Birgit Siekmann/Helga Passon/Peter Schmidtsiefer

„Ich bin der Herr im Haus“

Weltansichten in Festschriften Wuppertaler Unternehmen

Rezension


Festschriften werden bis heute von vielen Historikern als zweifelhafte Quellen angesehen. Aus ihnen ließen sich keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse schöpfen heißt es zumeist, da viele der Arbeiten von fachfremden, oft Journalisten, Firmenangehörigen oder neuerdings Werbeagenturen verfasst werden und als Auftragsarbeiten zudem Objektivität und wissenschaftliche Distanz fehlen. Die Autoren des vorliegenden Bandes sind da anderer Meinung. Aus den zahlreichen Festschriften der vergangenen Jahrhunderte (allein die Bibliothek des RWWA in Köln umfasst ca. über 17 000 Festschriften) haben sich die Verfasser ausschließlich Festschriften Wuppertaler Unternehmen ausgesucht. Geschichte erscheint "in Firmenfestschriften auch als politische und soziale Geschichte" und zeigt die "Teilhabe von Unternehmen am bürgerlichen Weltordnungsdiskurs in historischer Perspektive" (S. 7) so die Begründung der Autoren, warum eine Analyse der Festschriften lohne. Leitgedanke der drei Beiträge ist die spezifische mentale Anpassung der Unternehmer an die Krisen und Wandlungen des 20. Jahrhunderts. Während Birgit Siekmann die Perspektive der Unternehmen in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus einnimmt, konzentriert sich Helga Passon auf das Selbstverständnis der behandelten Personen. Peter Schmidtsiefer analysiert schließlich die "Deutung der Quellen für die zeitgenössische Befindlichkeit" (S. 8).

Helga Passon hat sich, um die "Weltansichten" der Unternehmer deutlich zu machen, den Festschriften der Jahre 1894 bis 1921 angenommen. Auf dem mentalitätsgeschichtlichen Ansatz von Karl-Hermann Bleek fußend, wonach der Untersuchungszeitraum als "Einbruch in die Moderne" definiert wird, zeichnet sie ein umfassendes Bild der Wirtschaftsgeschichte des Wuppertals (die Stadt Wuppertal wurde erst im Zuge der Kommunalgebietsreform 1929 durch die Zusammenlegung der Städte Barmen und Elberfeld geschaffen). Der Aufstieg bekannter Firmen wie Ibach, von der Heydt oder Boedinghaus verlief dabei in ähnlicher Weise. Den Grund sahen die Autoren der Festschriften in der hohen geistigen Flexibilität der Unternehmen sowie in der hohen sozialen Mobilität. Dennoch sind die Ergebnisse, die Helga Passon aus den dargestellten Entwicklungen der Unternehmen analysiert, ziemlich dünn. Dass Unternehmen sich an den Markt anpassen mussten, um zu überleben, ist eine Binsenweisheit. Dass psychische Stabilität und Arbeitskraft der Unternehmer ebenso dazu gehörten, dürfte auch nicht überraschen. Hier zeigt sich die Problematik des Untersuchungsansatzes: Die Autoren der Festschriften kratzten vielfach nur an der Oberfläche, dies überträgt sich dann auch auf einen Teil der Analyse. Es wird nicht deutlich, worin die spezifischen unternehmerischen Eigenschaften lagen, die die Unternehmen des Wuppertals so erfolgreich werden ließen. Man kann sich auch fragen, ob ein mentalitätsgeschichtlicher Ansatz der richtige ist, wenn es um Krisenstrategien und Wandlungen geht. Anders sieht das bei der Analyse des Lebensgefühls aus. Helga Passon gelingt es, die Mentalitäten der Wuppertaler Unternehmen angemessen darzulegen. So sind besonders Vernunft und Fortschrittsglaube hervorzuheben. Die geistige Flexibilität der Wuppertaler Unternehmer ließ sie "die Umstellung von der statischen Bedarfsdeckungswirtschaft auf die dynamische Marktwirtschaft bewältigen" (S. 88). Dies erklärt, wenn auch nicht hinreichend, warum viele Unternehmen über einen so langen Zeitraum existieren konnten.

Birgit Siekmann geht in ihrem Beitrag gänzlich anders vor. Ihre Analyse der Festschriften aus den Jahren 1924-1949 orientiert sich an den politischen Zäsuren der Neueren und Neuesten Geschichte (Napoleonische Kriege, Reichsgründung 1870/71, Wilhelminismus, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik und Drittes Reich). Die Autorin zeigt auf wie "die Autoren [der Festschriften] Geschichte interpretieren" und welche Themen überhaupt angesprochen werden (S. 92). Die Revolution von 1848 wird in den ausgesuchten Festschriften kaum angesprochen. Es ist interessant zu erfahren, wie unterschiedlich Geschichte von den einzelnen Autoren, allesamt Branchenkenner, aber keine Fachhistoriker, beobachtet und beschrieben wird: Mal schenkt man dem Napoleonischen Zeitalter auffallend große Beachtung, mal blieb diese Epoche, wie bei Hans Kurzrock, Verfasser der Festschrift für das renommierte Bankhaus Von der Heydt-Kersten & Söhne, unbeachtet. Anders sieht das bei der Reichsgründung 1870/71 aus. Diese wird beinahe einhellig als günstig bewertet. Auch in der Frage der Sozialpolitik gibt es große Übereinstimmungen unter den Verfassern der Festschriften. Sozialpolitik bedeutete für die Unternehmer des Wuppertals Fürsorge, die nicht "über die Milde Gabe hinausgehen" darf (S. 115). Eine gesetzliche Pflicht wurde als unnötig bezeichnet, die moralische Pflicht zur Fürsorge hingegen angemahnt. Es kann an dieser Stelle nicht auf alle Sachthemen eingegangen werden. Es bleibt festzuhalten, dass Birgit Siekmann aufgrund ihres strukturierten Vorgehens - zunächst erfolgte eine kurze Übersicht der politischen Ereignisse, dann die Bedeutungen dieser für das Wuppertal und dann die Einzelanalyse der ausgesuchten Festschriften - in transparenter Weise die Geschichtsreflexionen der Festschriftverfasser dargelegt hat. Die Autorin konnte deutlich machen, welche Schwerpunkte, beispielsweise die Beschäftigung mit der nationalstaatlichen Einigung oder dem Versailler Vertrag als "Fessel" für das Deutsche Reich, in den Festschriften thematisiert wurden. Ob es den jeweiligen Unternehmern egal war, wie die Autorin im Schlusswort schreibt, welches politische System vorherrscht, Hauptsache sie hatten ein Mitspracherecht im Staat, darf bezweifelt werden und gibt Anlass zur Diskussion.

Peter Schmidtsiefer behandelt in seinem Aufsatz die Weltbilder aus den Festschriften der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Ansatz unterscheidet sich wiederum von denen der beiden vorangegangen Beiträge. Schmidtsiefers Methode knüpft an die aktuellen Forschungsrichtungen der Wirtschaftsgeschichte an. In den letzten Jahren wurde verstärkt der Ruf nach einer Kulturgeschichte der Wirtschaft laut. Auf zwei Ebenen vollzieht der Autor seine Analyse: Erstens schildert er die "Wahrnehmung der Gegenwart" und stellt die Frage, ob es eine "ökonomischen Eigenzeit" gegeben hat. Zweitens will Schmidtsiefer herausfinden, ob es einen zeitgenössischen "homo oeconomicus" für das Wuppertal, "dessen Mentalität sich in den Festschriften widerspiegelt", gegeben hat. (S. 151 f.).

Im Folgenden skizziert der Autor zunächst die wirtschaftliche Entwicklung Westdeutschlands nach 1945. Daran anschließend, und hier folgt er dem Vorgehen Siekmanns, filtert er aus den Festschriften die jeweilige Behandlung einzelner Themen heraus. So wurde das sog. "Wirtschaftswunder" nicht mit den Erhardschen Reformen in Verbindung gebracht, sondern die direkten Wiederaufbauleistungen nach 1945 in den Vordergrund gerückt. Leider wird nicht recht deutlich, warum sich nach 1945 eine ökonomische Eigenzeit eingestellt haben soll, wie Schmidtsiefer behauptet (S. 169). Hier hätte eine ausführlichere Beantwortung der Eingangsfrage nicht geschadet. Ähnliches gilt für den Themenkomplex "homo oeconomicus". Dass Unternehmer verdienende und verdiente Bürger waren, ist nicht neu. Ebenso verwundert es nicht, dass sie "sich selbst als Fokussierungspunkte des Gemeinwesens" inszenierten, "aus denen wiederum ihre soziale Verpflichtung erwuchs". Was das spezielle an den Wuppertaler Unternehmern gewesen ist, d. h. besondere regionale Mentalitäten, erfährt der Leser leider nicht. Warum Schmidtsiefer auf die Frage der Selbstbilder nur auf wenigen Seiten eingeht, bleibt dem Rezensent zudem ein Rätsel. Gerade in diesem Kapitel gelingt es dem Autor, die eingangs gestellten Fragen zu beantworten, leider viel zu knapp. Gerne hätte man mehr über die Gesellschaftskonzepte der Unternehmer aus dem Wuppertal erfahren. Ein Spezifikum der Wuppertaler Wirtschaft war ihre mittelständische Prägung, das nicht nur die Beziehung zwischen Firmenleitung und Arbeitern/ Angestellten bestimmte.

Der vorgestellte Sammelband hat gezeigt, wie lohnenswert eine Beschäftigung mit Firmenfestschriften für die Wirtschaftsgeschichte sein kann. Mit dem richtigen methodischen Ansatz sind sie weitaus mehr als nur bloße Auftragsarbeiten. Von kleineren strukturellen Schwächen in den Beiträgen von Passon und Schmidtsiefer abgesehen, könnte diese Untersuchung der Stein des Anstoßes für weitere Beschäftigungen mit Firmenfestschriften deutscher Unternehmen sein.

Benjamin Obermüller, Bonn


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