Interkulturalität

Diskussionsfelder eines umfassenden Begriffs

herausgegeben und eingeleitet von
Hamid Reza Yousefi und Klaus Fischer

Rezension


Der Sammelband „Interkulturalität“ beinhaltet 13 Vorträge, die aus der von Hamid Reza Yousefi und Klaus Fischer am 23. Januar 2009 in Trier durchgeführten Tagung „Interkulturalität in der Diskussion. Grundlagen – Divergenzen – Konvergenzen. Interdisziplinäre Perspektiven“ hervorgegangen sind. Die Aufsätze werden in fünf Rubriken aufgeteilt: Philosophie im Vergleich der Kulturen, wissenschaftstheoretische, sozialwissenschaftlich-pädagogische, religionswissenschaftliche sowie sprach- und kulturwissenschaftliche Dimensionen der Interkulturalität. Die Herausgeber betonen, daß mit der Etablierung der interkulturellen Philosophie als eigenständiger Teildisziplin der Interkulturalität sich in den Wissenschaften dokumentieren läßt: das Zeitalter der Kolonialisierung ist auch hier abgeschlossen. Bereits 1927 habe Max Scheler in seiner Programmschrift Vom Weltalter des Ausgleichs dies prognostiziert. Scheler hatte darin die Begegnung der Kulturen, wie wir sie heute durch die Beschleunigung der Kommunikationsmitteln erleben, vorhergesagt.

Hamid Reza Yousefi versteht seinen Beitrag als eine erkenntnistheoretische Grundlage interkultureller Philosophie. Er setzt die Vernunftbegriffe der unterschiedlichen Kulturen mit den entsprechenden Kommunikationsformen zueinander in Beziehung. Insbesondere geht es ihm darum, die Hermeneutik der Begründungen zu erörtern. Yousefi will mit seinem interkulturellen Ansatz aufzeigen, daß eine Verabsolutierung der einen Vernunft unmöglich ist und kritisiert dezidiert den eurozentrischen Vernunftbegriff. So seien Kant und Hegel der Auffassung gewesen, Vernunft gebe es nur im Abendland. Yousefi führt in diesem Zusammenhang Ghazali und Molla Sadra ins Feld. Ghazali gibt seine ursprünglich rein rationalistische Position auf, indem er das intuitive Denken mit dem rationalistischen versöhnen will. Molla Sadra hebt die Allmacht der „positivistischen Vernunft“ auf. Er konstatiert nunmehr lediglich eine mystische Vernunft. Für Jakob Emmanuel Mabe ist Interkulturalität ein Denkpostulat, welches die Realisierung eines universalen Wissens zur Bedingung der Philosophie macht. Mabe weicht von den klassischen Theorien der interkulturellen Philosophie, wie sie z.B. von Ram A. Mall, Franz Martin Wimmer und Raúl Fornet-Betancourt vertreten werden, ab. Für ihn sind die Gemeinsamkeiten in den einzelnen Disziplinen der Philosophien der verschiedenen Kulturen viel bedeutender als die Unterschiede. Er nähert sich damit den Ansätzen einer transkulturellen Philosophie, wie sie z.B. von Elmar Holenstein und Wolfgang Welsch vertreten werden. Wenn die interkulturelle Philosophie, die ihre Anfänge in den 1990er Jahren genommen hat, an den Universitäten noch nicht im Fächerkanon etabliert sei, so liege dies in der Kulturphilosophie, der Anthropologie und der Geschichte der Philosophie begründet, denn diese Disziplinen sähen sich in Konkurrenz zur interkulturellen Philosophie.

Den interkulturellen Ansatz der Philosophie sieht Mabe insbesondere in der Aufgabe, zwischen den unterschiedlichen Kulturen zu vermitteln. Das Vermögen, sich andere Lebens- und Denkweisen anzueignen, sei dem Menschen nicht apriori gegeben. Eun-Jeung Lee stellt das Denken des Konfuzius in den interkulturellen Kontext. Im Mittelpunkt stehen dabei die sozialphilosophischen Fragestellungen. Die Maxime des Konfuzius sei das ethische Bewußtsein der Menschlichkeit. Konfuzius habe die Institutionalisierung seiner Ideen ebenso wie eine revolutionäre Gesellschaftsordnung abgelehnt. Seine Betonung der Menschlichkeit sei über seine eigene Kulturregion hinaus von Bedeutung. Hegel habe Konfuzius falsch verstanden, wenn er ihn lediglich als Moralisten abqualifiziere, und die gesellschaftspolitischen Implikationen dessen Lehre vollständig übersehe. Konfuzius’ Menschenliebe reiche von der Liebe zu den Familienangehörigen über die Liebe zu den Mitmenschen bis zur Menschheitsliebe. Es sei dem Jesuiten und Pionier der Asienmission Matteo Ricci zu verdanken, daß diese Reflexionen des Konfuzius nach Europa gelangt seien. Dadurch hätten sie von den Intellektuellen aufgenommen werden können. Wenn Ricci eine Kompatibilität von Konfuzianismus und Christentum gesehen habe, so sei dies eine Rechtfertigung seiner Missionsmethode durch Inkulturation gewesen. Leibniz habe als Protestant diesen Weg abgelehnt, nicht zuletzt darum, weil er hierin eine Aufgabe seiner Position, die europäische Kultur sei unüberbietbar, sah. Heinz Kimmerle analysiert in seinem Artikel minutiös, daß Hegels Philosophiebegriff nicht nur eurozentrisch ist, sondern vielmehr außereuropäischen Kulturen wie der Chinas und Indiens philosophisches Denken ganz und gar abspricht. Der hier angeblich fehlende systematische Charakter und die Einbindung des Denkens in Religion und Poesie rechtfertigten für Hegel diese Position. Außereuropäische Kulturen stünden daher auf einem primitiveren Niveau, was die Haltung Hegels für Kimmerle bis heute folgenschwer macht. Mit dieser Einstellung habe Hegel sogar den Kolonialismus rechtfertigt. Für Kimmerle, der sich unter anderem besonders um die Erforschung der afrikanischen Philosophie verdient gemacht hat, kommt der interkulturellen Philosophie die Aufgabe zu, diesen Eurozentrismus zu überwinden und in allen Kulturen Philosophien zu finden. Miraim Nandi beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit der postkolonialen Theorie, die das Verhältnis von Europa und den Kolonialstaaten kritisch rekapituliert. Eine nicht eurozentrisch ausgerichtete Ethik müsse die Ausbeutung der Frau auf dem gesamten Globus entgegenwirken.

Nach der postkolonialen Theorie von Gayatri Charkravorty Spivak, so führt sie aus, kann man die Entstehung der Menschrechte nicht alleine in Europa ausfindig machen. Eine Aufwertung der Menschenrechte verspricht Spivak sich gerade von der südlichen Erdhalbkugel her; unter der Beteiligung der Ärmsten der Armen. Spivak hat eine persönliche Beziehung zu dieser Schicht, da er Lehrer in Bangladesh ausbildete. Thomas Fornet-Ponse thematisiert das Verhältnis von Geschichte und Interkulturalität. Das eigentliche Subjekt der Philosophie sei in der jeweiligen geschichtlichen Realität zu finden. Zu dieser Thematik zieht er den philosophischen Ansatz des Befreiungsphilosophen Ignacio Ellacuria heran. Jede Philosophie ist demnach kulturabhängig und auf den Austausch mit anderen angewiesen. Eine komparatistische Philosophie der Kulturen, die keine Wertung zulasse, wird entschieden zurückgewiesen. Das klassische abendländische Philosophieverständnis greife heute nicht mehr und müsse durch den interkulturellen Ansatz überwunden werden.

Den Herausgebern dieses Bandes kann man dankbar sein, daß sie hiermit ein grundlegendes Werk zur Interkulturalität publiziert haben. Zweifelsohne wird diese Pionierarbeit die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Interkulturalität in den einzelnen Disziplinen anregen. Man darf gespannt sein, wie sich die wissenschaftstheoretische Frontbildung Interkulturalität versus Transkulturalität weiter entwickeln wird.

Hermann-Josef Scheidgen, Köln


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