Ina Braun/Hermann-Josef Scheidgen (Hrsg.)

Interkulturalität - Wozu?

Hamid Reza Yousefi und Peter Gerdsen im Gespräch

Rezension


Aus einer elektronischen Korrespondenz zwischen dem emeritierten Naturwissenschaftler Peter Gerdsen und dem interkulturellen Philosophen Hamid Reza Yousefi entstand das vorliegende Buch, das in Gesprächsform wichtige Anliegen interkulturellen Philosophierens behandelt. Yousefi, dem in diesem Gespräch über weite Strecken der Hauptpart zufällt, verweist zum einen auf bekannte - aber oft vergessene - Voraussetzungen: So etwa darauf, dass "Interkulturalität kein Resultat, sondern ein Prozess" (S. 15) ist; dass zwischen "Interkulturalität" und "Multikulturalität" eine klare Differenz besteht (vgl. S. 38); sowie darauf, dass interkulturelles Philosophieren einen "Lebens- und Denkweg" (S. 87) darstellt, der weder eine "spezifische Gestalt", eine "bestimmte Tradition" noch eine "Muttersprache" (S. 88) kennt, wie Yousefi in deutlicher Anlehnung an Ram Adhar Mall sagt. Zum anderen bringt Yousefi eigene Thesen ins Gespräch, die einigen Diskussionsstoff in sich bergen. Vor allem ist hier seine mehrmals geäußerte Kritik am Primat europäischer Aufklärung zu nennen, die eine Art Rationalitätsmonopol zur Folge habe (vgl. S. 33f.), manchmal als "Ersatzreligion" (S. 55) auftrete und vergesse, "dass es außerhalb Europas ebenfalls 'Aufklärung' gab" (S. 111). Als konkretes Beispiel dafür wird die in Europa kaum bekannte Entwicklung einer sozialen, kulturellen und politischen Aufklärung im Iran dargestellt, die unter anderem in der "Verfassungsrevolution" von 1905 bis 1911 (vgl. S. 113) zur Geltung kam.

Interkulturelles Philosophieren distanziert sich ausdrücklich "von Sakralisierung, Ideologisierung, Moralisierung und Ökonomisierung in Theorie und Praxis" (S. 96) und versteht sich letztlich einfach als Philosophie, die ein Menschheitsprojekt darstellt: "Philosophie ist sui generis interkulturell, weil das Denken eine anthropologische Konstante ist" (S. 68). Von daher verwahrt sich Yousefi zu Recht gegen jegliche Unifizierung von Kulturen: "Kontextgebundenheiten lassen sich nicht egalisieren" (S. 26). Inwieweit diese anti-universalistische Grundeinsicht aber zu der relativ weiten Schlussfolgerung berechtigt, dass etwa "die theoretischen und praktischen Letztbegründungen der Menschenrechte und ihre Verletzungsformen vielfältig" (S. 152) seien sind von daher die "Grenzen der Toleranz 1...] von einer Verschiebbarkeit geleitet sein" müssten, "da Völker differierende Wertvorstellungen pflegen" (S. 160), scheint zumindest fraglich zu sein; wird nicht gerade die universale Geltung von Menschenrechten manchmal mit den (angeblichen) "Grenzen" der eigenen kulturellen Plausibilität zurückgewiesen?

Dieser Band, in dem viel Anregendes und auch Provokantes zur Sprache kommt, bezieht sich in eigenständiger Weise auf den Diskurs des interkulturellen Philosophierens im deutschen Sprachraum (vgl. auch die Hinweise zur WIGIP [S. 96] und zu unserer Zeitschrift "polylog" [S. 100]) und kann als Einführung in Problemfelder der interkulturellen Philosophie gute Dienste leisten. Die Titelfrage "Interkulturalität Wozu?" hat sich übrigens im Verlauf der Darstellung de facto auf die grundsätzlich Frage ausgeweitet, wie heutige Lebens- und Denkfelder überhaupt ohne einen Bezug auf "Interkulturalität" zu bewältigen wären.

Franz Gmainer-Pranzl


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