Bernd Jaspert

Christliche Frömmigkeit

Studien und Texte zu ihrer Geschichte

Band 1
Von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert

Rezension


Bernd Jaspert, em. Studienleiter an der Ev. Akademie Hofgeismar und langjähriger Präsident der Regula Benedicti Kongresse, ist dem an theologiegeschichtlichen Fragen interessierten Publikum durch zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des Mönchtums wie auch zur Theologie des 20. Jh.s bekannt. Mit dem hier anzuzeigenden Buch hat er eine Untersuchung vorgelegt, die an beide Linien anknüpft und unter der thematischen Perspektive einer "christlichen Frömmigkeit" den Blick auf 2000 Jahre Christentumsgeschichte lenkt. J. hat die Darstellung auf zwei Bände aufgeteilt, von denen der erste hier zu besprechende Band, der in Erstauflage 2013 erschien und in zwischen bereits in dritter Auflage (Nordhausen 2014) vorliegt, die Zeit von der frühen Christenheit bis zum späten Mittelalter zum Gegenstand hat. J. behandelt diesen Zeitraum in zwei Durchgängen, zunächst in einem thematischen Teil, der das Programm der Frömmigkeitsgeschichte chronologisch entfaltet (Teil 1), dann mit einer Auswahl an Quellentexten, die zum vertiefenden Selbststudium anregen sollen. Enzyklopädischen Erwartungen tritt J. entgegen. Es sei "für einen Einzelnen unmöglich, die christliche Frömmigkeitsgeschichte als Ganze, in all ihren Facetten und Verzweigungen, mit all ihren Höhen und Tiefen, regional, national und international, konfessionell und interkonfessionell, kulturell und interkulturell sowie in ihren Beziehungen zu anderen Religionen darzustellen." Deswegen wolle er mit seiner Darstellung nur "einige Einblicke in die Geschichte der christlichen Frömmigkeit" geben und sich "auf eine Reihe wesentlicher Entwicklungen und herausragender Gestalten der christlichen Frömmigkeitsgeschichte konzentrieren." (2)

Die zentrale These des Buches, die bereits im Titel zum Ausdruck kommt, lautet, dass es eine christliche Frömmigkeitsgeschichte gebe, die sich in Modifikationen und Veränderungen, aber doch in erkennbarer Identität vom Urchristentum bis in die Gegenwart aufzeigen lasse. Diese These bedarf der Begründung, da die religiöse Deutung des aus dem Mittelhochdeutschen kommenden Begriffs "fromm" erst seit dem 12./13. Jh. aufgezeigt werden kann, dieser also als deutende Kategorie für das erste Jahrtausend der Christentumsgeschichte nicht infrage kommt. Dem sich daraus ergebenden Problem begegnet J. mit dem Hinweis, "dass christliche Frömmigkeit nichts anderes ist als authentisch gelebter Glaube" (16). Die Schwierigkeit wird damit freilich nicht behoben. Das zeigt sich etwa darin, dass J. in seiner Einleitung zwar auf "mehrere Gesamtdarstellungen der christlichen Frömmigkeit" (25) verweist, nicht aber erwähnt, dass diese den Begriff "Frömmigkeit" gar nicht verwenden, sondern auf den weitaus älteren Begriff "Spiritualität" zurückgreifen. Eine Ausnahme hatte der von Johannes von Walter in den späten 1930er-Jahren vorgelegte Entwurf einer als Frömmigkeitsgeschichte entworfenen Geschichte des Christentums sein können, auf den J. jedoch nicht näher eingeht, sondern den er nur beiläufig erwähnt (29, Anm. 34). Die begriffliche Unschärfe zeigt sich auch an anderen Stellen, z.B. wenn J, den in der neueren Diskussion verwendeten Begriff der Frömmigkeitstheologie" aufgreift, aber nicht nur Berndt Hamm zuordnet, der ihn freilich im 14./15. Jh. (und nicht bereits im Frühmittelalter und der Alten Kirche) verortet, sondern auch Ulrich Köpf, der in seinen Untersuchungen zu Bernhard von Clairvaux aber nicht von Frömmigkeit, sondern von monastischer Theologie spricht (30, 279-283). Unklar bleibt v. a., was die doch recht umfänglichen Ausführungen zu Rudolf Bultmann, Friedrich Schleiermacher, Paul Tillich, Dietrich Bonhoeffer und Karl Rahner zur begriffsgeschichtlichen Klärung beitragen sollen (24-82).

J. entfaltet die Abschnitte des ersten Hauptteiles in chronologischer Gliederung von der frühen Christenheit bis zum Ausgang des Mittelalters. Wie er einleitend betont, geht es ihm um die christliche Frömmigkeit als "den gelebten Glauben, wie er sich zu unterschiedlichen Zeiten, an verschiedenen Orten, in diversen Kirchen, christlichen Gruppen und Einzelgängern vom Neuen Testament bis zur Gegenwert zeigt" (87). Den Ausgangspunkt bildet die "Frömmigkeit der ersten Christen" (Kap. 2), deren "Grundlagen" (97) im NT verortet und als "Konzentration auf Gott" beschrieben werden (111). Anknüpfend daran wird die ‚Christliche Frömmigkeit in der Alten Kirche" (Kap. 3) unter Bezug auf apokryphe Evangelien, Gemeindeordnungen, Apostolische Väter sowie Vertreter von Askese und Mönchtum entfaltet, Zurecht verweist J. darauf, dass die sich thematisch anbietenden Zeugnisse "so zahlreich" sind, "dass sie hier nicht einmal alle namentlich erwähnt, geschweige denn inhaltlich im Einzelnen vorgestellt werden können" (113). Trotzdem kann man fragen, warum die alexandrinische Schule nur gestreift und Gregor von Nyssa oder Pseudo-Dionysios noch nicht einmal erwähnt werden.

Der Abschnitt über die "christliche Frömmigkeit im Mittelalter" (Kap. 4) beginnt mit einer Meditation über "alternde Welt und Frömmigkeitskrise" (164). Ob diese Begriffe geeignet sind, die Signatur mittelalterlicher Glaubenserfahrung zu erfassen, sei dahingestellt. Für J. geht es offenbar mehr um eine Diagnose der Gegenwart, wenn er schreibt, darin zeige sich ‚die Frage des Menschen nach sich selbst und seiner Zukunft" (167). Die im weiteren Verlauf des Kap.s vorgenommene Unterscheidung von "monastischer Frömmigkeit" und "weltlicher Frömmigkeit" vermag nicht wirklich zu überzeugen. Warum etwa Augustin der monastischen Frömmigkeit, Bernhard aber der weltlichen Frömmigkeit zugeordnet wird, bleibt offen. Die einzelnen Abschnitte sind gleichwohl kenntnisreich und flüssig geschrieben. J. gestaltet sie als biographische Darstellungen herausragender Persönlichkeiten und ihres geistlichen und kirchlichen Wirkens, bisweilen wählt er auch Begriffe oder Schriftengruppen als Ausgangspunkt.

In Ergänzung und Weiterführung der thematischen Studien versammelt J. im zweiten Hauptteil einige Quellentexte (289-359). Das Kriterium der Auswahl ergibt sich aus der Absicht, "einige markante Zeugnisse der Frömmigkeitsgeschichte" (3) bieten zu wollen. Der Bogen reicht von Origenes, Basilius von Caesarea, Augustinus und Johannes Cassianus in der Alten Kirche bis zu Anselm von Canterbury, Bernhard von Clairvaux. Franziskus von Assisi und Thomas von Kempen im abendländischen Mittelalter. Die Auswahl bietet den interessierten Lesern die Möglichkeit, an einzelnen Texten die Stimmen gelebten Glaubens in ihrem eigenen Wort zu erfassen. Der Leser soll, wie J. betont, aus den Texten nicht nur "Anregungen zum Verstehen der vergangenen Frömmigkeit", sondern auch "zur Gestaltung der eigenen Frömmigkeit hier und jetzt" erhalten (4).

Diese Formulierung macht deutlich, dass J. mit seiner Frömmigkeitsgeschichte ein auf die Gegenwart gerichtetes Interesse verfolgt. Er ist davon überzeugt, dass durch die vorgelegten Studien "nicht nur der Theologie, sondern auch der Kirche in dieser Zeit enormer gesellschaftlicher Veränderungen überall in der Welt bei der Frage, was das eigentlich Christliche ist, geholfen" (2) werden kann. Die Gestaltwerdungen des christlichen Glaubens in der Geschichte der Kirche sollen in Erinnerung gerufen und der gegenwärtigen Christenheit als Mahnung und Ansporn vor Augen gestellt werden. Das ist ein großes Ziel, in dem anklingt, dass Bernd Jaspert seine Darstellung als einen pastoralen Dienst an der christlichen Kirche versteht. Dass er dies in ökumenischer Absicht tut, zeigt die dem Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann zugeeignete Widmung. In diesem Sinne ist das Buch unbeschadet der Anfragen als ein engagierter Beitrag zur gegenwärtigen Gestalt von Christentum und Kirche zu würdigen.

Heinrich Holze


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