Orthafte Ortlosigkeit der Philosophie

Eine interkulturelle Orientierung

Festschrift für Ram Adhar Mall zum 70. Geburtstag

herausgegeben und eingeleitet von Hamid Reza Yousefi; Ina Braun; Hermann-Josef Scheidgen

Rezension


Wer sich mit den Herauforderungen interkulturellen Philosophierens ernsthaft auseinandersetzt, kommt unweigerlich mit dem Werk von Ram Adhar Mall in Berührung. Seit den 80er Jahren lehrt der aus Nordindien stammende Philosoph an den Universitäten in Trier, Wuppertal, Bremen und München Philosophie, im Rahmen von Gastprofessuren auch in Heidelberg, Wien sowie in Indien. Als Begründer der "Studien zur interkulturellen Philosophie" (1993) und als Verfasser wegweisender Beiträge gilt Mall als Vordenker interkultureller Philosophie. Wie bedeutend und vielfältig seine Forschungstätigkeit ist, dokumentiert die vorliegende Festschrift mit 43 Beiträgen aus unterschiedlichsten Disziplinen und Denkpositionen.

Wie auf einen Brennpunkt sind die Überlegungen dieses Bandes auf den Mallschen Topos der "orthaften Ortlosigkeit" ausgerichtet. Interkulturelle Philosophie ist "der Einsicht verpflichtet, dass Philosophen ihre Heimatländer haben, deren Werten und Selbstbildern sie nolens volens verhaftet bleiben, Philosophien vom Zeitgeist und Ort ihrer Entstehung mitbestimmt werden, Philosophieren an sich jedoch überall und jederzeit möglich war, ist und bleiben wird, solange - wo und in welchem kulturellen Kontext auch immer - nachdenkliche Wesen existieren" (Hamid Reza Yousefi, S. 31). Dass diese regulative Idee der "orthaften Ortlosigkeit" stets der Spannung von Kulturimperialismus und -relativismus sowie vielen Missverständnissen ausgesetzt bleibt, macht u. a. der Beitrag von Claudia Bickmann deutlich; die berechtigte Einbeziehung aller Welttraditionen der Philosophie in den - vorwiegend abendländischen - Diskurs brachte eine "verhängnisvolle Gleichsetzung" mit sich: "Der Europäische Universalismus wurde als Eurozentrismus in Abweis gebracht" (S. 152). Ähnlich argumentiert Jean Grondin; zwar ist die "Beschränkung auf die abendländische Kultur" (S. 143) zu überwinden, nicht aber der spezifische Beitrag europäischen Denkens - als eine -wichtige Sicht - aufzugeben: "Muss man unbedingt den abendländischen Weg der Rationalität hinter sich lassen und als "Irrweg" brandmarken, um sich an deren Traditionen zu öffnen" (S. 143)? Dennoch: kulturelle Identität ist nicht im "Singular" zu haben, wie Klaus Fischer ausführt: "Es gibt [ ... ] nur einen offenen Möglichkeitsraum, der von unvorhersehbaren realgeschichtlichen Entwicklungen, der Kreativität der Kulturschaffenden, ihrer Fähigkeit zur Konstruktion neuer Gedankenwelten, die das Potenzial zur Knüpfung neuer begrifflicher Netze und zur Neuausrichtung der Wahrnehmung haben, ständig in Bewegung gehalten wird, Kultur braucht dieses chaotische, unvorhersehbare Moment, um kreativ zu bleiben. Monokulturen, aber auch Paradigmen, die andere dominieren und verdrängen wollen, trocknen das kreative Potenzial von Kulturen aus" (S. 267f). Um zu dieser kreativen Vermittlung befähigt zu werden, bedarf es einer kritisch-distanzierten Einstellung, die den Stachel des Interkulturellen ins Fleisch des " Selbstverständlichen" einsetzt: "Eine polykulturelle Biographie, Ausbildung und Orientierung führt in langwierigen und häufig schmerzhaften und schwierigen Prozessen zur Erarbeitung einer solchen reflexiven Distanzhaltung, welche das Andere wie aber vornehmlich zunächst das Eigene betrifft, um diesem in gleicher Ausgewogenheit wie jenem begegnen zu können (S. 533). Wie auch immer die Problematik und Provokation interkulturellen Philosophierens in ihrer "heterotop/utopischen Topik" wahrgenommen wird - es geht im Letzten um eine "Kultur der Weltachtung" (Dean Komel, S. 160), und für diese lohnenswerte Aufgabe stellt diese Festschrift eine Fülle von Anregungen bereit.

Franz Gmainer-Pranzl


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