Reiner Wimmer

Simone Weil interkulturell gelesen

Interkulturelle Bibliothek, Band 69

Rezension


Reiner Wimmers Beitrag kann als Vorarbeit für seine Monographe gelesen werden, die Simone Weil "interkulturell" zu lesen verspricht, de facto aber nur den "philosophisch inspirierten und imprägnierten christlichen Universalismus" (13) behandelt, nicht aber ihren "sozialistischen lnternationalismus". Die von Weil "selbst publizierten Abhandlungen und Stellungnahmen" hält er für sein "Vorhaben" für "nicht von Belang", da sie sich "gänzlich auf dem gesellschafts- und sozialpolitischen Feld bewegen" (15), obwohl er weiß, dass "Weils universalistische Perspektiven" nicht nur "in ihrer religiösen Erfahrungssuche gewonnen und erprobt worden" sind, "sondern in den Mikromilieus ihrer schulischen und gewerkschaftlichen Praxis, ihrer Fabrik- und Landarbeit" (12). Auch geht es ihm nicht um religiöse Interkulturalität, was mit Blick auf Weils synkretistische Religionsauffassung eine lohnende Fragestellung wäre. Weil lernte, um die Bhagavadgita und Upanishaden lesen zu können, Sanskrit; ferner ist sie von Taoismus, Manichäismus sowie amerikanischen und afrikanischen Volksreligionen beeinflusst. Tatsächlich suchte sie auch dort nach "der Substanz des Christlichen" (10). ln einem wenige Monate vor ihrem Tod geschriebenen Brief vertritt sie, wie Wimmer feststellt, die Doppelthese, dass "das Christentum seit seinen Anlängen den ihm wesenseigenen Universalismus verkannt und verleugnet hat und dass die Nichtanerkennung der Wahrheit des anonym Christlichen in den nicht-christlichen Kulturen und Religionen die Einwurzelung des Christlichen in ihnen verhinderte [...] und damit zur Einchristlichung der [...] Weltzivilisation führte. Diese doppelte These vorn Selbstwiderspruch des Christentums und seiner in diesem Selbstwiderspruch angelegten Selbstdestruktion" (13) dann wieder nur vom Christlichen her zu interpretieren, ist eine Reduktion, die der Komplexität des Gegenstands nicht gerecht wird. Hier wäre eine religionswissenschaftliche Perspektive angebrachter, die die von Weil in Anspruch genommenen Religionen anderer Kulturen in die Analyse einbezieht. Aber auch die Umkehrung der Blickrichtung täte not. Statt zu fragen, wie religiös ihr politisches Handeln war, könnte gefragt werden, wie politisch ihr religiöses Denken war. Dies würde die Tatsache ernst nehmen, dass sie in ihren letzten Lebensmonaten sowohl Aufsätze zu theologischen wie zu politischen Fragen geschrieben hat. Bezeichnenderweise sind letztere in Übersetzungen kaum zugänglich.

Helen Thein (Potsdam)


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