Was wissen wir über das Denken und Wirken der Philosophen und Philosophinnen in Afrika? Mit Sicherheit noch zu wenig. Um so willkommener ist eine Überblicksdarstellung, wie sie Heinz Kimmerle, emeritierter Professor für Philosophie und zuletzt Inhaber des Lehrstuhls für "Grundlagen der interkulturellen Philosophie" an der Erasmus Universität Rotterdam, in diesem Büchlein für die Philosophien Afrikas zusammengestellt hat.
Kimmerle beginnt mit den politisch-philosophischen Theorien im Kampf um die Unabhängigkeit, insbesondere dem "afrikanischen Sozialismus" und seinen Hauptvertretern, u. a. Senghor, Nyerere und Nkrumah (Kap. 1). Da es ein wesentlicher Bestandteil der kolonialen Strategie war, den afrikanischen Völkern eine eigenständige Kultur, Geschichte, Religion und Philosophie abzusprechen, war der Kampf um Unabhängigkeit zugleich untrennbar damit verbunden, auf eigene (Denk-) Traditionen zurückzugreifen. Die Rekonstruktion eigener Denktraditionen steht im Mittelpunkt der so genannten Ethnophilosophie (Kap. 2). Diese war der Versuch christlicher europäischer Missionare und im Anschluss an diese auch vieler afrikanischer Theologen und Philosophen, aus afrikanischen Sprachen oder aus Sprichwörtern eine implizite afrikanische Philosophie zu extrahieren. Dieses Herangehen warf die Frage auf, was Philosophie eigentlich sei, ob es in Afrika überhaupt eine gebe bzw. was das "Afrikanische" an der aflikanischen Philosophie sei. Kritiker dieser Rekonstruktion einer "kollektiven" Philosophie waren die so genannten Universitätsphilosophen wie Wiredu, Odera Oruka und Hountondji (Kap. 3).
Sie kritisieren am ethnophilosophischen Ansatz die kollektive Bindung des Philosophiebegriffs. Hountondjis vehemente Verteidigung von Wissenschaft und Schriftlichkeit in Bezug auf die Philosophie muss dabei vor allem als polemisches Mittel verstanden werden. Schade, dass Kimmerle in seiner Hountondji-Darstellung alte Vorurteile perpetuiert und dessen Klarstellungen nicht zur Kenntnis nimmt. Ausführlich werden im vierten Kapitel verschiedene Ansätze der Rekonstruktion des Denkens afrikanischer Sages (Weise) dargestellt. Meiner Meinung nach wäre dabei eine deutliche Abgrenzung der philosophischen Ansätze Odera Orukas oder Claude Sumners von ethnologischen Untersuchungen wie denen Marcel Griaults oder Amadou Hampâté Bâs wünschenswert.
Nach der Darstellung des langsamen Prozesses der Einbeziehung der afrikanischen Philosophie in den weltphilosophischen Diskurs (Kap. 5) sowie einer kurzen Beschreibung der afrikanischen Philosophie in der Diaspora, insbesondere in Nordamerika (Kap. 6), widmet sich Kimmerle insbesondere dem Beitrag der Philosophien des afrikanischen Kontinents im Rahmen interkulturellen Philosophierens (Kap. 7). Dieser besteht laut Kimmerle vor allem darin, die prinzipielle Möglichkeit eigener philosophischer Traditionen und Arbeitsweisen in allen Kulturen mit primär mündlichen Formen der Kommunikation und Überlieferung zu eröffnen. Diese sollten gleichberechtigt neben der überwiegend schriftlich praktizierten und überlieferten Philosophie betrachtet werden. Kimmerle geht davon aus, dass überwiegend schriftliche und überwiegend mündliche Formen des Philosophierens harmonisiert werden können, und betrachtet ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede als ein "dynamisches Potenzial an Lösungsmöglichkeiten für die philosophischen Probleme in Gegenwart und Zukunft". Dies mag ein Beitrag zum weltphilosophischen Diskurs sein. Ich persönlich sehe weitere, die mir fast noch wichtiger erscheinen, wie die Analyse des philosophischen Gehaltes von Begriffen afrikanischer Sprachen (Wiredu), Fragen nach globaler Gerechtigkeit (Odera Oruka), nach dem "Wie" der Integration traditionellen Denkens und Handelns im Rahmen der Herausforderungen sich modernisierender und damit wandelnder Gesellschaften sowie Fragen nach Demokratie und Menschenrechten in Afrika.
Anke Graneß
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