Interkulturalität

Diskussionsfelder eines umfassenden Begriffs

herausgegeben und eingeleitet von
Hamid Reza Yousefi und Klaus Fischer

Rezension


Die fünfzehn Beiträge dieses Sammelbandes gehen auf die Tagung "Interkulturalität in der Diskussion. Grundlagen - Divergenzen -. Konvergenzen - Interdisziplinäre Perspektiven", die am 23. Jänner 2009 in Trier gehalten wurde, zurück und setzen sich sowohl mit grundsätzlichen Fragen als auch mit konkreten Problemstellungen interkultureller Herausforderungen auseinander. Auf einige interessante Überlegungen sei besonders hingewiesen: Jacob Emmanuel Mabe begreift interkulturelle Philosophie als "multivalente Dimension des Denkens" (S. 38) und warnt davor, sie (nur) als "Xenophilosophie" oder "Ethnophilosophie" (S. 39) zu betreiben. Miriam Nandi zeigt in ihrer Analyse des postkolonialen Diskurses von Gayatri Chakravorty Spivak, inwiefern "auch die Opfer der Kolonialherrschaft zu Tätern werden können" (S. 94), und betrachtet "eindeutige" Kulturkonzepte kritisch: "Kultur ist in sich widersprüchlich und brüchig; sie wird geformt von Männern und Frauen, von der Bitterarmen und ausgesprochen Reichen, von den Mächtigen und den 'Verdammten dieser Erde. Kultur umfasst nicht nur das Gute und das Schöne, sondern auch das Machthungrige, Expansive, Ausbeuterische, Gierige, Gemeine und Niedrige" (S. 102f.). Thomas Fornet-Ponse untersucht das Werk Ignacio Ellacurias und hebt dessen hermeneutische Haltung hervor: "Nicht nur ist Philosophie in einem ständig offenen Prozess zu realisieren, weil sie sich mit der sich verändernden geschichtlichen Realität verändert, sondern darüber hinaus erkennt sie die menschliche Endlichkeit an und verzichtet auf die jeder Kultur eigenen Tendenz, das Eigene zu verabsolutieren" (S. 113). Kritische Anmerkungen zum gegenwärtigen Kulturdiskurs kommen von Christoph Antweiler; er spricht von einer "Alteritätsobsession", einer Tendenz zur Pluralisierung und "Wählbarkeit von Identität" (S. 165) und betont: "Die obsessive Konzentration auf, 'ganz andere Kulturen' macht 'Kultur' zu einer nicht hinterfragbaren Größe und damit auch politisch gefährlich" (S. 180). Wichtig ist auch der kritische Hinweis von Wolfgang Gantke auf den kolonialen Hintergrund religionswissenschaftlicher Forschung: "Die Geschichte der Religionswissenschaft erweist sich jedenfalls im Rückblick als eine Geschichte unvorsichtiger, voreiliger, zumeist eurozentrisch orientierter Verallgemeinerungen [...]" (S. 228).

So aufschlussreich und originell viele dieser Aufsätze sind, die sich unter anderem mit dem Verständnis von Demokratie (Bernd Hamm), dem Phänomen des Fundamentalismus (Hermann-Josef Scheidgen), der kontroversen Diskussion über den "Burkini" (Peter Kühn) oder den spezifischen Bedingungen für die Genese von Grammatik (Peter Raster) beschäftigen, so lose ist der Zusammenhang zwischen den einzelnen Beiträgen. Eine systematische- Bezugnahme der Autorinnen auf das gemeinsame Projekt "Interkulturalität" hätte sicherlich noch mehr zum Verständnis dieses in der Tat umfassenden Begriffs beigetragen.

Franz Gmainer-Pranzl


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