Die Herausgeber des Bandes Wege zur Religion stellen in ihrer Einleitung dar, daß die Individuen immer transzendierende Wesen sind. Von Natur aus sei der Mensch ein homo religiosus. Die heutige Globalisierung, so die Herausgeber, dürfe in keinem Fall nur für die Dimensionen der Ökonomie gesehen werden, denn auch die Religionen durchdrängten sich in ihrer Vielfalt gegenseitig. Der interkulturelle und religiöse Dialog sei zuvor noch nie so aktuell gewesen wie in der Gegenwart.
Die Aufsatzsammlung besteht aus einem „grundsätzlichen Teil“, auf den noch näher einzugehen sein wird, sowie aus der Darstellung der klassischen Weltreligionen: des Hinduismus, des Buddhismus, des Judentums, des Christentums und des Islams, wobei letzterer zusätzlich mit einem Beitrag zum Sufismus spezifiziert wird. Der abschließende Teil ist etwas heterogen konzipiert, denn er beinhaltet die Lehren der Yeziden, die Freimaurer im Kontext der geistigen Strömungen unserer Zeit sowie den sogenannten „Satanismus“. In philosophischer Hinsicht sind insbesondere die Aufsätze der Rubrik „Grundsätzliches“ von Bedeutung. Der Religionswissenschaftler Peter Antes stellt die Frage: „Monotheismus–Polytheismus – eine Scheinalternative?“ Antes hält eine solche Frage für ein Scheinproblem. Während diese Fragestellung auf der dogmatischen Seite geklärt sei, wonach der Hinduismus polytheistisch, der Buddhismus atheistisch und das Judentum, das Christentum und der Islam monotheistisch seien, zeige die Praxis jedoch auf, daß diese strenge Zuordnung für einen Religionswissenschaftler nicht möglich sei. Antes legt hier den Volksbezug zu Grunde: So gibt es z.B. in Teilen des Hinduismus monotheistische Strukturen und im Christentum aufgrund einer überzogenen Heiligenverehrung polytheistische Züge. Teilweise werde den Heiligen Fähigkeiten zugeschrieben, die sonst nur Attribute Gottes seien. Dasselbe treffe auch auf den Islam zu. Wenn es in bestimmten Formen des Buddhismus Götter gebe, so komme diesen jedoch keinerlei Macht zu, womit sie für Antes’ Fragestellungen unbedeutend sind.
Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Klaus Fischer wendet sich gegen die Behauptung, Glaube sei nur eine Vorform des Wissens. Es zeige sich bei der Analyse des Wissens in der Wissenschaft, der Religion und im Alltag, daß eine Trennung von Glauben und Wissen nicht aufrecht zu halten sei, denn jede Religion beinhalte z.B. auch Elemente des Wissens. Hingegen repräsentierten die Paradigmen, Theorien und Hypothesen der Wissenschaften erkenntnistheoretisch betrachtet kein Wissen, sondern allenfalls einen durch mehr oder weniger starke Gründe gestützten Glauben. In der Wissenschaft sei dies jedoch im Gegensatz zur Religion ein Glaube auf Widerruf.
Der Dogmatismus in der Wissenschaft habe für diese verheerende Folgen, denn er entscheide bisweilen über die Einstellung von Wissenschaftlern, Bewilligung von Forschungsgeldern und Publikationszuschüssen.
Der Philosoph Martin Thuner bestreitet die Legitimation einer „christlichen Philosophie“ im Namen der Vernunfttheorie als auch im Namen eines Offenbarungsglaubens. Hingegen könne die christliche Glaubenserfahrung der heilsgeschichtlichen Begegnung mit dem göttlichen Antlitz als Denkform eine Philosophie bestimmen. So hätten z.B. Augustinus, Anselm von Canterbury und Nikolaus von Kues deutlich gemacht, wie auch die Glaubenserfahrung einer philosophischen Vermittlung bedürfe.
Wolfgang Gantke zählt in der Religionswissenschaft zu der Minderheit der Fachvertreter, die dafür plädieren, die Wahrheitsfrage zu stellen. Er ist dabei stark von den Nestoren der Religionswissenschaft Rudolph Otto und Gustav Mensching geprägt. So unterscheidet Mensching zwischen der Wahrheit als „numinoser Wirklichkeit“ und der Wahrheit als „rationaler Richtigkeit“. Letzter Ansatz führe meist zu einem Exklusivismus, welcher der Versuchung des Fundamentalismus ausgesetzt sei. Gehe man, so Gantke im Anschluß an Mensching, jedoch von einer Wahrheit als echter Begegnung mit dem Heiligen aus, dann sei diese im Prinzip in allen Weltreligionen anzureffen. Die Anerkennung einer nicht profanen Wirklichkeitsdimension sei nicht an eine Kultur gebunden. Sie sei daher interkulturell verallgemeinerbar.
Der Philosoph Hamid Reza Yousefi entwickelt in seinem Beitrag eine Philosophie der angewandten Toleranz. Auf dieser Weise könne man zu einer Verständigung zwischen Kulturen, Religionen und unterschiedlichen Weltanschauungen kommen. Die Realisation eines Dialogs führe auf der Basis von Verstehenwollen und Verstandenwerdenwollen zum Abschied von einer eindimensionalen Hermeneutik. Eine formale Toleranz, die er als Gehäusetoleranz bezeichnet, bringe nicht eine echte Kommunikation bzw. Verständigung hervor, denn sie führe vielmehr zur Ablehnung des Andersdenkenden und Anderserzogenen. Andererseits sei die angewandte Toleranz jedoch auch keine Prinzipienlosigkeit. Eine aktive Auseinandersetzung sei die Bedingung des Verstehens unterschiedlicher Welt- und Menschenbilder sowie sozialer Gepflogenheiten, die stets eine historische Verankerung in den jeweiligen Traditionen hätten. Eine unbegrenzte Toleranz gegenüber Menschen, welche die Rechte anderer und deren Würde verletzen, sei jedoch abzulehnen. Auch führe diese Haltung schließlich zu einem Anarchismus. Den Herausgebern dieses Bandes ist es gelungen, ausgewiesene Theologen, Philosophen und Religionswissenschaftler als Autoren zusammenzubringen. Dabei erweist es sich nicht als Nachteil, daß nicht alle Autoren, die über die einzelnen Religionen referieren, auch Mitglieder der entsprechenden Glaubensgemeinschaft sind. Das stringent gegliederte Sammelwerk ist ein wichtiger Beitrag für den immer noch aktuellen interreligiösen Dialog.
Hermann-Josef Scheidgen, Köln
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