Interkulturelle Philosophie kann am besten beschrieben werden als eine neue Perspektivierung wichtiger Denktraditionen in einem nicht mehr nur westlich ausgerichteten Denkzusammenhang und als besondere Hervorhebung und Herausarbeitung dieser meist vernachlässigten Elemente. Es wird gezeigt, dass es eine Vielfalt von interkulturellen Perspektiven gibt. Platon selbst hat an vielen Stellen das orientalisch-ägyptische Erbe in seinem Werk betont. Eine einseitig rationalistisch-westlichen Ausdeutung hat dazu geneigt, es in den Hintergrund zu drängen. In dieses Umfeld gehört auch der ebenso rätselhafte wie faszinierende Atlantis-Mythos. Klassische politische Philosophie enthält immer auch einen Praxisaspekt. Es ist bemerkenswert, dass sowohl Platon als auch Konfuzius mit ihren Politikberatungsaktivitäten gescheitert sind, während der indische Politikrealist Kautilya auf diesem Gebiet erheblichen Erfolg gehabt zu haben scheint. Die Welt unserer modernen Demokratie beansprucht gegenüber der antiken Demokratie und den mittelalterlichen Formen von politischer Theokratie eine eigenständige kulturelle Dimension. Im mittleren Kapitel dieses Bandes werden die platonische Dialogstruktur mit ihren Kämpfen um das Rederecht verglichen mit Anforderungen moderner Diskursivität. Platons Hypothese der Seelenwanderung im Phaidon wirft Licht auf ein interkulturelles Phänomen der Achsenzeit: die Annahme einer vom Körper abtrennbaren, eigenständigen Seele. Die Naturphilosophie und Kosmologie ist ein weiteres großes Thema. Hier werden vor allem Differenzen und Ähnlichkeiten mit der heutigen Weltdeutung herausgearbeitet. Platons naturwissenschaftliche Spekulationen ziehen heute wieder größeres Interesse auf sich. Die Ideenlehre Platons hat schon die Neukantianer zu einer Neurezeption animiert. Heute hat sich in der biologischen Kognitionsforschung und von dort ausgehend in der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie ein erkenntnistheoretischer Konstruktivismus ausgebreitet. Wenn Luhmann sagt: Es gibt Systeme, bewegt er sich auf dem Boden einer an Platon erinnernden Welterklärung. Im letzten Kapitel wird, aufgeklärt durch Michel Foucault und Peter Sloterdijk, ein Blick geworfen auf die platonischen Lehren zur Liebe, Erotik und Diätetik, die auf überraschende Weise eng miteinander verknüpft sind. Das komplexe Verhältnis von Regulierung, Training, Steigerung und Sublimierung des Eros hat die Kulturen, in denen darüber gesprochen werden konnte, seither nicht losgelassen, auch wenn ein Großteil dieser Diskurse im Verborgenen geführt werden musste (wie z.B. das etwa 800 Jahre nach Platon verfasste indische Kamasutra belegt). Die so sorgfältige und fast vollständige Überlieferung der platonischen Dialoge kann als ein Glücksfall für das Weltkulturerbe angesehen werden.
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