Sechzehn Beiträge umfasst dieser Band, der auf vielfältige Weise "Wege zur Kultur" sucht und sich dem Verständnis eines Begriffs widmet, dem es bekanntermaßen nicht an Deutungsversuchen mangelt; einige bedenkenswerte Interpretationen seien im Folgenden vorgestellt.
Hamid Reza Yousefi umschreibt "Kultur" als "ein offenes Netzwerk von Perspektiven und dynamischen Prozessen" (S. 29). Joachim Renn plädiert dafür, die konkrete Erfahrung von kulturellen Differenzen deutlich von der theoretischen Beschreibung von "Kulturen" abzuheben: "Statt also im Fahrwasser älterer und wenig plausibler "container" Modelle von "Kultur" Unterscheidungen zwischen kulturellen Gruppen, Horizonten oder Wissensformationen festzunageln und Personen eindeutig auf die Zugehörigkeit einer und nur einer positiv abgegrenzten Kultur festzulegen, ist es deshalb angesichts globalisierter Übergänge und Mischungen (und "hybrider" oder "diasporischer" Identitäten zwischen ehemals vermeintlich abgeschlossenen Kulturen sinnvoll, explizite Kulturen (begriffliche Artikulationen) von performativen Formen des praktischen Vollzugs kultureller Orientierungen strikt zu unterscheiden" (S. 97f.). Michael Klemm legt eine differenzierte Positionsbestimmung vor, die von einem holistischen, semiotischen, konstruktivistischen, p1uralistischen und sozialen Kulturbegriff ausgeht (vgl. S. 134f.). Alexander Thomas nähert sich dem Kulturverständnis aus psychologischer Sicht an: "Man kann Kultur als ein spezifisches sinnstiftendes, bedeutungshaltiges Orientierungssystem auffassen, in das Menschen hineingeboren werden und es im Verlauf ihres individuellen Sozialisationsprozesses, also durch Enkulturation, nicht nur kennen lernen, sondern so verinnerlichen, dass ihnen seine Funktionsweisen und seine vielfältigen Wirkungsvarianten im Alltagsgeschehen überhaupt nicht mehr bewusst werden" (S. 152). Peter Gerdsen wiederum geht von einem gesellschaftlichen Schichtenmodell aus; für ihn "bedeutet Kultur die Gesamtheit der Lebens- und Organisationsformen sowie den Inhalt und die Ausdrucksformen der vorherrschenden Wert- und Geisteshaltung, auf die die sozialen Ordnungsmuster gründen" (S. 194). Hubert Knoblauch eröffnet einen kommunikativen Zugang: "Kultur gründet auf der dreistelligen Relation zwischen Ego, Alter ego und dem Symbol. Verstanden als Kommunikation ist diese Relation nicht statisch, sondern ein Prozess, der von realzeitlichen Verhaltensabläufen getragen wird" (S. 272). Regine Kather leistet eine aufschlussreiche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von "Natur" und "Kultur" im Kontext des Verständnisses des Menschen als "animal symbolicum" (Cassirer): "Mit der Evolution ist ein Wesen entstanden, das aufgrund seiner, biologischen Ausstattung auf kulturelle Vermittlung angewiesen ist" (S. 299). Klaus Wiegerling, der sich in besonderer Weise mit der Erfahrung des kulturell Widerständigen auseinandersetzt, trifft die wichtige Feststellung, "dass sich höhere Formen der Kultur nur im Austausch bzw. unter dem Einfluss von Fremden und der Inspiration durch das Fremde entfalten" (S. 309). Auf Wiegerlings Reflexion des Fremdkulturellen (vgl. S. 316-318) ist in diesem Zusammenhang besonders hinzuweisen.
Die Überlegungen dieses Bandes leiten dazu an, das Verständnis von "Kultur" im Licht unterschiedlicher Zugangsweisen zu klären und somit das eigene Problembewusstsein mit Blick auf einen der komplexesten und missverständlichsten Begriffe der Gegenwart zu schärfen.
Franz Gmainer-Pranzl
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