buchteil stammten außer von ihm von Gottfried Brauer, Edgar Weiß, Heinz-Elmar Tenorth, Jürgen Bellers, Markus Porsche-Ludwig und Johannes Bottländer. Die Texte befassen sich zum Beispiel mit dem Verhältnis Eduard Sprangers zu Carl Schmitt, mit seiner Haltung im Nationalsozialismus und mit seinen politischen Ambitionen in den 50er-Jahren.
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