Das hundertjährige Bestehen der Nordelbischen
Kirchenbibliothek haben ihr Leiter Joachim Stüben und Rainer Hering vom
hamburgischen Staatsarchiv zum Anlaß genommen, eine Festschrift herauszugeben. Der erste und mit fast zweihundert Seiten mit Abstand umfangreichste der
insgesamt zwölf Beiträge stammt von Joachim Stüben und trägt den Titel Hundert
Jahre Kirchenbibliothek in Hamburg. Ein Rückblick vermischten Inhalts.
Es wird auf Grund umfangreicher Quellenforschung eine kritische Darstellung
der Bibliotheksgeschichte vorgelegt. Gemäß der Gliederung sieht der Verfasser
die folgenden Zäsuren in der Bibliotheksentwicklung: den Tod des Stifters,
des Seniors Georg Behrmann, im Jahre 1911, den Wechsel in der Bibliotheksleitung
von Hugo Friedrich Beneke zu Gustav Kochheim 1934, den Leitungswechsel von
letzterem zu Herbert Lorenzsonn 1947, die Auflösung der Kirchlichen Hochschule
und die Gründung der Theologischen Fakultät 1953/54 sowie den Umzug in die
Grindelallee 1969. Als Einschnitte seit dem Bezug des Neubaus werden genannt:
das Aufgehen der hamburgischen Landeskirche in der Nordelbischen Evangelisch-lutherischen
Kirche 1977, der Wechsel in der Bibliotheksleitung von Hans Werner Seidel
zu Herwarth von Schade 1980 sowie das Ausscheiden von letzterem im Jahre
1988. Deutlich wird die große Bedeutung, die ihren Leitern für die Geschichte
der Bibliothek beigemessen wird. Angesichts der Größe dieser Bedeutung und
der Tatsache, daß die Leitung der Nordelbischen Kirchenbibliothek in der
Regel eher am Ende denn am Anfang einer Vita steht, wäre es sicherlich vertretbar
gewesen, die Bibliotheksleiter und zumindest deren Vorleben bereits vor
der Darstellung von deren Amtszeit etwas ausführlicher vorzustellen, statt
diese Informationen erst am Ende des jeweiligen Kapitels nachzuliefern,
wie dieses bei Beneke, Kochheim, Lorenzsonn, Seidel und von Schade der Fall
ist. Es ist jedoch müßig, hierüber jetzt nachträglich eine Diskussion beginnen
zu wollen. Stattdessen soll - sicherlich ganz im Sinne des Autors - auf
einen Wunsch von ihm hingewiesen werden, den er bei der offiziellen Vorstellung
der Festschrift am 8.11.1995 geäußert hat, den er in seinem Rückblick
zum Ausdruck bringt und den auch wir Leser uns zweifellos zu eigen machen
können: bessere und regelmäßigere Kontakte zwischen der Nordelbischen Kirchenbibliothek
und der Bibliothek des Fachbereichs Evangelische Theologie. Von Rainer Hering stammt der zweite Beitrag Kirchenpolitik und Wissenschaft.
Der wissenschaftliche Beirat der Landeskirchlichen Bücherei 1936 bis 1945.
Dieser analysiert die Aufgaben dieses Gremiums und die internen Probleme
ihrer Umsetzung. Darüber hinaus werden die Biographien der Beiratsmitglieder
Heinrich Jakob Hartwig Beckmann, Johann Simon Schöffel, Otto Karl Emil Witte,
Hans Willi Besch, Franz Walter Uhsadel, Joachim Karl Johannes Dubbels und
Paul Wilhelm Lukas Schütz dargestellt. Nach einer kurzen und bündigen Information über die Einführung und bisherige
Entwicklung des Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung in der Nordelbischen
Kirchenbibliothek durch die für die EDV und die Zeitschriftenaufsatzerfassung
zuständige Kirchenbibliotheksmitarbeiterin Barbara Zempel folgt eine überarbeitete
und gekürzte Fassung der Diplomarbeit Benutzerurteile zu den Katalogen
der Nordelbischen Kirchenbibliothek. Eine schriftliche Befragung und Analyse
anläßlich der geplanten Einführung eines EDV-Kataloges von Christine
Fink. Es ist schade, daß sich an der im Grunde lobenswerten Befragung nur
relativ wenige Bibliotheksbenutzerinnen und -benutzer beteiligten. Angesichts
von 127 bzw. 134 beantworteten Fragebögen spricht die Verfasserin zu Recht
von einer geringen Menge. Bedauerlich sind auch die Fehler bei der Übertragung
der Tabellen von der Diplomarbeit auf den Festschriftbeitrag. Diese führen
dazu, daß richtige Aussagen im Text durch falsche Zahlen in den Tabellen
scheinbar widerlegt werden, was den Beitrag in sich widersprüchlich macht.
Irritierend wirkt es auch, wenn als ungefähres Ergebnis von 643:14:2*10
220 angegeben wird oder wenn systematisch anstelle von "<1" ">1" geschrieben
steht. Nichtsdestotrotz wird wohl nicht nur jene Bibliotheksbenutzerinnen
und -benutzer, die seinerzeit als Befragte an der Befragung teilgenommen
haben, die Auswertung ihrer Antworten interessieren. Leider kann von einer
Analyse im Sinne einer Interpretation nur bedingt die Rede sein, da vornehmlich
deskriptive Statistik betrieben wurde. Es ist der Bibliothek und ihren Benutzern
zu wünschen, daß die Bibliotheksmitarbeiter aus den Benutzerurteilen die
richtigen Konsequenzen ziehen. Erfrischend und gewinnend wirkt die persönliche, offene und unverkrampfte
Art und Weise, in der die Kirchenbibliotheksmitarbeiterin Elisabeth Sohst
versucht, an das ihr gestellte Thema, die Geschichte und Entwicklung der
ihr anvertrauten Kirchenmusikbibliothek, von unterschiedlicher Seite heranzugehen.
Daß dabei gar nicht erst der Anspruch der Vollständigkeit erhoben wird,
macht bereits der sympathisch bescheidene Titel deutlich: Zur Geschichte
der Kirchenmusik und der Nordelbischen Kirchenmusikbibliothek. Der Aufsatz
endet mit der vielversprechenden Information, daß eine Verbesserung der
Erschließung der Kirchenmusikbibliotheksbestände in Aussicht stehe und Wünsche
seitens der nordelbischen Kirchenmusiker hierfür dankend entgegengenommen
würden. Das Kirchen- und Dogmengeschichtliche Institut der Universität Hamburg ist
durch eine überarbeitete Version eines am 29.1.1994 in der Katholischen
Akademie Hamburg gehaltenen Vortrages von Inge Mager vertreten. In ihrem
Beitrag "Lobet den Herrn in seinen Heiligen". Mittelalterliche Ansgarverehrung
in Hamburg behandelt die Professorin nacheinander die Themen Heiligenverehrung
und Reformation, Reformatorisches Heiligengedenken in Hamburg, Ansgar -
ein Prediger der Rechtfertigungsgnade? und Evangelische Ansgarforschung
als Heiligengedenken. Mögen derartige Arbeiten der Ökumene dienen! Von Herwarth von Schade, dem Leiter der Kirchenbibliothek zwischen 1980
und 1988, stammt der Beitrag "Ich kan keine Feder von Sammet und Seide
machen". Erdmann Neumeisters Werke in Hamburg. Er enthält zwar eine
kurze Würdigung und Lebensdarstellung des Theologen, ist aber primär - wie
der Untertitel bereits vermuten läßt - ein Verzeichnis von dessen in Hamburg
befindlichen Schriften. Dreizehn hat der Verfasser in der Kirchenbibliothek
ausgemacht, siebenundzwanzig im Staatsarchiv, eine weniger in der Staats-
und Universitätsbibliothek und sechs in der Privatsammlung eines Oberalten
von St. Jacobi. Die in der Kirchenbibliothek aufbewahrten Schriften werden
detaillierter vorgestellt und beschrieben, aber auch für die anderen Veröffentlichungen
wird mit dem einen oder anderen Zitat aufgewartet. Zusätzlich werden jeweils
die Nummer der Schrift im Hamburger Schriftsteller-Lexikon und in
Franz Heiduks Bibliographie sowie die bibliothekarische Signatur angegeben. Joachim Stüben hält es erklärtermaßen für wünschenswert, daß die Claus-Harms-Sammlung
in der Bibliothek des Nordelbischen Kirchenamtes in die von ihm geleitete
Kirchenbibliothek überführt wird, "da diese mit Literatur zum Thesenstreit
nur sehr sparsam ausgestattet ist". So findet sich auch ein Verzeichnis
der sechzig bibliographischen Einheiten dieser kleinen Büchersammlung, die
ausschließlich Schriften von und über Claus Harms aus der ersten Hälfte
des neunzehnten Jahrhunderts enthält, unter den Festschriftenbeiträgen.
Zur Veranschaulichung der Relevanz des hier vorgestellten Materials folgt
der kurzen Bibliographie aus der Feder Stübens ein Beitrag Arnd Helings,
der die Kommunikation des Heiligen bei Claus Harms und seinen rationalistischen
Gegnern im Thesenstreit von 1817 und damit den thematischen Schwerpunkt
der Claus-Harms-Sammlung zum Gegenstand hat. Nicht ohne Sympathie für den
orthodoxen Theologen werden von dem Kirchenrat im Nordelbischen Kirchenamt
Harms und der Thesenstreit, die Voraussetzungen und Ziele der
Harmsschen Thesen, die Reaktionen auf Harms' Thesen sowie das
Heilige in der Religion unter der Überschrift "Gefangennahme der
Vernunft" thematisiert. Wie zu der vom Verein für Hamburgische Geschichte herausgegebenen Reihe
Hamburgische Lebensbilder steuerte Rainer Hering auch zu dieser von
ihm mitherausgegebenen Schrift eine Biographie von Hamburgs zweitem Landesbischof,
Franz Tügel, bei, der die Kandidatenbibliothek 1914/15 als Hilfsprediger
ordnete und sich als Landeskirchenführer von 1934 bis 1945 auch als Leiter
der Landeskirchlichen Bücherei verstand. Die Lebensdarstellung in seiner
Monographie Die Bischöfe Simon Schöffel und Franz Tügel ist zwar
ausführlicher, aber dafür hat sein Festschriftbeitrag Franz Tügel - Hamburger
Landesbischof im "Dritten Reich" den Vorteil, Anmerkungen zu besitzen.
Beiden ist jedoch gemeinsam, daß sie neugierig machen auf den Hamburger
Landesbischof im "Dritten Reich", und es ist gut zu wissen, daß derzeit
unter des Autors Betreuung im Staatsarchiv eine Dissertation über diese
umstrittene Person im Werden ist. Den letzten Beitrag bildet eine Würdigung der großen Bedeutung des geschriebenen
Wortes für das Christentum mit dem Titel Bücher auf Erden und Bücher
im Himmel. Dabei stellt der Alttestamentler Klaus Koch den Bezug zur
Kirchenbibliothek her, wenn er sich zu ihrem Fürsprecher mit der Argumentationskette
macht, daß zum Verständnis der Heiligen Schrift Sekundärliteratur nötig
sei, daß es der Büchereien bedürfe, diese Literatur den Menschen nutzbar
zu machen, daß die Nordelbische Kirchenbibliothek die hieraus resultierende
Aufgabe beispielhaft erfülle und daß deshalb diese Einrichtung eben kein
"Appendix zu dem der Kirche aufgegebenen Zeugnis" sei, sondern "um der Klarheit
der Botschaft willen ein integraler Teil kirchlichen Auftrags". Den Beiträgen folgen neben einem Verzeichnis ihrer Verfasserinnen und Verfasser
eine tabellarische Kurzinformation über die "Jubilarin" und eine Bibliographie
zu deren Geschichte. Bleibt den Herausgebern zu wünschen, daß nicht zu viele
Freunde und Benutzer der Kirchenbibliothek sich von dem stolzen dreistelligen
Anschaffungspreis abschrecken lassen. Manuel Ruoff
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Bautz
Neuer Wein in alten Schläuchen? Beobachtungen zur Veränderung des Berufsalltags
in kirchlich-wissenschaftlichen Bibliotheken durch den Einsatz der elektronischen
Datenverarbeitung heißt der folgende Aufsatz des Diplombibliothekars
Armin Stephan. Es ist nicht nur eine angenehme Abwechslung, sondern einer
kirchlichen Festschrift sehr angemessen, daß dieser im Gegensatz zu vielen
anderen Beiträgen zum Thema bibliothekarische EDV-Anwendung den Faktor Mensch
nicht nur am Rande thematisiert, sondern "sich dem Subjekt der EDV-Einführung,
dem bibliothekarischen Mitarbeiter und seinen Erfahrungen mit bibliothekarischer
EDV-Anwendung" widmet. Hoffentlich behält der Autor mit seiner Prognose
recht, mit der er seinen nicht ohne Geist und Witz formulierten Text abschließt:
"Nicht das Mittel, sondern der Zweck wird (...) wieder ausschließlich im
Mittelpunkt bibliothekarischen Denkens stehen."