Heinz-Peter Mielke

Kirche im Geheimen

Orthodoxes und liberales Schwenkfeldertum
in Süddeutschland und seine Auswirkung auf
Geistesgeschichte und politisches Handeln
in der Spätrenaissance

Rezension


Zum süddeutschen Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert hat 2006 Caroline Gritschke eine grundlegende und in vieler Hinsicht innovative, aber durch ihre langatmige Theorielastigkeit wenig leserfreundliche Studie vorgelegt ("Via media": Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung. Das suddeutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert, Berlin: Akademie Verlag, 2006, Colloquia Augustana 22,480 S.). Knapper, anschaulicher und übersichtlicher ist die 2007 erschienene Gesamtdarstellung der Geschichte des Schwenckfeldertums von Horst Weigelt (Von Schlesien nach Amerika. Die Geschichte des Schwenckfeldertums, Verlag Bohlau, Köln / Weimar / Wien, 2007, Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte 14, 320 S.), in der allerdings Gritschkes Ergebnisse nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Diese beiden maßgeblichen Werke werden an Umfang weit übertroffen von der üppigen Publikation, die der Historiker Heinz-Peter Mielke, langjähriger Leiter des Niederrheinischen Freilichtmuseums in Grefrath, 2012 in zwei Bänden vorlegte. Seinem Vorhaben, den Einfluss der Lehre Schwenckfelds auf die politischen und intellektuellen Eliten in Süddeutschland in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu untersuchen, geht er im ersten der beiden Bände durch eine erstaunliche Fülle von prosopographischen Einzelbeobachtungen nach. Die lange Abfolge von Abschnitten über Personen, die sicher oder möglicherweise als Schwenckfeld-Anhänger zu gelten haben, werden von zahlreichen Exkursen zu historischen und theologischen Themen unterbrochen. Ein stringent argumentierender, auf ein Ergebnis zielender Untersuchungsgang kann auf diese Weise nicht zustande kommen. Ein kritisch abwägender Benutzer wird den durch ein Personen- und Ortsregister erschlossenen Band jedoch wegen der Fülle der aus handschriftlichen und gedruckten Quellen und aus der Forschungsliteratur zusammengetragenen Angaben zu schätzen wissen.

Der zweite Band, QuellenedltIonen und Dokumente, enthalt Transkriptionen der (bereits von Caroline Gritschke ausgewerteten) Briefe des ehemaligen Priesters Johann Martin (Martt, Merth) und seiner Ehefrau Agnes von Remchingen, die im Netzwerk der Schwenckfeld-Anhänger auf der Schwäbischen Alb eine wichtige Position einnahmen. Die aufgrund von zwei Handschriften in der Staatsbibliothek Berlin (Ms. germ. fol. 427 und 526), einer Handschrift der Franckeschen Stiftungen Halle (B 33) und einer Handschrift der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Cod. Guelf. Aug. 36.2°) wiedergegebenen Texte sind - etwas unüblich - zeilengenau und ohne sinnvolle Absatzgliederung wiedergegeben, was die Lektüre zuweilen erschwert. Es folgen neunzehn weitere Texte verschiedener schwenckfeldischer Verfasser sowie acht (für die vorliegende Publikation aus dem Lateinischen bzw. Griechischen übersetzte) Widmungsvorreden und Widmungsgedichte von Druckschriften, deren Verfasser Schwenckfeld-Anhänger waren, die inhaltlich aber nicht in allen Fallen Bezüge zur Lehre Schwenckfelds aufweisen. Auch diese ohne Angabe der Auswahlkriterien und der Editionsgrundsätze zusammengetragene Dokumentation ist, wie bereits der erste Band des Werks, mit kritischer Umsicht zu benutzen. So stammt etwa das von Mielke dem Schwenckfelder Johann Martin zugeschriebene, auch bei den Täufern sehr verbreitete Bibellied Der geistliche Josef (S. 491-495) von einem Benedikt Gletting und erschien unter dessen Namen mehrmals im Druck (VD 16 G 2213-2218, ZV 6668). Auch bei dem in hutterischen Handschriften häufig überlieferten, anonymen Goldenen ABC (S. 497-499) bringt Mielke kein Argument für seine Vermutung, der Text stamme von Johann Martin. Dennoch sind einige der hier erstmals abgedruckten Texte für die Täuferforschung ausgesprochen interessant, so der in einer schwenckfeldischen Handschrift überlieferte, undatierte Trostbrief eines (noch zu identifizierenden) Jörg Groland, der in Lauingen im Gefängnis liegt, an seinen Bruder Hans, der eine Darlegung ›des ordenlichen chrystenlichen taufs, der da angenummen würt, nach dem so man glaupt‹ enthält (S. 508-511).

Martin Rothkegel